Die Fehlzeiten sind um 67 Prozent gestiegen. Die Hamburger Wachleute beklagen das schlechte Betriebsklima und fehlende Anerkennung.

Hamburg. Kaum Kollegialität, schlechte Aufstiegschancen, geringe Wertschätzung: Schon lange klagen die Vollzugsbeamten in Hamburger Gefängnissen über ihre Arbeitsbedingungen, und der Krankenstand ist in den vergangenen Jahren auffallend stark gestiegen. Wie schlecht es um das Betriebsklima steht, belegen zwei neue von der Justizbehörde in Auftrag gegebene Untersuchungen. Das Ergebnis, das der Behördenleitung erst vor wenigen Tagen vorgelegt wurde, ist besorgniserregend.

Demnach fühlen sich drei Viertel der Befragten aus dem Allgemeinen Vollzugsdienst durch ihre Arbeit stark belastet und gestresst. Sie sehen ein über die Jahre gestiegenes Risiko, von Gefangenen angegriffen zu werden, bemängeln fehlende Kollegialität. Ein gutes Betriebsklima erwähnte kaum einer der knapp 600 Vollzugsbeamten, die an den Befragungen teilnahmen.

+++ Hamburger Strafvollzug +++

+++ Weniger Gefangene - Hamburg baut 50 Haftplätze ab +++

Ihre Erkenntnisse gewannen der ehemalige Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am UKE, Hendrik van den Bussche, und Knut Dahlgaard, Personalmanagement-Experte von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, aus 30 Gesprächsrunden, Interviews und einer schriftlichen Befragung. Ergänzt wird ihre Analyse von den Beobachtungen und Gesprächen, die der Vize-Leiter des Strafvollzugsamtes, Hans-Jürgen Kamp, ein halbes Jahr lang an der JVA Billwerder führte, wo er den Strafvollzug begleitete.

Die große Unzufriedenheit münde in einer "Kultur des Krankfeierns", so das Resümee - obwohl die Mehrheit der Vollzugsbeamten angibt, gesund und den Anforderungen gewachsen zu sein. Resignation und "innere Kündigung" seien die Folgen. Die Problematik sei zudem bereits chronisch. "Viele Bedienstete haben das Gefühl, ihre Lage habe sich in den letzten Jahren verschlechtert. Etwa die Hälfte hat resigniert, die andere Hälfte ist motivierbar, an Veränderungen mitzuarbeiten."

Zwischen 2004 und 2010 stieg die "Fehlzeitenquote" - das Verhältnis aus Fehltagen und Soll-Arbeitstagen - in den vier Justizvollzugsanstalten (JVA), dem Untersuchungsgefängnis und der Sozialtherapeutischen Anstalt um 67 Prozent auf 14,6 Prozent. Im Schnitt liegt die Quote in der Verwaltung bei nur 7,6 Prozent. Konkret heißt das: Jede "Vollkraft" in der Justiz war 3,7-mal pro Jahr krank und fehlte durchschnittlich 36 Arbeitstage. Besonders auffällig ist dabei die JVA Billwerder. Hier stieg die Quote seit 2007 um 50 Prozent auf 20,2 Prozent und war zuletzt um zwei Drittel höher als in anderen Anstalten. Die internen Probleme wirken sich auch auf den Umgang mit den Gefangenen aus: Wie die Untersuchungen aufzeigen, steht für die Mehrheit der Bediensteten nicht mehr der Leitgedanke der Resozialisierung im Vordergrund, sondern Ordnung und Sicherheit. Das schlechte Betriebsklima führt also dazu, dass therapeutische Arbeit an Bedeutung verliert und das reine Wegschließen in den Vordergrund rückt.

Wie der Sprecher der Justizbehörde, Tim Angerer, mitteilte, geben beide Untersuchungen Anlass, "die Führungs- und Organisationsstrukturen im gesamten Hamburger Justizvollzug zu überdenken". Die Defizite würden sehr ernst genommen, sagte Angerer. Die Ergebnisse sollen den Bediensteten in den JVA noch in diesem Monat präsentiert und zur Diskussion gestellt werden. Dafür seien neun Termine in den Anstalten geplant. Ein Abschlussbericht soll im Frühjahr vorliegen.

Insbesondere die Führungskräfte der Anstalten werden schlecht beurteilt: Entwicklungsbedürftig sei der Umgang mit Fehlern, Anerkennung werde kaum gezeigt, Verbesserungsvorschläge nicht umgesetzt, Eigeninitiative weder gefordert noch gefördert, Rückendeckung insbesondere in der Arbeit mit den Gefangenen fehle. Die wenigsten Beamten glauben zudem, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird, weder in Öffentlichkeit und Medien noch in der Politik: Die Frage, ob sie glauben, dass die Justizbehörde die Probleme kenne und versuche, Abhilfe zu schaffen, wird verneint.

Hans-Jürgen Kamps Beobachtungen geben einen noch näheren Blick auf die Problemlage: Ein Vollzugsbeamter kritisiert die "extrem häufigen" Umsetzungen, oftmals ohne vorheriges Personalgespräch, kommuniziert teils per SMS und im Urlaub. Nachdem er in drei Jahren unterschiedliche Dienstposten wahrnahm, fühlt sich ein Kollege wie auf der "Reise nach Jerusalem". Einem Bediensteten kam die Arbeit wie "ein Tsunami" vor, beherrscht von schwierigen Abstimmungen mit den Vorgesetzten. Er klagte über Schlafstörungen.

Die Gewerkschaft Strafvollzug sieht sich bestätigt: "Die Ergebnisse beider Studien geben uns recht. Schon lange verweisen wir auf die hohe Unzufriedenheit und fordern, dass die Anstaltsleitung insbesondere in Billwerder ausgetauscht werden muss", sagt Vize-Chef Thomas Wittenburg. "Der Umgang mit den Bediensteten ist katastrophal, von oben herab und unkollegial." Dies werde durch die Interviews in Kamps Untersuchung bestätigt.

Während Bussche und Dahlgaard ebenfalls Führung und Führungsverhalten als einen der auslösenden Faktoren für die vorhandene Unzufriedenheit ausgemacht haben, sieht Kamp jedoch für Billwerder keine Versäumnisse der Anstaltsleitung. Er will "ein großes Engagement der Anstaltsleitung" beobachtet haben. Nur: Dies werde von den Bediensteten so aber nicht wahrgenommen, sagt Behördensprecher Angerer. Hier bestehe Optimierungsbedarf. "Personelle Konsequenzen werden in beiden Berichten nicht als Lösung der Problemlage dargestellt; dementsprechend wird aktuell kein Handlungsbedarf gesehen." Der Anstaltsleiter der JVA Billwerder, Ullrich Quietzsch, verweist auf den Behördensprecher.