Die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte bietet bedrohte Menschen Zuflucht in der Hansestadt. Jetzt feiert die Stiftung ihren 25. Geburtstag

Es ist kalt in Hamburg. Aber das ist Maria Isabel Gámez und Abdumalik Bobaev egal. Hier sind sie sicher vor ihren Verfolgern. Die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte hat Maria Isabel Gámez und Abdumalik Bobaev für ein Jahr nach Hamburg eingeladen. Sie leben in Wohnungen, die ihnen die Stiftung stellt, und bekommen Geld zum Leben.

"Die Einladung gewährt Schutz", sagt Martina Bäurle, die Geschäftsführerin der Stiftung. "Die Stipendiaten sind nicht mehr anonym. Die Stadt Hamburg und der Erste Bürgermeister laden sie ein. Das schützt sie vor Verhaftung und Verschleppung, wenn sie nach ihrem Stipendium in ihre Heimat zurückkehren."

Am 12. September 1986 wurde die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte vom damaligen Ersten Bürgermeister Klaus von Dohnanyi gegründet. In der Senatsdrucksache 9/4448 ist der Gründungsgedanke der Stiftung festgehalten worden: "Die Stiftung soll vornehmlich solche Verfolgten fördern, die sich durch Wort, Schrift oder ihr sonstiges Wirken in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen und sich nachhaltig und stellvertretend für alle politisch Verfolgten ihrer Heimat für den Schutz und die Wiederherstellung der Menschenrechte einsetzen", heißt es dort. Die Stiftung geht auf Erfahrungen zurück, die deutsche Schriftsteller wie Bertolt Brecht, Klaus und Thomas Mann und Kurt Tucholsky als Emigranten während der Zeit des Nationalsozialismus gemacht haben.

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Maria Isabel Gámez lebt seit Mai 2010 in Hamburg. Sie ist eine fröhliche junge Frau, lacht gerne. Dass sie in Deutschland lebt, hat sie sich nicht ausgesucht, sagt sie. Mit der deutschen Mentalität habe sie auch so ihre Probleme. Die Sprache beherrscht sie auch noch nicht, die Deutsch-Stunden in ihrem Kurs seien sehr frustrierend, sagt sie. Trotzdem ist Deutschland ihre Rettung.

In ihrer Heimat El Salvador hat die heute 28-Jährige als Journalistin gearbeitet, beim linken Radiosender Victoria im Departement Cabañas. Im Alter von 13 Jahren hat sie bei dem Sender angefangen. Das Schulsystem funktioniert in ihrer Heimat nicht, die Kriminalität ist hoch. Deshalb bildet Radio Victoria Jugendliche aus. Zuletzt war Gámez die Leiterin der Nachrichtenredaktion.

Das Gold, das in ihrer Heimatstadt im Erdreich vorhanden ist, wurde für Maria Isabel Gámez zum Fluch. Damit die kanadische Firma Pacific Rim Gold abbauen konnte, wurden Grundeigentümer enteignet, sagt Gámez. Zum Goldabbau werden große Mengen Wasser benötigt. Und Quecksilber, mit dem Gold gewonnen wird. Maria Isabel Gámez berichtete darüber, dass das Wasser in der Region immer knapper wurde. Über Umweltschäden, von Quecksilber verursacht. Über Hautausschläge der Anwohner. Sie und ihre Kollegen deckten auf, dass die Firma Gold ohne Genehmigung abgebaut hatte. Eine nationale Diskussion kam auf. Radio Victoria enthüllte die Parteispenden, mit denen die Firma den Bezirksgouverneur bedachte. Auf öffentlichen Druck hin musste der Abbau im Department Cabañas gestoppt werden. Der Bezirksgouverneur wurde deshalb abgewählt, sagt Gámez. "Dann begannen die Repressionen."

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Abdumalik Bobaev ist Ende Juli nach Hamburg gekommen. Er wirkt noch ein wenig eingeschüchtert von seiner neuen Umgebung. Bobaev wohnt am Schlump in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung. Er war schon an der Elbe und auf dem Fischmarkt. Hat sich die großen Containerschiffe angeschaut. Und sich nach seiner Familie gesehnt, die er in Usbekistan zurückgelassen hat. Er ist 42 Jahre alt, verheiratet mit einer Ärztin, seine Töchter sind 14 und neun Jahre alt, seine Söhne sieben und drei. "Für mich ist das Stipendium eine wundervolle Gelegenheit, mich von Druck zu befreien und neue Kraft zu tanken", sagt er.

Abdumalik Bobaev arbeitete in Taschkent für den Sender American Voice of Uzbekistan. Seit 1991, als Usbekistan unabhängig wurde, ist Islom Karimov in der ehemaligen Sowjetrepublik an der Macht. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, religiöse Minderheiten wie Christen werden unterdrückt. "Es ist ein totalitäres Regime", sagt Bobaev. Und darüber hat der Journalist berichtet: über die hohe Jugendarbeitslosigkeit zum Beispiel oder darüber, dass kritische Journalisten festgenommen wurden. Er sah, was mit anderen kritischen Kollegen passierte. "Ich hatte furchtbare Angst. Aber ich wusste, dass ich weitermachen muss." Seine Angst war nicht unberechtigt. Im September des vergangenen Jahres war es so weit: Die Staatsmacht rächte sich an dem kritischen Journalisten.

Maria Isabel Gámez sagt, dass als Erstes die Antenne ihres Senders gestohlen wurde. "Wir konnten nicht mehr senden. Wir haben gedacht, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann." Aber es kam schlimmer. Der Chef einer Nichtregierungsorganisation, der Gámez viele Informationen gegeben hatte, wurde entführt. Zwei Wochen suchten Gámez und ihre Kollegen nach ihm, die Polizei weigerte sich. Dann fanden sie ihn. Er war zu Tode gefoltert worden, seine Hände und seine Beine waren mit Stacheldraht zusammengebunden. Die Entführer hatten ihn nackt in einen See geworfen und die Zunge herausgeschnitten. Zwei weitere Aktivistinnen, die gegen den Goldabbau und die Korruption protestiert hatten wurden umgebracht, eine von ihnen war im achten Monat schwanger. "Ich wäre die Nächste gewesen", sagt Gámez.

Dann bekamen Maria Isabel Gámez und ihre Kollegen Drohbriefe. "Weitere Tötungen werden folgen, unser Rachefeldzug hat schon begonnen und niemand kann uns aufhalten", stand darin. Man legte ihnen nahe, die Arbeit bei ihrem Radiosender aufzugeben.

Nachbarn beobachteten, wie sechs bewaffnete Männer auf Motorrädern vor ihrem Haus hielten, den Garten betraten, durch die Fensterscheiben leuchteten. Die Männer fuhren weiter, weil Gámez nicht zu Hause war.

Bei ihr zu Hause klingelte das Telefon, mitten in der Nacht. "Er sagte zu mir: ,Ich weiß, wo dein Kind schläft. Ich habe eine Granate, die werfe ich jetzt in das Fenster.' Dann krachte ein Gegenstand durch das Fenster. Es war eine Pflanze." Es habe eine halbe Stunde gedauert, bis die Polizei eingetroffen sei. Gámez wurde depressiv, litt unter Verfolgungswahn, sie wollte raus aus El Salvador. Freunde vermittelten ihr den Kontakt zur Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.

Abdumalik Bobaev wurde im September 2010 angeklagt: wegen Beleidigung der Staatsmacht, wegen Verleumdung, wegen Verbreitung von gesellschaftsschädigendem Material. Das Verfahren lief so ab: Die Staatsanwaltschaft wertete 300 Beiträge aus, die Bobaev veröffentlicht hatte. Sie plädierte auf fünf bis acht Jahre Gefängnis. Amnesty International schaltete sich ein, auch die US-Regierung übte Druck auf die usbekische Regierung aus. Am 15. Oktober 2010 wurde Bobaev schuldig gesprochen. Er musste nicht ins Gefängnis, aber eine Geldstrafe von 8000 Dollar zahlen.

Er hat danach nicht mehr fürs Radio gearbeitet. "Sie hätten sofort meine Stimme erkannt", sagt er. Das Angebot der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, nach Deutschland zu kommen, kam gerade recht.

Maria Isabel Gámez hat im ersten Jahr in Hamburg noch als Journalistin gearbeitet. Für ihren Heimatsender Radio Victoria sendete sie Beiträge aus Deutschland und hielt in Schulen Vorträge über El Salvador.

Die Stiftung vermittelte ihr Kontakt zu Mexikanern, die in Hamburg leben. Aber bislang hat sie kaum Freunde gefunden, sagt sie. Häufig ruft sie ihre Familie in El Salvador an, über das Internet ist das Telefonieren günstig. "Die Distanz, die Kälte der Menschen hier macht mir zu schaffen. Zu Hause sind die Leute wärmer und offener", sagt sie. Sogar die Männer seien total cool und machten keine Komplimente. Das sei in Lateinamerika anders.

Mittlerweile ist ihr Stipendium abgelaufen. Aber an eine Rückkehr nach El Salvador ist nicht zu denken. Sie hat einen Asylantrag gestellt, mittlerweile ist sie als Flüchtling von der Ausländerbehörde anerkannt worden.

Sie richtet sich jetzt darauf ein, länger in Deutschland zu bleiben. Sie weiß, dass sie nie so gut Deutsch sprechen wird, dass sie für deutsche Radiosender arbeiten kann. Deshalb sucht sie seit drei Monaten Abstand zu ihrem Beruf, macht keine Radiobeiträge mehr. Sie will jetzt erst die Sprache lernen und dann studieren, vielleicht Soziale Arbeit. Ihr Sohn Jimmy geht in Eppendorf zur Schule, er lernt die deutsche Sprache schneller als seine Mutter.

Abdumalik Bobaev hat in seiner Wohnung am Schlump ein Arbeitszimmer. Mit seinem Computer kann er Radiobeiträge für seinen Sender produzieren. Noch kann er nicht viel in seine Heimat senden, weil er sich in seiner neuen Umgebung noch nicht auskennt.

Seine Familie ist in Taschkent geblieben, er war sich nicht sicher, ob alle über die Grenze kommen würden. Außerdem gehen seine Töchter schon zur Schule, und das Schuljahr hat gerade begonnen. Nach der Einschulung will Bobaevs Frau nach Hamburg kommen mit den beiden Söhnen, die Töchter bleiben dann bei den Großeltern. Häufig denkt er an seine Familie, er hat Angst um sie. "Von dieser Regierung kann man alles erwarten", sagt er. Und dennoch wird er nach seinem Stipendium nicht in Hamburg bleiben. "Mein Platz ist in Usbekistan. Ich gehe zurück." Es gebe zwar keine absolute Sicherheit für ihn, aber sein Name sei jetzt bekannt. "Durch das Stipendium bin ich geschützt", sagt er.

Seit der Gründung der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte haben 130 Stipendiaten für ein Jahr in Hamburg gelebt. Es sind nicht nur verfolgte Journalisten, sondern auch Gewerkschafter, Maler, Fotografen, Schriftsteller, Dichter, Politiker, Anwälte und Lehrer. "Jeder, der sich für Demokratie und Freiheit einsetzt und deshalb verfolgt wird, ist ein potenzieller Stipendiat", sagt Martina Bäurle, die Geschäftsführerin der Stiftung.

25 000 Euro kostet ein Stipendium wie das von Maria Isabel Gámez, 33 000 Euro kostet ein Familienstipendium wie das von Abdumalik Bobaev. Die Stiftung organisiert eine Wohnung und trägt die Kosten dafür. Es gibt 950 Euro Lebensunterhalt im Monat für Einzelstipendiaten und 1200 Euro für eine Familie mit zwei Kindern. Krankenkassenkosten und Reisen werden ebenfalls gezahlt. Stipendiaten sollen so ihre Gedanken der Öffentlichkeit zugänglich machen - und neue Kontakte knüpfen, so der Gründungsgedanke der Stiftung.

Am 12. September feiert die Stiftung ihr 25-jähriges Bestehen, Olaf Scholz und Klaus von Dohnanyi werden Festvorträge halten. Maria Isabel Gámez und Abdumalik Babaev werden dabei sein.