Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Martina Bäurle, Leiterin der Stiftung für politisch Verfolgte.

Sie hat es gern klar und deutlich. Schnörkellos und direkt. Ruppigkeit könne sie gut ab, sagt sie. Besser als jede Form von Schmeichelei. Diese Frau, die sich mit großer Sensibilität und Empathie um Menschen in Not und Bedrängnis kümmert. Als Mobiles Einsatzkommando für Menschenrechte gilt. Eine Unbeirrbare, die immer wieder kleine organisatorische Wunder vollbringt, heißt es. Martina Bäurle, Geschäftsführerin der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Und einzige Mitarbeiterin der 1986 vom damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi gegründeten Stiftung, die jährlich sieben bedrohten, verfolgten, geschundenen und ausgebrannten Kämpfern und Kämpferinnen für Demokratie und Menschenrechte und auch ihren Familien in der Hansestadt für ein Jahr einen Schutzraum zum Kraft schöpfen ermöglicht. Unter der Schirmherrschaft des jeweiligen Bürgermeisters, der zugleich, wie jetzt Ole von Beust, Erster Vorsitzender der Stiftung ist. Unterstützt von großzügigen Spendern.

Martina Bäurle ist eine Frau, die sofort gefangen nimmt. Voller Wärme, Heiterkeit und Spontaneität. Übersprudelnd, begeistert und erfüllt von ihrer Aufgabe. Auch wenn diese manchmal bis an ihre eigenen Grenzen geht. Sie sei einfach ein positiver Mensch, sagt sie abwehrend. Mit ziemlich viel Kraft. Was immer sie in ihre Arbeit investiere, bekomme sie ja zurück. Wärme, ganz viel Herzenswärme. Und manchmal laufe ihr Herz auch einfach über. Wie damals bei dem kleinen Adam.

Sollten wir nicht erst mal Frühstück bestellen hier im "3 Tageszeiten" am Mühlenkamp? Nein, sagt sie, Adam erst. Der zwölfjährige Sohn des tschetschenischen Fotografen Musa Sadulajew, der so bitterlich weinte, als es an den Abschied ging. "In den Sommerferien kommst du wieder, und wir machen was zusammen", verspricht sie ihm auf dem Weg zum Flughafen. Und macht es im vergangenen Sommer: eine Woche Reiterurlaub auf Rügen. Eine Woche Wandern von Hütte zu Hütte in Bayern. Einfach toll, sagt sie. Aus eigener Tasche bezahlt, gesteht sie erst auf Nachbohren. Ja, und für sein Studium werde sie auch aufkommen. Das habe sie ihm versprochen. "Und was ich verspreche, halte ich auch. Hundertprozentig." Diese Kompromisslosigkeit stehe ihr manchmal selbst im Wege. Dieses überbordende, kurzerhand Entschlossene. Aber letztendlich sei dann doch alles zu schaffen.

Martina Bäurle ist von mitreißender Begeisterung und Zuversicht. Es sei so unglaublich erfüllend, sagt sie. Der Beruf und die Freundschaften, die daraus weit über die offizielle Betreuung und Fürsorge hinaus entstehen. Wie die mit Katja, der Frau des verfolgten kolumbianischen Schriftstellers, die Martina Bäurle weiterhin unterstützt und demnächst besuchen wird.

Auf Menschen zugehen, mit ihnen leben, fühlen, denken - das sei immer schon ihre Sache gewesen. Seit damals, als sie mit einem Stipendium der Carl- Duisberg-Stiftung in Chile war . . .

Kurze Pause zum Atemholen. Wir bestellen schnell Kaffee, Rühreier, Brot. Ziehen um an einen hellen Fensterplatz, der uns trotz fremder Reservierung auch die nächsten Stunden erhalten bleibt. Dank des netten Chefs.

Martina Bäurle ist seit 16 Jahren bei der Stiftung. Zuständig für alles. Spenden sammeln, Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungsorganisatorin, Reiseleiterin, Ansprechpartnerin und Seelentrösterin zugleich. Wirklich alles, sagt sie. Bücher, Vorträge, Ausstellungen müssen organisiert, Kontakte vermittelt werden. Nächtelange Gespräche. Normale Alltagssorgen, Albträume, Heimweh und auch Missverständnisse. Eine hohe interkulturelle Kompetenz sei dafür nötig, sagt sie. Und das heißt? Ein Gespür für die unterschiedlichsten Mentalitäten, Temperamente und Schicksale der Angereisten. Da müsse sie sich oft sehr zurücknehmen. Laufe sich stundenlang an der Elbe ihre Seele frei, lade den Ballast auch bei ihrem Lebensgefährten ab. Ein Anwalt, sagt sie, nüchtern und sachlich. Immer gleich mit Plan A, B oder C zur Hand. Ein guter Gegenpol zu ihrem Überschwang. Und dann noch dieses dichte Netzwerk an Freundinnen.

Das sei der große Vorwurf, den ihre jüngere Schwester ihr immer mache, sagt sie lachend, die Nachsicht und Langmut, die sie mit ihren Stiftungsgästen habe. Ein Riesenkontrast zu der Strenge ihrer eigenen Familie gegenüber. Das stimmt, sagt sie. Privat sollte sie sich wohl manchmal mehr zurücknehmen. Aber als Älteste von drei Geschwistern sei sie nun mal so. Sie dreht den Anhänger an ihrer Kette. Ein Fabelwesen, dem Buchcover des in Uruguay lebenden Schriftstellers Mario Benedetti nachempfunden. Ein Gott vielleicht. Wer weiß. Auf jeden Fall ein Glücksbringer.

Das Knäuel ihres bunten Lebens lässt sich nur schwer entwirren. Ach, sagt sie, das schaffen wir schon. Zurück nach Flensburg also. In ihre Geburtsstadt, die der Tochter eines Seemannes, der ihr das unersättliche Fernweh ins Herz pflanzt, viel zu eng ist. In Hamburg auf der Uni kommt die Schülerin eines altsprachlichen Gymnasiums mit Lehrern in Anzug und Krawatte in eine völlig neue Welt. Professoren in Turnschuhen, politisch engagierte Kommilitonen, die linke Szene. Sie arbeitet mit in Komitees für Menschenrechte, nimmt drei der zehn chilenischen politischen Gefangenen bei sich auf, die der damalige Bürgermeister von Dohnanyi nach Hamburg holt. Übersetzt bei politischen Veranstaltungen, jobbt als Nachtwache im UKE, um über die Runden zu kommen. Und um zu reisen. Das Reisen. Lebenselixier und Kraftquelle zugleich. Die Atacama-Wüste, sagt sie. Auf dieser hohen Düne sitzen bei Sonnenuntergang. Ganz allein. Mit dem Universum verschmolzen. Und auch immer wieder "einfach losfahren, mit Menschen in Kontakt kommen".

Chile. Das Land, das sie immer wieder bereist. Zuallererst mit einem Stipendium der Carl-Duisberg-Gesellschaft. 25 war sie da. Oder nein, sagt sie, 27. Alternative Theaterformen will sie studieren. Die gibt es bei ihrer Ankunft schon nicht mehr. Zerschlagen vom Diktator Pinochet. Sie geht in die Armenviertel, macht mit Kindern ein Theaterstück, in denen sie ihre Realität abbilden. Gewalt, Drogen, Klebstoff schnüffeln. Das ganze Viertel feiert die Aufführung. Martina bleibt. Tanzt auf den Strassen, als Pinochet abgewählt wird. Lernt den Pastor Helmut Frenz kennen, der Oppositionelle unterstützt, Verfolgten und deren Familien hilft. Er empfiehlt sie als Geschäftsführerin der Stiftung für politisch Verfolgte. So schließt sich der Kreis. "Was politische Verfolgung bedeutet, hat sich mir seit damals eingebrannt", sagt sie.

Kennt sie Angst? Um andere immer, sagt sie. Wenn sie nach diesem einen Jahr zurückkehren in ihre Heimat, um sich dort weiter für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. Und um sich selbst? Nein, sagt sie. Nie. Das sei so wie damals nach ihrem schweren Reitunfall. Gebrochene Wirbelsäule, Loch im Kopf: Entweder man hat danach Angst und lässt es oder man sitzt wieder drauf. Mehr Möglichkeiten gibt es einfach nicht. Und das sagt wirklich alles über sie. Klar und deutlich.