Kioskbetreiberin Rita Knüppel und Dieter Zeih, Geschäftsführer der Galeria Kaufhof Hamburg, treffen sich im neunten Teil der Abendblatt-Serie Hamburger Begegnungen zum Gespräch.

Hamburg. Kaum vorstellbar, dass es in der Freien und Handelsstadt Hamburg einen zweiten Laden gibt, der auf so wenig Raum so viele unterschiedliche Waren feilbietet. Neben Zahnpasta, Haarspray, Waffeln und Grieß der Marke Diamant stapeln sich auf nur 25 Quadratmetern Dosensuppen, Müsli, Hundefutter und Seelachssalat. Die Inhaberin heißt nicht Tante Emma, sondern Rita Knüppel. Die Kauffrau mit dem herzerfrischenden Naturell hat sogar Schirme, Plüschtiere und Horoskope in Heftform im Sortiment. Die Nachbarn schätzen die Vielfalt im Minikaufhaus im Souterrain Virchowstraße 64, das zudem als Kommunikationszentrum dient. Meist kennt man sich: Gewiss drei Viertel der Käufer sind Stammkunden.

Der heutige Gast sieht mit schwarzem Anzug, weißem Hemd und hanseatisch dezenter Krawatte äußerlich zwar etwas vornehmer aus als das Gros der Kundschaft sonst, hat aber keinerlei Berührungsängste. Man spürt, dass er sich auf Anhieb wohlfühlt in diesem Dorado ursprünglichen Handels. Herzlich willkommen, Dieter Zeih. Der Geschäftsführer der Galeria Kaufhof im Alstertal Einkaufzentrum in Poppenbüttel hat sich auf den Weg gemacht, um diese Hamburger Begegnung mit Leben und Inhalt zu füllen.

Interessiert blickt er sich um und genießt das Angebot. Bei ihm in der Filiale ist alles mehr als nur ein paar Nummern größer. Herr Zeih und seine 145 Mitarbeiter verkaufen ihre rund 300.000 Artikel auf vier Etagen und 12.000 Quadratmetern. Das ist 480-mal mehr Fläche als bei Frau Knüppel, die das Kunststück schafft, rund 1000 verschiedene Produkte in den Regalen zu stapeln. Die Warenmenge schätzt sie auf 5000. Zeitschriften, Tabakwaren, Lottozettel, Frikadellen, Kuchen und Brötchen runden die Palette ab.

Da jeder der beiden Gesprächspartner ein Profi für sich ist, läuft das Gespräch von selbst. Rita Knüppel, von Haus aus Konditoreifachverkäuferin, berichtet von ihrem Werdegang und der recht spontanen Entscheidung vor drei Jahrzehnten, gemeinsam mit ihrem Ehemann das bestehende Ladengeschäft in Altonas Altstadt zu übernehmen. Ohne Bankkredit und Verzicht auf Teile des Privatlebens wäre das in der Startphase nicht gegangen. So konnten die Eheleute mehr als 20 Jahre lang immer nur getrennt in den Urlaub fahren. Arbeit bestimmte das Leben.

Auch als Witwe steht Rita Knüppel nun in der Regel um 4Uhr früh auf, um den Laden pünktlich um fünf zu öffnen. Um 19Uhr, mithin 14 Stunden später, wird die Tür wieder abgeschlossen. Sieben Tage in der Woche kann eingekauft werden. Nur am Sonnabend und sonntags sind die Öffnungszeiten kürzer. Auch wenn ihr drei Verkäuferinnen, zwei davon fest angestellt, und zwei Aushilfsbäckerinnen zeitweise zur Seite stehen, kann die selbstständige Unternehmerin von einer 40-Stunden-Woche nur träumen. Meist steht sie mehr als 60 Stunden hinter der vollgepackten Theke.

Dieter Zeih nickt. Das kennt er. Während seine Mitarbeiter im Schichtdienst eingesetzt sind, ist er im Schnitt weit länger aktiv. In der Praxis zieht sich sein Tagesablauf von 9Uhr bis Ladenschluss um 20Uhr hin. Da können es für Zeih auch mal 50 Stunden oder mehr pro Woche werden. Vor allem aktuell, im vierten Quartal, ist ordentlich was los. Pro Jahr werden in der Filiale 2,54 Millionen Besucher gezählt. Bei Kollegin Knüppel sind es schätzungsweise 550 am Tag. Immerhin.

Der morgendlichen halben Stunde im Büro folgt im Falle Zeih ein 45-minütiger Rundgang durchs Geschäft. Im Laufe eines Tages folgen fünf oder sechs weitere, kürzere Besuche in den Verkaufsräumen. Nur so registriert der Geschäftsführer, wie Stimmung und Andrang sind.

Dieter Zeih ist seit 40 Jahren bei Kaufhof – Verkäufer durch und durch

Zeih kennt alle Verkäufer mit Namen. Jeder wird mit Handschlag begrüßt. Tag für Tag. Da der heutige Chef seine Lehre in der Galeria Kaufhof an der Mönckebergstraße absolvierte, sich Stufe um Stufe hocharbeitete und fast 40 Jahre im Unternehmen ist, weiß er genau, wie die Basis tickt.

Auch im kleinen Kaufladen in Altona wird Teamgeist großgeschrieben. „Sonst geht gar nichts“, sagt Frau Knüppel. Nathalie Fröhlig (Nomen es omen!) ist bald zehn Jahre an Bord. Auch Sabine und Angelika sind prima eingespielt. Wenn Fofftein ist, ziehen die Damen manchmal zum Klönschnack um die Ecke. Und um akkurat zu sein: Zum Team zählt ebenfalls Airdale Mylo, 22 Monate alt. Der Terrier ist Freund der Kundschaft und passt im Laden auf.

So richtig in Ruhe kann man sich dort übrigens nicht unterhalten. Es ist ein ständiges Kommen, Schnacken und Gehen. „Auf zu Andrea!“, rät Rita Knüppel deshalb. Ihre Tochter betreibt seit zehn Jahren den Imbiss Croque Master zwei Ecken weiter in der Hospitalstraße. Gesagt, gegangen. Lautes Hallo zur Begrüßung, dann gibt’s Kaffee und Cola.

Frau Knüppel und Herr Zeih sprechen die Sprache des Handels. Beide sind in Hamburg geboren, beide haben als Kinder mit Kaufmannsläden gespielt, beide verstehen eine Menge vom feinen Händchen für Dienstleistung, beide haben das Herz auf dem rechten Fleck. Jeder hat seinen eigenen Stolz und weiß um die Bedeutung des persönlichen Schaffens. Bodenhaftung stimmt hier wie dort. Und einer wie dem anderen ist die Leidenschaft für den Beruf anzumerken. Wissbegierde und Neugier an der Arbeit machen Teil neun der Hamburger Begegnungen zu einem spannenden Termin. Der Austausch läuft hochtourig.

Getreu der Grundidee dieser Serie: Menschen aus einem Metier, die unter komplett unterschiedlichen Bedingungen arbeiten, reichen sich die Hand und blicken gemeinsam über den Tellerrand. Nicht klein oder groß sind entscheidend, sondern die anderen Vorzeichen der Arbeit. Genau das macht den Charakter wie den Charme aus. Lautes Lachen schallt durch den Croqueladen. Da verstehen sich zwei.

„Wo und wie kaufen Sie ein?“, will Dieter Zeih wissen. Zweimal die Woche fährt Rita Knüppel mit ihrem Kombi zum Großhändler Fegro in die Kohlentwiete nach Bahrenfeld, um Nachschub zu besorgen. Was nicht mehr Platz im Verkaufsraum findet, wird in zwei kleinen Abstellräumen gelagert. „Ich mache täglich Kasse“, sagt sie. Abends kommt das Bargeld zur Bank. Anschreiben gibt’s nur in Ausnahmefällen und bei Stammkunden. Zwar beschäftigt sie einen Steuerberater, doch den Bürokram am Wochenende übernimmt die Chefin selbst. Auch ein Grund, warum sie den von ihr favorisierten HSV kaum live im Stadion sehen kann.

Dieses Schicksal teilt HSV-Anhänger Dieter Zeih: Am Sonnabend ist nachmittags im AEZ Großkampftag. Es gibt 51 Abteilungen. Allein im Spielzeugbereich werden 9870 Artikel geführt. Da etliche mehrfach bereitstehen, beträgt die Warenmenge dort 48.600 Stück. Täglich fahren ein bis zwei Sattelzüge vor, um Nachschub zu liefern. Die Ein- und Ausgänge werden elektronisch verbucht: Mit einem Klick kann Zeih auf seinem Computer erkennen, wie der jeweilige Stand ist. Das Ganze ist so perfekt organisiert, dass die Inventur während normaler Öffnungszeiten vorgenommen werden kann.

Die Inventur ist im Kiosk jedes Jahr im Januar harte Handarbeit

Rita Knüppel und ihre Damen legen am ersten Sonnabend im Januar los. Bei ihnen sind Handarbeit und Listenführung angesagt. „Gut zu wissen, was man hat“, sagt sie. Schließlich ist die Ware ihr Kapital. Alles muss vorher bezahlt werden. Altkuchen oder Produkte mit gerade abgelaufenem Haltbarkeitsdatum werden dem sozialen Projekt Mahlzeit gespendet. Da der Kaufhof keinen Supermarkt mit Lebensmitteln führt, erübrigt sich dieses Problem. Dafür gibt es in der Filiale das Kundenrestaurant Dinea. Zeih und Mitarbeiter können sich zum Kantinentarif am Büffet bedienen. Damit hat der Single einen Großteil der privaten Versorgung geklärt. Bisweilen kocht er auch zu Hause, gerne italienisch.

Natürlich nutzt Rita Knüppel die Großmarkteinkäufe auch für den Eigenbedarf. „Ich kaufe grundsätzlich das, was ich selber gerne mag“, sagt sie schmunzelnd. „Hoffentlich schmeckt es auch dem Kunden.“ Einen richtigen Langzeitplan in Sachen Nachlieferung hat sie nicht. Oft greift sie spontan „und aus dem Bauch raus“ zu. Deswegen gibt es diese Woche zum Beispiel Helgoländer Waffeln – und nächste Woche vielleicht nicht. Der Luxus dieser Freiheit sei unbezahlbar.

Im Sauseschritt streift das agile Duo weitere Themen. Es geht um einen halbstündigen Beitrag jüngst im NDR-Fernsehen mit dem Titel „Kultkiosk mit Herz“, um die Straßenparty neulich zum 30. Geburtstag des Ladens mit reichlich Nachbarschaftsschnack, um die elektronische Datenverarbeitung und den Lieferservice im Hause Galeria Kaufhof, aber auch um private Träume. Während es Dieter Zeih im kommenden Jahr nach Miami zieht, plant Rita Knüppel „irgendwann“ einen Besuch ihrer in Kanada lebenden Schwester. In drei Jahren, dass hat sie sich felsenfest vorgenommen, ist Schluss mit der Plackerei im Laden.

Das findet nicht nur Gesprächspartner Dieter Zeih spannend. Beiderseits lustvoll wird das finale Thema dieser Hamburger Begegnung angesteuert. „Reize sind meine persönliche Freiheit, die Unabhängigkeit und der Spaß an der Arbeit“, ruft Rita Knüppel temperamentvoll. „Jeder Tag bringt Überraschungen und unerwartete Erlebnisse“, schildert Dieter Zeih die Pluspunkte seines Berufs.

Das Credo des Dieter Zeih: „Handel heißt Handeln.“ Und Rita Knüppel stellt fest: „Ich liebe meinen Beruf!“ Wie gut, dass ihre Tochter Kaffeenachschub bringt. Inbrünstig geht das Gespräch weiter.