Als Kurden und Salafisten in St.Georg aufeinandertreffen, eskaliert die Gewalt. Es berichten Michael Arning, Denis Fengler, Edgar Hasse, Hanna-Lotte Mikuteit, Christian Unger und Andre Zand-Vakili

St.Georg. Es waren nur zwei, drei Minuten, in denen die beiden verfeindeten Gruppen auf dem Steindamm direkt aufeinandertrafen. Doch die rohe Gewalt, die sich in der Straßenschlacht entlud, übertraf, was die Hansestadt zuletzt erleben musste, von den Ausschreitungen Tausender Linksradikaler im Dezember vielleicht abgesehen. Mit Radkreuzen, Macheten, langen Messern, Dönerspießen, Fleischerhaken und Holzlatten gingen Salafisten und Kurden aufeinander los. 14 Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schwer. 22 Personen nahm die Polizei fest oder in Gewahrsam. Eine Chronologie der Ereignisse in der Nacht zum Mittwoch:

20 Uhr Eine Gruppe junger Männer, 50 insgesamt, teils mit Knüppeln bewaffnet, zieht aus Richtung Wandsbek über den Steindamm. Vor dem kurdischen Kulturzentrum bleiben die Männer stehen. Sie sollen allesamt der salafistischen Szene angehören, einer radikalislamischen Bewegung, die das Morden der Terrororganisation Islamischer Staat in Teilen unterstützt. Die Polizei geht davon aus, dass sich die Salafisten über Facebook mobilisierten, um das Kulturzentrum zu attackieren. Doch dazu kommt es nicht.

20.10 Uhr Nach ersten Pöbeleien, Drohgebärden und Handgreiflichkeiten flüchten die Salafisten in die Straße Kleiner Pulverteich und dort in die Al-Nour-Moschee. Grund: Sie sind schnell in der Unterzahl. Unterstützung erhalten die Kurden in dem Kulturzentrum von den Teilnehmern einer Demonstration, die am Hauptbahnhof zu Ende gegangen war. Etwa 75 Kurden folgen den Flüchtenden. Zivilfahnder auf dem Steindamm, die diese erste Auseinandersetzung beobachten, fordern Unterstützung an. Die Polizei riegelt die Eingänge zum Kleinen Pulverteich ab. Die auf mittlerweile mehrere Hundert Personen angewachsene Kurdengruppe, darunter Junge und Alte, und die Salafisten sind getrennt. Vorerst.

In der Al-Nour-Moschee sind 50 Gläubige beim Abendgebet, als sich die 30 Salafisten Zugang verschaffen. „Die waren wohl auf der Flucht vor den Kurden. Wir waren die einzige Moschee, die zu dem Zeitpunkt noch offen war“, berichtet Daniel Abdin, Vorsitzender des islamischen Zentrums Al-Nour. „Die Männer blieben zunächst im Eingangsbereich, einige gingen auch in den Innenbereich. Das waren Wildfremde für uns“, so Abdin. Die Gemeindemitglieder hätten dann mit der Polizei gesprochen und auf ihr Hausrecht bestanden. „Das war Hausfriedensbruch.“

20.30 Uhr Die Salafisten aber wollen nicht gehen, auch die Polizei will sie nicht wieder herauslassen. Norbert Müller, Mitglied im Vorstand der Al-Nour-Gemeinde und im Rat der Islamischen Gemeinden, der Schura, erhebt schwere Vorwürfe: „Wir haben uns von der Polizei alleingelassen gefühlt. Nach meiner Einschätzung waren die Beamten mit der Lageeinschätzung überfordert.“ Er und andere Gemeindemitglieder hätten die Salafisten aufgefordert zu gehen. Ohne Erfolg. „Die standen mit dem Knüppel vor uns und haben uns Prügel angedroht.“ Unter Polizeigeleit können die Gemeindemitglieder die gekaperte Moschee schließlich verlassen.

23 Uhr Eineinhalb Stunden bleibt es ruhig. Dann kommt am Steindamm Bewegung auf. Eine große Gruppe Salafisten, viele aus dem Hamburger Umland herbeitelefoniert, wollen ihren Glaubensbrüdern zu Hilfe eilen. Als sie auf die Kurden stoßen, spielen sich entsetzlich brutale Szenen ab. Verletzte bleiben auf dem Asphalt liegen. Augenzeugen berichten von offenen Beinwunden, blutenden Bauchwunden. Jeweils 400 Menschen sollen auf beiden Seiten aneinandergeraten sein.

23.05 Uhr Die Angreifer flüchten über die Böckmannstraße und Lindenstraße in Richtung Kurt-Schumacher-Allee, wo die Polizei mit Wasserwerfern steht. Die Auseinandersetzungen verlagern sich in die Seitenstraßen, wo sich Kleingruppen bis aufs Blut bekämpfen.

23.10 Uhr Die Feuerwehr trifft mit mehreren Rettungswagen am Steindamm ein, versorgt die Verletzten. Verstärkung kommt mit einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) und der 4. Hundertschaft. Über den Steindamm wachen damit vier Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, auf dem sich noch immer Hunderte Kurden aufhalten. Die Stimmung ist aggressiv, die Polizei aber bleibt in dem Konflikt außen vor. Wie die Polizei betont, gab es keine Gewalt gegen Beamte.

23.30 Uhr Die Polizei fordert die verbliebenen, knapp 150 Kurden auf, den Steindamm zu räumen und ihre Waffen abzulegen. Einige Männer errichten daraufhin Barrikaden aus Bauzäunen. Die Polizei beginnt, einzelne Menschen von der Straße zu drängen.

0.00 Uhr Die Polizei fährt Wasserwerfer auf und räumt die Straße. Die Menschen werden mit Wasser und von den Polizisten in Richtung Lübeckertordamm gedrängt. Dort löst sich die Menge auf. Kurz nach 1Uhr am frühen Morgen ist der Polizeieinsatz beendet.

Auch am Mittwochabend – nach einer zunächst friedlichen Demonstration in Altona – zogen Kurden in kleinen Gruppen durch St. Georg. Rund 1000 Polizeibeamte riegelten den Steindamm ab und nahmen dort mehrere bewaffnete Männer fest oder in Gewahrsam. Bei ihnen wurden unter anderem eine vermutlich scharfe Schusswaffe, Äxte und Macheten sowie Schlagwerkzeuge entdeckt. Ein Mann, vermutlich Kurde, erlitt am Kreuzweg eine Platzwunde am Kopf. Er wurde in ein Krankenhaus eingeliefert.