Als Hamburg 1842 vom Großen Brand heimgesucht wird, klettert Hermann Biow aufs Dach der Börse und fotografiert die rauchenden Trümmer. Dabei entstehen die ersten Reportagefotografien.

Oft muss er husten, die Luft ist beißend, und noch immer riecht es nach Rauch. Eine gute halbe Stunde dauert es, bis man ihn endlich vorlässt. In diesen Tagen ist die Obrigkeit misstrauisch, und die Nerven liegen blank. Gibt es doch viele Plünderer, die die Not der Opfer schamlos ausnutzen und Gewinn aus der Katastrophe ziehen. Noch immer kann niemand verstehen, was in den vergangenen vier Tagen geschehen ist. Das alte, das vertraute Hamburg gibt es nicht mehr. Häuser, Kirchen, komplette Straßenzüge sind verschwunden. Die Stadt liegt in Trümmern.

Geduldig hat Hermann Biow dem Wächter am Eingang zur neuen Börse erklärt, warum er das Gebäude unbedingt betreten muss. Warum er jetzt aufs Dach steigen will, um seine Arbeit zu tun. Seine Arbeit? Ach, das versteht ja kaum jemand. So muss Biow schon Namen ins Feld führen, prominente Kaufleute, Angehörige der vornehmen Familien der Hansestadt, die sich für ihn und seine Kunst verbürgen würden, wenn man sie denn zurate zöge. Immerhin hat der Schlesier, der seit 1836 in Hamburg lebt und fünf Jahre später in Altona ein Atelier eröffnete, schon manche von ihnen porträtiert: Ratsherren, reiche Übersee-Händler, Reeder, Pastoren, Juristen, Gelehrte. Sie alle sind im letzten halben Jahr zu ihm nach Altona gekommen, haben sich getreu seinen Anweisungen im Atelier hin und her dirigieren lassen, haben sich auf Sessel gesetzt oder auf die griechische Säule aus Pappmaschee gelehnt und minutenlang stillgehalten, so lange, bis er ihnen erlaubt hat, sich wieder zu bewegen. Manche dieser Herren waren dabei recht mürrisch, hatten sichtlich Mühe, sich seinen Vorgaben zu fügen. Waren es wohl nicht gewohnt, die Anweisungen eines anderen zu befolgen.

Aber als er ihnen später die Daguerreotypien überreichte, die auf geisterhafte Weise mit Licht gemalten Porträts, die manchmal zwar nicht gerade schmeichelhaft wirkten, die aber andererseits so unzweifelhaft und unbestechlich wirklichkeitsgetreu waren, bedankten sich die hohen Herren mit scheuem Lächeln und hohem Trinkgeld.

Nun müssen die Namen Sieveking und Jenisch, Meyer und Abendroth als Gewährsleute für ihn und seine Kunst herhalten. Und bei so viel Prominenz gibt sich der Wachmann am Eingang der Börse irgendwann geschlagen und gestattet Hermann Biow schließlich, mit seinem fotografischen Apparat das Gebäude zu betreten. Weist ihm sogar den Weg über Gänge und Treppen hinauf aufs Dach, das Biow, der schon etwas beleibter ist und außerdem schwer an seinem Holzkasten zu tragen hat, wenig später schweißüberströmt und atemlos betritt.

Was er nun sieht, macht ihn fassungslos. Trümmer, Ruinen, rauchende Mauerstümpfe, wohin das Auge blickt. St. Nikolai verschwunden. St. Petri ein Trümmerhaufen. Die runde Kuppel der Gertrudenkapelle nicht mehr zu sehen. Vertraute Häuser sind zerborsten, wie Ameisen laufen die Menschen durcheinander. Sie schleppen Bündel, Säcke, manchmal Möbelstücke mit sich, die sie wahrscheinlich aus ihren halb zerstörten Häusern noch retten konnten. Oder sind es die dreisten Plünderer, vor denen allenthalben gewarnt wird. Gewissenlose Elemente, die nur vorgeben, ihr Eigentum bergen zu wollen? Die Polizisten blicken zwar streng, sind aber überfordert und können rechtmäßige Eigentümer von Dieben kaum unterscheiden.

„Das war knapp“, sagt der Börsenwächter und reißt Hermann Biow aus seinen Gedanken. „Von allen vier Seiten züngelten die Flammen nach unserem Haus, das doch erst vor fünf Monaten eingeweiht worden ist“, sagt der alte Mann und weist mit großer Geste um sich. Biow hat schon gehört, wie dramatisch der Kampf um die Börse am 6. Mai gewesen ist, dem zweiten Tag des Großen Brandes, der erst jetzt, am 8. Mai, endgültig gelöscht ist. In letzter Minute ist es den Feuerwehrleuten gelungen, die Flammen von dem einst schneeweißen und jetzt ziemlich verrußten Prachtbau, den die Herren Carl Ludwig Wimmel und Franz Gustav Forsmann 1839 bis 1841 errichtet haben, fernzuhalten. Biow dreht sich noch einmal um, wendet sich nach Süden und versucht, im rauchigen Dunst die Deichstraße zu erkennen. Dort, das weiß er längst, ist es in den Morgenstunden des 5. Mai ausgebrochen, dieses verheerende, alles verzehrende, weder Arm noch Reich schonende Feuer, das schon bald der Große Brand genannt werden wird.

Nicht mehr als drei dieser einzigartigen Fotodokumente sind erhalten geblieben

Biow sieht hinüber zum Jungfernstieg, wo sein Kollege und Geschäftspartner Carl Friedrich Stelzner Haus und Besitz verloren hat. Dort ragen die verkohlten Rümpfe der Linden anklagend in den Himmel. Am Horizont erkennt er die Windmühle an der Lombardsbrücke – bis dahin hat das Feuer gewütet. Biow bückt sich, öffnet den Kasten und holt ein Stativ hervor. Dann schraubt er einen hölzernen Apparat darauf, hantiert an Knöpfen und Rädern aus blinkendem Messing und verschwindet schließlich unter einem schwarzen Tuch. Was er jetzt tut, wird in die Geschichte eingehen, wenigstens in die Geschichte der Fotografie. Das Bild mit den rauchenden Trümmern der Stadt, ein trostloser Blick über Jungfernstieg und Binnenalster bis hin zur Lombardsbrücke, ist das weltweit erste Reportagefoto.

Am 2. Juni 1842 kann man im angesehenen „Hamburgischen Correspondeten“ lesen, dass es sich der Fotograf Hermann Biow zur Aufgabe gemacht habe, „die noch rauchenden Ruinen zu durchwandern, und ehe die Notwendigkeit die noch stehenden großartigen Trümmer umstürzte, hat er dieselben nach allen Richtungen auf seine Silberplatte fixiert und so eine historisch unschätzbare Sammlung hervorgerufen, die als treue Abdrücke der Natur den späteren Zeiten ein wahrhaftes Bild der Verwüstung zeigen wird, die das furchtbare Element an jenen für Hamburgs Geschichte ewig denkwürdigen Schreckenstagen anrichtete.“

Ein paar Tage später, aber noch im Mai 1842, erscheint Hermann Biow auf einer Sitzung der „Artistischen Section“ des Historischen Vereins, dem Künstler, aber auch Kaufleute und Juristen angehören. Biow ist Sohn eines Malers, hat selbst als Maler und Grafiker gearbeitet, bevor er mit der Fotografie Neuland betrat.

Die vornehmen Herren beugen sich über einen großen Tisch, auf dem der Fotograf insgesamt 46 seiner Daguerreotypien ausbreitet, die er in den vergangenen Tagen in der zerstörten Stadt aufgenommen hat. Man hält die Köpfe schief, runzelt die Stirn und weiß nicht so recht, was man von diesen seltsamen Bildern halten soll, die nur aus Licht bestehen.

Wie haltbar sind sie überhaupt, lösen sie sich vielleicht bald in nichts auf? Leidenschaftlich setzt sich der Maler Martin Genseler dafür ein, die einzigartigen Bilder komplett anzukaufen und damit für Hamburg zu sichern. Den Ausschlag gibt schließlich der Kaufpreis. Biow fordert für die vollständige Sammlung 500 Courantmark – eine Summe, die kein Kaufmann für etwas ausgibt, dessen Gegenwert er nicht wirklich einzuschätzen weiß.

So verliert sich die Spur dieser großartigen Sammlung, deren Bedeutung für die Frühgeschichte der Fotografie ebenso gewichtig ist wie für die Geschichte Hamburgs. Nur drei Motive davon sind erhalten geblieben, eins im Hamburg Museum, die beiden anderen in der Fotosammlung des Museums für Kunst und Gewerbe.

1849 verlässt Hermann Biow Hamburg und gründet in Dresden ein neues Atelier. Doch schon ein Jahr später erliegt er einer Leberkrankheit. Ursache sind wahrscheinlich die giftigen Quecksilberdämpfe, die er jahrelang beim Entwickeln seiner Daguerreotypien eingeatmet hat.