Schleswig-Holsteins Ressortchef Reinhard Meyer über Gründe der maroden Infrastruktur, mögliche Lösungswege – und wie man die finanzieren kann.

Kiel. Reinhard Meyer (SPD) ist derzeit „Hochbrückenminister“. Kaum ein Tag, an dem er nicht mit dem maroden Bauwerk bei Rendsburg zu tun hat, das im Verlauf der Autobahn 7 über den Nord-Ostsee-Kanal führt. Schleswig-Holsteins Verkehrsminister hat das Pech, für die aus dem Jahr 1972 stammende Stahlkonstruktion zuständig zu sein, obwohl sie dem Bund gehört. Im Abendblatt-Interview erklärt Meyer, wie es mit der Brücke weitergeht – und wie es Deutschland schaffen kann, den Sanierungsstau bei den Verkehrswegen zu beseitigen.

Hamburger Abendblatt: Herr Meyer, Sie sind seit Jahresanfang Vorsitzender der Länderverkehrsministerkonferenz. Deutschlands Verkehrswege haben einen Sanierungsstau von 7,2 Milliarden Euro. Das hat eine Kommission im Auftrag der Verkehrsminister festgestellt. Wo soll diese gewaltige Summe herkommen?

Reinhard Meyer: 7,2 Milliarden brauchen wir allein, um in den Bereichen Straßen, Wasser und Schiene die Struktur zu erhalten. Da ist nicht ein Kilometer Neubau dabei. Daran kann man erkennen, welche Dimension das Problem hat und was wir in der Vergangenheit versäumt haben. Die Länderverkehrsminister werden gemeinsam mit dem Bundesverkehrsminister unmittelbar nach der Bundestagswahl Vorschläge machen, woher dieses Geld kommen soll. Dieses Thema muss in den Koalitionsverhandlungen platziert werden. Es gibt unterschiedliche Finanzierungsmodelle, die zum Teil in der politischen Debatte umstritten sind. Eine Pkw-Maut beispielsweise halte ich nur dann für sinnvoll, wenn es uns gelänge, denjenigen, denen wir das Geld abnehmen, ganz transparent nachzuweisen, dass jeder eingenommene Euro für die Straßen ausgegeben wird.

Klappt das bei der Lkw-Maut nicht?

Meyer: Schon bei der Lkw-Maut haben Sie Kosten für die Erhebung der Maut. Da geht ein sehr hoher Betrag an Toll Collect, an die Firma, die das macht. Die Einnahmen kommen also nicht 1:1 der Infrastruktur zugute, weil ein Unternehmen davon profitiert, weil ein aufwendiges System gepflegt wird. Da ist sehr viel Bürokratie dabei. Wir sollten Geld einsammeln – durch welches System auch immer –, einen Fonds damit bilden wie in der Schweiz und dann entscheiden, was wir damit machen. Stattdessen gehen wir jedes Jahr wieder zum Haushaltsgesetzgeber und betteln darum, dass wir Geld für dieses und jenes brauchen. Die Schweizer dagegen machen das anders und orientieren sich am langjährigen Bedarf. Das schafft Planungs- und Kostensicherheit. Darüber müssen wir reden.

Woher soll das Geld kommen?

Meyer: Wir haben den Solidaritätszuschlag. Der bringt im Moment 13,6 Milliarden Euro pro Jahr. Wir wissen, dass davon vier Milliarden Euro nicht in den Aufbau Ost gehen. Die landen im Bundeshaushalt. Da ist es recht und billig zu fordern, dass wir diese vier Millionen Euro für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur einsetzen. Das ist begrenzt bis 2019, denn dann läuft der Solidarpakt aus. Vier Milliarden Euro sind zwar deutlich weniger als 7,2 Milliarden Euro, aber damit ließe sich schon etwas anfangen. Vorteil ist auch: Das Geld stünde sofort zur Verfügung. Eine Pkw-Maut zum Beispiel müsste erst eingeführt werden und wirft deshalb viel später Geld ab.

Von einer Erhöhung der Kfz- oder der Mineralölsteuer halten Sie nichts?

Meyer: Das würde bedeuten, dass man die Bürger zusätzlich belastet. Aber das Geld ist da, es steckt im Solidarpakt.

Nun wissen wir nicht, wer nach der Bundestagswahl in Koalitionsgespräche einsteigt. Ist das nicht auch ein bisschen ein Vabanquespiel, das Sie da betreiben?

Meyer: Nein, die Länderverkehrsminister sind sich parteiübergreifend einig, dass wir unsere Vorschläge vorlegen werden – ganz egal, wer da mit wem spricht. Das ist unsere einzige Chance. Das Zeitfenster ist nur ganz kurz. Am 2.Oktober treffen sich die Verkehrsminister zu einer Sonderkonferenz in Berlin, und dann schauen wir mal, wie mutig wir sind.

Seit wann wissen Sie von den Problemen der Rader Hochbrücke?

Meyer: Ich bin am 25. Juli abends telefonisch über die mögliche Sperrung der wichtigsten Brücke in Schleswig-Holstein informiert worden. Sie können sich vorstellen, dass ich sehr überrascht war. Bei den Sanierungsarbeiten sind erhebliche Schäden festgestellt worden. An tragenden Pfeilern waren da, wo eigentlich Beton sein sollte, Hohlräume. Die Statiker haben dann gesagt, dass wir die Nutzlast auf der Brücke ganz erheblich reduzieren müssen, weil wir sonst die Verkehrssicherheit gefährden. Diese Situation ist nicht schön, aber Verkehrssicherheit steht an erster Stelle.

Ist die Brücke nicht regelmäßig überprüft worden? Ist da gepfuscht worden?

Meyer: Ich habe schon von „Pfusch am Bau“ gesprochen. Das werden wir alles aufklären. Beim Bau der Brücke vor 40 Jahren ist offenbar nicht alles so gemacht worden, wie es hätte gemacht werden sollen. Bei tragenden Pfeilern hat man, wenn sie innen hohl sind, Leitern, die nach oben führen, damit man das Innere des Pfeilers kontrollieren kann. Die sind bei der Rader Hochbrücke erst im Jahr 2007 nachgerüstet worden, also 35 Jahre nach Fertigstellung. Vorher hatte man also gar keine technische Möglichkeit, den schlechten Zustand der Pfeiler zu bemerken. 2009 gab es dann eine Brückenhauptprüfung, da ist Sanierungsbedarf festgestellt worden. Die Verkehrssicherheit war damals noch nicht gefährdet. Eine erste Ausschreibung zur Sanierung ist 2011 kassiert worden, man hat kein Unternehmen gefunden. Bei einer erneuten Ausschreibung klappte es dann doch, und diese Firma hat die Schäden gefunden.

Man hätte diese Schäden also durchaus früher feststellen können, wenn es die Probleme bei der Ausschreibung nicht gegeben hätte?

Meyer: Davon gehe ich aus. Aber das ist jetzt müßig. Insofern sage ich auch der Opposition, dass wir durchaus eine Debatte darüber führen können, wer jetzt wann was gemacht oder was nicht gemacht hat. Aber das ist eigentlich irrelevant. Viel wichtiger ist, dass wir die Brücke so schnell wie möglich sanieren.

Haben die zunehmenden Schwertransporte die Schäden hervorgerufen?

Meyer: Ja, das ist so. Das gilt aber für alle Brücken in Deutschland, die damals gebaut worden sind. Die waren nicht für die Schwertransporte der heutigen Zeit konzipiert – weder für die Zahl noch für das Gewicht einzelner Transporte.

Spielen bei der Rader Hochbrücke die vielen Windenergieanlagen eine Rolle, die über die Brücke rollen?

Meyer: Ich glaube nicht, dass das monokausal ist. Wir haben eine Zunahme an Güterverkehr, die bei der Planung der Brücke einfach nicht vorhersehbar war. Sie ist 1972 fertiggestellt worden, die Planungen stammen also aus den 60er-Jahren. Seitdem hat sich der Verkehr erheblich vermehrfacht.

Lassen sich mit zunehmendem Sanierungsfortschritt an der Brücke vielleicht doch bald wieder zwei Spuren pro Fahrtrichtung für den Pkw-Verkehr freigeben?

Meyer: Das kann ich im Moment nicht sagen. Wir gehen bei der Sanierung in zwei Schritten vor. Erst bekommen die Pfeiler eine Stahlummantelung, dann werden die Lücken im Beton gestopft. Wenn die Experten sagen, dass die Stahlummantelungen der Pfeiler zu einer zusätzlichen Stabilität führen, dann würden wir zwischendurch mehr Verkehr auf die Brücke lassen können. Wir werden immer wieder prüfen, ob das möglich ist. Aber die Verkehrssicherheit steht an erster Stelle.