Warum uns mehrere Großbaustellen wie jene über den Nord-Ostsee-Kanal drohen

Ärgerlich, traurig, peinlich, empörend, beängstigend. Es gibt mehr Adjektive, den Zustand an der Rader Hochbrücke zu beschreiben, als Möglichkeiten, die unglaubliche Baustelle am Nord-Ostsee-Kanal zu umgehen. Wer in diesen Tagen sieht, wie Polizisten unter großen Sonnenschirmen an allen Zugängen zur maroden Brücke aufpassen müssen, dass kein zu schwerer Lkw sich in die Reihe der Pkw und Wohnwagen schummelt, kann neben Mitleid auch Wut bekommen.

Mitleid mit den Beamten, die dort mit tropischen Temperaturen und schwerer Luft zu kämpfen haben und dafür bestraft werden, dass man sich irgendwo anders zu lange keine Gedanken über den Zustand der Brücke gemacht hat. Wut, dass in einem Land wie dem unsrigen die Infrastruktur derart marode ist, dass selbst ein paar Lkw eine Gefahr für ein imposantes Bauwerk wie die Rader Hochbrücke sein können. Kommt hinzu, dass sich das Verkehrsdrama ausgerechnet mitten in den Ferien ereignet, in diesen wenigen Wochen guten Wetters, in denen es Hunderttausende Richtung Nord- und Ostsee zieht.

Es ist ein Desaster, und man mag sich gar nicht vorstellen, dass die Situation rund um Rendsburg noch mehrere Monate anhalten wird. Zumal die wichtigste Umleitung durch den dortigen Tunnel ja ebenfalls eingeschränkt ist, weil der saniert wird/werden muss …

Wer die Rader Hochbrücke in den vergangenen Monaten und Jahren mehrmals im Jahr überquert hat, und das waren unzählige Hamburger, die dort oben in Schleswig-Holstein gern verlängerte Wochenenden machen, ob nun im Ferienhaus oder in der Ferienwohnung, der wird nachdenklich: Wie sicher war es denn zuletzt, diesen Weg zu nehmen? Werden die Brücken in Norddeutschland überhaupt vernünftig und regelmäßig kontrolliert?

Und wenn ja: Wie ist dann zu erklären, dass es in diesem konkreten Fall zu einer Vollbremsung kam, um in der Sprache des Verkehrs zu bleiben? Nein, man fühlt sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass Lkw, wenn überhaupt, derzeit nur in einem Abstand von 100 Metern über den Nord-Ostsee-Kanal fahren dürfen …

Wie angeschlagen muss eine Hochbrücke sein, für die man solche Vorschriften erlässt? Für deren Schutz man rund um die Uhr Polizeibeamte abstellt, die man sicher an vielen anderen Orten genauso gut oder besser gebrauchen könnte? Der Fall erschüttert das Vertrauen in das, was bei uns staatliche Daseinsvorsorge genannt wird und in diesem Fall schlicht die Pflege von Verkehrswegen meint, nachhaltig. Kann man sich auf Deutschlands Straßen wirklich noch gut aufgehoben fühlen? Die Frage ist rhetorisch, und die Rader Hochbrücke dürfte erst der Anfang einer Reihe weiterer Großbaustellen sein, die uns in den nächsten Jahren unangenehm überraschen werden – gerade im Norden, der ja von der Berliner Politik in der Vergangenheit bei Verkehrsprojekten gern einmal stiefmütterlich behandelt wurde. Deutschland macht die gleichen Fehler, für die man früher einmal die Vereinigten Staaten von Amerika belächelt hat. Es lässt seine Infrastruktur verkommen, die wichtigen Adern einer Exportnation, und ist inzwischen nur noch in der Lage, die dringlichsten Mängel zu beheben. Ansonsten hat sich ein Investitionsstau gebildet, gegen den die Fahrzeugkolonnen an der Rader Hochbrücke fließender Verkehr sind.

Schnell lässt sich daran, an den Zehntausenden maroden Brücken, an miesen Straßen und uralter Technik auf Wasserwegen (Nord-Ostsee-Kanal, die Zweite!) nichts ändern. Trotzdem muss man sich des Themas, muss man sich der Infrastruktur jetzt annehmen, wenn man verhindern will, dass es eines Tages überall in Deutschland so zugeht wie jetzt an der Rader Hochbrücke. Soll heißen: dass in einer der wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt einfach nichts mehr geht.

Es ist ärgerlich, traurig, peinlich, empörend – und nicht mehr hinnehmbar.