Jeder vierte Fall vor Hamburgs Zivilgerichten beschäftigt sich mit dem Herunterladen von Musik- oder Filmdateien. Zahl der Richter auf 17 aufgestockt.

Hamburg. Vor Richter Hans Christian Lohmann am Amtsgericht Hamburg-Mitte stehen meist gestandene Familienväter, die bisher nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Dennoch werden sie mit hohen Schadenersatzforderungen konfrontiert. Es geht um Urheberrechtsverletzungen im Internet, dem unberechtigten Herunterladen von Musik, Filmen, Computerspielen, Fotos oder Texten. Das geschieht häufig in Tauschbörsen über sogenanntes Filesharing. "Ob der Beschuldigte dafür verantwortlich ist, das ist oft schwer zu ermitteln. Zu komplex ist der genaue Sachverhalt", sagt Lohmann und rät den Beteiligten zu einem Vergleich. Vor Gericht stehen die Männer, weil sie Inhaber eines Internetanschlusses sind, von dem die Urheberrechtsverletzung begangen worden sein soll. Immer mehr Beschuldigte ignorieren offenbar die Abmahnungen und Forderungen der auf Urheberrechtsverletzungen spezialisierten Kanzleien und landen deshalb vor Gericht.

Fast jeder vierte Fall in Zivilsachen in Hamburg dreht sich um das Urheberrecht. Eine solche Konzentration gibt es in keinem anderen Bereich, selbst nicht bei Miet- oder Verkehrsrechtssachen. "Wir rechnen damit, dass sich die Fälle innerhalb von zwei Jahren verzehnfachen werden und haben deshalb weitere Richter für diesen Bereich abgestellt, die aber bei anderen Verfahren fehlen, weil es keine zusätzlichen Richterstellen gibt", sagt Matthias Buhk, Direktor des Zivilsegments des Amtsgerichts Hamburg. Seiner Einschätzung liegt eine Hochrechnung des Amtsgerichts Hamburg-Mitte zugrunde, an dem alle Urheberrechtsverfahren konzentriert werden. Danach wird in diesem Jahr mit 3000 Verfahren gerechnet. 2011 waren es erst 270. Allein im ersten Quartal wurden 753 Falleingänge registriert. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum ist das eine Zunahme um 23 Prozent.

Von den Kanzleien, die sich auf Urheberrechtsverletzungen spezialisiert haben, kommt jede dritte aus Hamburg. "Sie haben die Möglichkeit in der Hansestadt zu klagen, auch wenn die Beklagten hier nicht ihren Wohnsitz haben", sagt Lohmann. "Auf der anderen Seite verteidigen sich die Beklagten aktiver als bisher, weil sie entsprechende Hinweise zu Verteidigungsstrategien im Internet finden." Rund jeder zweite wagt sich ohne Verteidiger in ein solches Verfahren. Lohmann meint, "dass der Anstieg der Verfahren noch nicht vorbei ist".

Der große Schub neuer Fälle wird wegen der Verjährungsproblematik erst zum Jahresende erwartet. So stiegen die Urheberrechtsverfahren im Dezember 2012 um 55 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Da zum Jahresende immer die Verjährung droht, steigt der Eingang stark an. "Wegen der dreijährigen Verjährungsfrist erreichten uns im Dezember 2012 noch viele Fälle aus dem Jahr 2009", sagt Lohmann. "Bisher haben sich vier Richter mit den Fällen beschäftigt, vor wenigen Jahren genügte noch einer", sagt Buhk. "Jetzt haben wir 17 Richter, die auch für Urheberrechtsverfahren zuständig sein werden, um für die Zukunft gerüstet zu sein."

Wer Urheberrechte verletzt, muss damit rechnen, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, Schadenersatz zu leisten und die Anwaltskosten zu bezahlen. Die durchschnittlichen Forderungen bewegen sich nach einer Aufstellung der Interessengemeinschaft gegen den Abmahnwahn (IGAW) je nach Kanzlei zwischen 463 Euro und 1565 Euro pro Fall. Im Einzelfall liegen die Forderungen aber weit darüber. Zu den am häufigsten abgemahnten Werken 2012 zählten nach Angaben der IGWA der Kinofilm "Ziemlich beste Freunde" und das Album "Echt" der Band Glasperlenspiel. Die Werke werden über Tauschbörsen im Internet heruntergeladen und gleichzeitig vielen anderen Nutzern unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Aus diesem Umstand werden die hohen Schadenersatzforderungen abgeleitet, die weit über dem Ladenpreis der Werke liegen. "Häufig geht es beim Schadenersatz um eine Größenordnung von 150 bis 450 Euro. Hinzu kommen Abmahnkosten in oft knapp vierstelliger Höhe", sagt Lohmann. "Ich kann beide Seiten verstehen", sagt er. Für die Beschuldigten sei die Höhe der Ansprüche problematisch. "Doch die Rechteinhaber müssen auch ihre Interessen durchsetzen. Wenn ihre Werke kostenlos getauscht werden, können sie kein Geld mehr verdienen."

Verbraucherschützer und Anwälte raten Betroffenen zu einer außergerichtlichen Lösung. "Das ist immer billiger, als wenn erst vor Gericht ein Vergleich geschlossen wird", sagt der Hamburger Anwalt Henning Werner von der Hamburger Kanzlei RHS, der für die Verbraucherzentrale arbeitet. Außerdem warnt er davor, die geforderte Unterlassungserklärung zu unterschreiben. "Es gilt, eine modifizierte Unterlassungserklärung abzugeben, die kein Schuldeingeständnis ist und es vermeidet, schon eine Schadenersatzhöhe für einen künftigen Verstoß festzulegen." Im zweiten Schritt sollte versucht werden, Schadenersatz und Anwaltsgebühren zu reduzieren.

Den ersten Rat beherzigen die meisten, doch die Geldforderungen bleiben sie schuldig. Klagefreudige Kanzleien ziehen die Beschuldigten dann vor Gericht. Und damit beginnt die Arbeit von Richter Lohmann und seinen Kollegen. "Wir stimmen uns ab, um eine einheitliche Rechtsprechung zu gewährleisten", sagt Lohmann. Doch die Materie ist nicht einfach.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) wird dem Anschlussinhaber unterstellt, dass er für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Die Strategie der Beschuldigten läuft nun darauf hinaus, das zu entkräften, weil es noch andere Familienmitglieder oder WG-Bewohner gibt, die Zugang zum Computer haben. "Dann muss geklärt werden, welche Prüfpflichten der Beschuldigte hinsichtlich der Nutzung des Anschlusses durch Dritte hat, und ob er diese verletzt hat", sagt Lohmann. Zumindest bei minderjährigen Kindern hat der BGH jetzt entschieden, dass eine Belehrung über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen durch die Eltern ausreicht. Eine Kontrolle oder Überwachung des Computers des Kindes sei nicht erforderlich (Az.: I ZR 74/12). "In einem solchen Fall können sich dann aber die Schadenersatzansprüche gegen das Kind richten, wenn es das siebente Lebensjahr vollendet hat und es einsichtsfähig ist", sagt Lohmann.

Bei der Urteilsfindung müssen noch viele andere Aspekte berücksichtigt werden. "Die Klärung der vielen Details wäre sehr aufwendig und kostenintensiv", sagt Lohmann. "Deshalb liegt ein Vergleich, der zu einer Reduzierung der Forderungen in unterschiedlichem Ausmaß führt, oft im Interesse beider Parteien", sagt Lohmann. Gleichzeitig hofft er auf ein geplantes neues Gesetz, dass in bestimmten Fällen den Streitwert und damit auch die Anwaltskosten beschränkt. Allerdings können schwammige Formulierungen im Gesetz diese Hoffnung wieder zunichte machen. Nur ein Trost bleibt Richter Lohmann zunächst: "Die Beklagten sind meist Ersttäter und wir sehen sie auch nicht ein zweites oder drittes Mal wieder vor Gericht."