Das sanierungsbedürftige Luxushotel an der Außenalster schließt. Auch die allerletzte Runde müssen die Gäste selbst bezahlen.

Nur ein kurzer Spaziergang. Noch einmal runter zur Alster. Mehr hat das junge Pärchen Sylvia und Ulrich nicht vor, als es sich an diesem kalten Winterabend aufmacht. Doch dann sieht es, dass an der Bar des neuen Hotels Intercontinental an der Fontenay Licht brennt - ein Tag vor der Eröffnung. Es ist der 19. Januar 1972.

"Wir waren so neugierig, dass wir unbedingt schon mal reingucken wollten", erinnert sich Sylvia. Und tatsächlich öffnet man ihnen die Tür. So werden die beiden Hamburger ganz zufällig zu den ersten Gästen. Noch heute denken sie gern daran zurück, wie sie am Tresen mit dem Personal einen Whisky tranken. Anstoßen auf die große Eröffnung. Aufbruchstimmung. Erst, als sie ausgetrunken haben, fällt ihnen auf, dass sie kein Geld dabeihaben. Kein Problem. Der Barkeeper notiert ihre Namen und die Adresse.

41 Jahre später sitzen die heute 72-Jährigen wieder an der Hotelbar. Wieder stoßen sie mit dem Personal an. Diesmal auf das Ende einer Ära. Es ist der letzte Abend im Interconti. Am Freitag schloss das Hotel mit Alsterblick seine Türen. Kehraus. Klar, dass Sylvia und Ulrich sich das nicht entgehen lassen möchten. "Wir wollen schließlich nicht nur die Ersten sein, sondern auch die Letzten", sagen sie.

Für sie und viele andere zählte das Interconti lange Zeit zu den feinsten Adressen der Stadt. Stars wie Tina Turner, Karl Lagerfeld und Max Schmeling stiegen hier ab. Auch wenn der klobige 70er-Jahre-Bau heute nicht mehr in den Stil der Zeit passt, gab es in den vergangenen Jahren viele, die der Adresse treu geblieben sind. Auch am letzten Abend stehen Porsche, Range Rover, Mercedes auf dem Hotelparkplatz.

Sinkende Übernachtungszahlen sind ohnehin nicht der Grund für die Schließung, vielmehr die "notwendigen umfassenden Bauarbeiten", die laut Insolvenzverwalter "keine parallele Fortführung des Hotelbetriebs erlauben". Das wurde Mitte Januar verkündet.

Ein Schock für die rund 140 Angestellten. Die meisten arbeiten seit Jahren hier. "Wer in einem Hotel arbeitet, für den wird das Hotel schnell zum Zuhause", erzählt eine Mitarbeiterin.

"Wir haben nicht damit gerechnet", sagt ein Kellner aus dem Restaurant. "Der Intercontinental-Kette geht es ja schließlich wirtschaftlich gut. Dass es so schnell geht, hat keiner erwartet."

An diesem letzten Abend hat er nicht viel zu tun. Nur drei Gäste sitzen um 19 Uhr im Speisesaal. Der Regen peitscht an die Scheiben. "Schon in den vergangenen Wochen war hier meist wenig los", sagt er. Als sich abzeichnete, dass das Interconti bald schließt, blieben viele Gäste weg. "Zuletzt haben wir nur noch die Plätze am Fenster eingedeckt." Die letzten Wochen seien hart gewesen. "Das ist eine seltsame Stimmung, wenn man normal arbeiten soll, aber weiß, dass bald alles vorbei ist." Von all dem sollen die Gäste auch am letzten Abend nichts mitbekommen. Auf den Tischen stehen frische Blumen, der Ober bedient mit der höflichen Freundlichkeit, die man in einem Luxushotel erwartet. Selbstverständlich trägt er Hemd, Krawatte und lange Schürze. Geduldig schildert er die Auswahl der Aperitifs: "Hugo, Cherry, Grappa, Caipirinha, Aperol Spritz, was immer Sie möchten!" Das stimmt jedoch nur fast. Als eine Frau einen Chablis bestellt, zuckt er kurz und fragt: "Ein Glas oder eine Flasche?" "Nur ein Glas", sagt die Dame. "Ein Glück. Wir haben von dieser Sorte nur noch eine angebrochene Flasche."

Am letzten Abend muss er nicht nur die gastronomischen Wünsche der Gäste erfüllen, sondern auch Fragen beantworten. Was passiert mit dem Personal? Wie geht es mit der Immobilie weiter? Abriss? Bleibt es ein Hotel? Oder kommen Wohnungen? Fragen, auf die der Ober keine Antworten hat. Immerhin kann er berichten, dass viele seiner Kollegen schon einen neuen Job haben. Auch er selbst. "Im April fange ich auf einem Kreuzfahrtschiff an, auch eine gute Adresse. Aber dass es wieder genau so schön wird wie hier, kann ich mir gar nicht vorstellen."

Ein klassischer Satz für einen letzten Tag. Wenn man Lebewohl sagen muss, bleiben oft nur die guten Dinge. "Die letzten Wochen haben uns alle zusammengeschweißt", sagt er. Später wollen die Mitarbeiter zusammen feiern gehen. "Könnte spät werden."

Rund 40 Gäste zählt das Hotel in der letzten Nacht. "15 Prozent Auslastung", schätzt ein Mitarbeiter. Von Untergangsstimmung sollen sie jedoch nichts mitbekommen. Weder beim Check-in noch bei der Verabschiedung fällt ein Wort über die Schließung. "War die Anreise für Sie in Ordnung?", "Können wir Ihnen beim Gepäck helfen?" "Haben Sie noch einen speziellen Wunsch?" Auch auf dem Zimmer lässt sich nicht erahnen, dass etwas anders ist als sonst. Auf dem Fernsehbildschirm blinkt ein "Herzlich willkommen". Nur der Blick aus dem Fenster könnte einen stutzig machen: Zwei Handwerker in Blaumann sind dabei, die Gitter der Kellerschächte zu verschweißen, "damit keiner reinkrabbeln kann".

Ein Infozettel zur Schließung liegt in den Zimmern nicht aus. Stattdessen eine Broschüre mit Informationen über das Service-Angebot. Auch über den Wellnessbereich: Fitness, Sauna, Schwimmen. Jeden Tag bis 22 Uhr.

Stimmt nicht ganz. Am letzten Abend ist im Wellnessbereich um 18 Uhr Feierabend. Die letzten Besucher des hauseigenen Fitnessstudios stehen noch zusammen und können sich nicht loseisen. Einer kommt seit acht Jahren. Noch kann er nicht so richtig glauben, dass er sich was Neues suchen muss.

Einer von vielen, die Tschüs sagen wollen. Für manche kommt Direktorin Gesa Rohwedder extra runter, um ihnen die Hand zu geben. So wie Kurt aus Stuttgart. An etwa 20 Tagen im Jahr hat er beruflich in Hamburg zu tun. Irgendwann hat er sich entschieden, dass es für ihn nur noch eine Adresse gibt: das Interconti. "Ich mag es gemütlich und klassisch" sagt er. Außerdem sei es schön ruhig, nah am Wasser und am Bahnhof. Auch Kurt zieht es am späten Abend an die Hotelbar. Heute dürfen es ein paar Gläser mehr sein. Er hat sich extra freigenommen. Ist von Stuttgart nach Hamburg gefahren, um "sein" Interconti noch mal zu sehen. "Ein Hotel ist mehr für mich als nur ein Gebäude", sagt er. "Wenn man wie ich seit Jahren kommt, kennt man die Gesichter, die Menschen, die Geschichten." Ein bisschen wie ein zweites Zuhause. Was das schönste Erlebnis war? Kurt lacht und sagt: "Nein, sie ist heute nicht hier."

Rund 30 Besucher stehen gegen 23 Uhr um die Bar herum. Grüppchen bilden sich, es wird angestoßen, man erzählt sich Geschichten. Die meisten sind Stammgäste. Auch ein paar ehemalige Mitarbeiter sind darunter. Auch wenn sie seit Jahren hier ein- und ausgehen, lernen sich manche erst heute kennen. "Das kann doch nicht sein, dass wir so einen Anlass brauchen, um zum ersten Mal miteinander zu sprechen", sagt einer. Immer wieder blitzt es. Fotos werden gemacht. Noch einmal alle hinterm Tresen. Ein Erinnerungsfoto von den Sportkumpels, eins vom Personal.

Der Barkeeper guckt auf die Uhr. Es ist kurz vor elf. "Eigentlich geht in einer Stunde mein neuer Job los", sagt er. Doch weil Freitag ein blöder Tag zum Anfangen sei, habe er sich mit seinem neuen Chef auf Montag geeinigt. Dann fängt er in einem anderen Luxushotel in Hamburg an. Seine letzte Schicht Donnerstagabend teilt er sich mit einer Kollegin, die der Hotelkette treu bleibt. Für sie geht es in ein paar Wochen ins Interconti nach Düsseldorf.

Ein Ende zu finden ist an diesem Abend schwer. Das geht auch Sylvia und Ulrich so. Sie bestellen Wein nach. Längst hat sich herumgesprochen, dass die beiden keine gewöhnlichen Gäste sind. Munter plaudern sie mit den anderen. Nur Sylvia ist manchmal etwas unruhig. Die 72-Jährige ist Raucherin und hat keine Lust, bei Wind und Regen vor die Tür zu gehen. "Was hier früher gequalmt wurde", sagt sie und verdreht ein bisschen die Augen. "Kann man da nicht heute mal eine Ausnahme machen?", fragt sie die Bedienung. Die ruft beim Chef an. Schüttelt dann den Kopf. Keine Ausnahme. Die Ansage sorgt für Gelächter: "Wer soll sich denn morgen über den Qualm beschweren?", fragt jemand. Aber so ist es eben.

Die Regeln gelten bis zum Schluss. Auch für Sylvia und Ulrich. Im Unterschied zu ihrem ersten Besuch haben die beiden diesmal Geld mitgenommen. Gegen 23.30 Uhr bezahlen sie und gehen. Eigentlich hatten sie gehofft, dass die letzte Runde aufs Haus geht. Aber das hatten sie ja auch 1972 bei der ersten gedacht - es wurde nichts draus. Die Rechnung für die zwei Whisky kam per Post - nach drei Monaten.