SPD-Politiker: Verkehrsbehörde ignoriert Bedenken gegen neue Reichsstraße. Streitpunkt ist die künftige Fahrbahnbreite.

Wilhelmsburg. Es ist neben der Überdeckelung der A 7 das derzeit spektakulärste Straßenverkehrsprojekt der Stadt - die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße. Der Plan, die vierspurige Nord-Süd-Achse auf einer Länge von rund sechs Kilometern um einige Hundert Meter nach Osten zu verlegen, hat sich als viel komplizierter herausgestellt als erwartet. So verläuft die stark befahrene Piste (55 000 Autos pro Tag) auch während der im Frühjahr beginnenden Internationalen Gartenschau mitten durch das Gelände, anstatt drum herum - weil der geplante Fertigstellungstermin 2013 unrealistisch war.

Nun gibt es erneut Ärger um das Projekt. Denn das eigens gegründete "Beratungsgremium zur Verlagerung der Wilhelmsburger Reichsstraße" hat festgestellt, dass seine aufwendige Stellungnahme im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens von der Verkehrsbehörde bislang nicht beachtet wurde. Dafür bekommt der SPD-geführte Senat jetzt Gegenwind, auch aus den eigenen Reihen - in Person von Metin Hakverdi. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und frisch gekürte Bundestagskandidat ist auch Vorsitzender des Regionalausschusses Wilhelmsburg, und als solcher hat er eine Resolution verfasst, die der Ausschuss kommende Woche beschließen soll. Die Behörde "muss" sich mit dem Beschluss des Beratungsgremiums befassen, heißt es dort überdeutlich, "und muss diese Beurteilung in das weitere Planfeststellungsverfahren einfließen lassen".

Hakverdi geht es vor allem darum, eine hamburgweit wohl einmalige Form der Bürgerbeteiligung nicht einfach verpuffen zu lassen. Denn obwohl die Verlegung der Reichsstraße sehr umstritten ist, arbeiten in dem Beratungsgremium nahezu alle relevanten Wilhelmsburger Gruppierungen, Vereine und Parteien mit - von entschiedenen Unterstützern der Verlegung bis hin zu Gegnern des Projekts wie zum Beispiel der Klagegemeinschaft "Rechtsschutz Lebensqualität Wilhelmsburg". Angesichts dieser Heterogenität grenzte es an ein Wunder, dass sich das Gremium Anfang Dezember auf eine Stellungnahme einigen konnte - in vielen Punkten sogar einstimmig.

Hinzu kam: Die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte hat diese Stellungnahme kurz vor Weihnachten einstimmig unterstützt, und das Bezirksamt macht sie sich ebenfalls zu eigen - die Meinung des Beratungsgremiums hat also maximale Unterstützung. Das von Andy Grote (SPD) geführte Bezirksamt ist daher über die Nichtberücksichtigung auch nicht amüsiert. "Wir arbeiten an einer Stellungnahme an die Verkehrsbehörde und wollen sie auffordern, den Beschluss der Bezirksversammlung zu berücksichtigen", sagte Bezirksamtssprecher Norman Cordes.

Größter inhaltlicher Streitpunkt ist die Breite der Straße. Die Behörde stuft die derzeitigen 14 Meter für vier Spuren als viel zu wenig und daher als Sicherheitsrisiko ein und plant für den Neubau mit 28 Meter Breite, inklusive Standspuren. Das Wilhelmsburger Beratungsgremium verfolgt die entgegengesetzte Philosophie: Je breiter die Straße sei, desto mehr Verkehr locke sie an und desto schneller werde gefahren. Daher plädiert es für eine möglichst schmale Variante und für Tempo 60 - die Planer wollen Tempo 80 erlauben. Außerdem geht es um mehr Lärmschutz, die Verlegung der Ausfahrt und die Forderung nach einem Gesamtverkehrskonzept für die Elbinseln.

Die Verkehrsbehörde versuchte, die Bedenken der Wilhelmsburger zu zerstreuen. "Das Votum der Bezirksversammlung wird selbstverständlich nicht ignoriert", sagte Sprecherin Helma Krstanoski dem Abendblatt. Die kürzlich verschickte Planänderung basiere auf den Einwendungen und Erörterungen im Sommer 2012 und sei bereits fertig gewesen, bevor die Stellungnahme des Beratungsgremiums eintraf. Bis Ende Januar hätten nun alle Beteiligten erneut Zeit, sich zu äußern. Danach werde entschieden, welche Forderungen berücksichtigt werden.

Unterstützung kommt ausgerechnet von der Opposition. Er halte dieses Verfahren für korrekt, sagte Jörn Frommann, CDU-Fraktionschef in der Bezirksversammlung Mitte. "Die Fragen, die das Beratungsgremium aufgeworfen hat, müssen natürlich beantwortet werden. Ich bin aber optimistisch, dass die Behörde den entsprechenden Beschluss der Bezirksversammlung berücksichtigt. Alles andere sind Schattenkämpfe." Am wichtigsten sei für ihn, dass es mit der Verlegung endlich vorangeht. "Es ist schon zu viel Zeit vertrödelt worden." Auch Metin Hakverdi zweifelt nicht an der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsverfahrens, er sagte aber: "Jetzt kommt der Zeitpunkt, an dem politisch entschieden werden muss, ob man die Bedenken berücksichtigt." Hinter vorgehaltener Hand rechnen damit die wenigsten Experten. "Das wird gebaut wie geplant", sagte einer.

Da die 1951 gebaute Reichsstraße eine Bundesstraße ist (B 75), ist ihre Verlegung offiziell ein Projekt des Bundes. Die Hamburger Verkehrsbehörde plant in seinem Auftrag. Die Stadt trägt von den veranschlagten Gesamtkosten von 136,3 Millionen Euro daher lediglich 10,4 Millionen Euro, die die Bürgerschaft bereits Anfang 2011 bewilligt hatte. Nach Abschluss des Planverfahrens - eine Prognose darüber wollte die Behörde nicht abgeben - wird mit vier Jahren Bauzeit kalkuliert.