Seit drei Monaten tobt bei Neupack in Stellingen ein Arbeitskampf. Es geht um einen Haustarifvertrag. Firma beschäftigt Arbeiter aus Polen.

Hamburg. Mit dem Frieden während der Weihnachtszeit ist es jetzt vorbei. Der Streik beim Hamburger Verpackungshersteller Neupack mit 200 Mitarbeitern in Hamburg und Rotenburg/Wümme ist in den dritten Monat gegangen. Tag und Nacht halten die Streikenden Wache vor der Firmenzentrale in Stellingen. Das Unternehmen und die Streikenden beschuldigen sich derzeit gegenseitig, zur Eskalation beizutragen. Nachdem die Gewerkschaft IG BCE die Verhandlungen im Dezember mangels Einigungsmöglichkeiten mit den Eigentümern von Neupack platzen ließ, äußert sich jetzt erstmals Neupack-Mitgesellschafter Lars Krüger.

Er präsentierte dem Abendblatt mehrere eidesstattliche Versicherungen, auf denen Streikbrecher berichten, dass sie von den Streikenden attackiert werden. So auch Szymon Pakula und Elzbieta Mierzwa. "Ich wurde getreten, als ich das Werk betreten wollte, und Elzbieta wurde bespuckt", sagt Pakula. Davon weiß die Gewerkschaft offensichtlich nichts. Die beiden neuen Mitarbeiter und weitere 29 ehemalige polnische Zeitarbeiter hat das Unternehmen bis zum 31. März befristet angestellt, um weitere Produktionsausfälle zu vermeiden. "Wenn wir durch die Auswirkungen des Streiks nicht zu einem Personalabbau gezwungen werden, sind wir bereit, auch den polnischen Mitarbeitern bei uns eine Zukunft zu geben", sagt Krüger. Pakula und Mierzwa, die bald heiraten wollen, würden sich über dieses Angebot freuen.

Auch auf dem Weg zur Arbeit soll es Zwischenfälle gegeben haben. Die neuen Mitarbeiter wohnen in einer Pension in Bahrenfeld und werden jeden Tag mit dem Bus nach Stellingen zum Werk gefahren. Mit grellen Scheinwerfern, die auf den Fahrer gerichtet waren, sollen Streikende versucht haben, den Bus an der Weiterfahrt zu hindern. "Davon ist uns nichts bekannt", sagt Jan Eulen, Bezirksleiter der IG BCE in Hamburg. Im Gegenteil, aus dem Bus heraus seien Streikende fotografiert und auch angeleuchtet worden, sagt er.

"Gewerkschaftssekretär und Streikleiter Rajko Pientka ist mehrmals mit einer Dolmetscherin und anderen Begleitern vor der Pension erschienen. Sie drückten den Mitarbeitern auf polnisch beschriebene Flugblätter in die Hand und wollten mit ihnen reden. Doch das wollten unsere Beschäftigten nicht. Trotzdem sind sie wiedergekommen", so Krüger, der sich auch darüber beschwert, dass die Beschäftigten mehrfach gegen ihren Willen fotografiert wurden. Den Versuch mit den Arbeitern zu sprechen, bestätigt Eulen. "Es gab mehrere Mitarbeiter, die sich zu einem Gespräch am nächsten Tag bereit erklärt haben. Aber das muss Neupack ihnen wohl ausgeredet haben", so der Gewerkschafter. "Das Unternehmen versucht alles, um zu vermeiden, dass wir mit den Streikbrechern reden können." Auch Gabelstapler wurden laut Krüger bei Neupack beschädigt. Dass Streikende die Täter sind, kann das Unternehmen aber nicht nachweisen.

"Neupack kann sich entschließen, einen Tarifvertrag abzuschließen oder auch nicht", sagt Krüger. "In Deutschland herrscht Tariffreiheit, und wir haben uns für eine neue Entgelt-Betriebsvereinbarung entschieden." Der Unternehmer fürchtet, durch einen Haustarifvertrag mit der Gewerkschaft IG BCE in seiner Flexibilität eingeschränkt zu werden. "Wir können zum Beispiel nicht immer mit den Tariferhöhungen der IG BCE mithalten. Das würde die Existenz unseres Unternehmens gefährden", so Krüger. "Tariferhöhungen müsste Neupack in einem Haustarifvertrag auch nicht mitmachen. Wenn Krüger dies glaubt, ist er offenbar falsch beraten worden. Denn wir reden mit der Firma nicht über die Löhne in der Chemieindustrie. Bei Tarifverhandlungen schauen wir immer einzeln auf die Situation in den unterschiedlichen Firmen. Es ist wirklich nicht unser Ziel, Neupack wirtschaftlich in die Knie zu zwingen", so Eulen.

Das Unternehmen hat jetzt - wohl auch wegen der Erfahrungen mit dem Streik - seinen Beschäftigten ein Lohnniveau angeboten, das bei 8,80 Euro die Stunde bei einer geplanten 38-Stundenwoche beginnt. Anfang Dezember waren es noch 8,50 Euro. Zudem würden Überstunden- und Nachtzuschläge in Hamburg und Rotenburg/Wümme einheitlich auf 25 Prozent des Stundenlohns vereinheitlicht. Das jährliche Urlaubsgeld würde von bisher 240 beziehungsweise 360 auf 420 Euro brutto für Packer und Betriebshelfer erhöht und von 420 auf 600 Euro für Maschinenführer und Werkstattmitarbeiter. Laut Neupack könnten die Mitarbeiter durch die Einführung eines neuen Mehrschichtsystems 2,5 bis fünf Prozent mehr Lohn erhalten. Mit der Vereinheitlichung des Vergütungssystem erfüllt das Unternehmen eine Forderung der IG BCE.

60 Prozent der Neupack-Belegschaft befindet sich laut Krüger nicht im Streik. "Diese Mitarbeiter haben unsere Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag bereits unterschrieben", sagt der Mitgesellschafter. Neupack musste handeln. Die Produktion des Unternehmens ist laut Krüger gerade noch zu 65 bis 70 Prozent ausgelastet. Zudem habe die Firma bereits Kunden an Wettbewerber aus dem kostengünstigeren Ausland verloren. Der Umsatz von früher rund 30 Millionen Euro sei um 20 Prozent eingebrochen.

Für Eulen hingegen sind die neuen Entgeltverträge nicht ausreichend "Das Ziel muss es sein, dass wir eine transparente Regelung erreichen, auch um die Arbeitnehmer untereinander zu befrieden", sagt er. Die Gewerkschaft IG BCE habe kein Interesse daran, "dass die Beschäftigten gegeneinander ausgespielt werden. Für uns ist ein Arbeitskampf kein Selbstzweck." Der Streik um einen Haustarifvertrag bei Neupack wird also weiter fortgesetzt werden. Davon ist auch der Neupack-Betriebsratsvorsitzende Murat Günes überzeugt, der den Streik zusammen mit der Gewerkschaft organisiert hat.