Die 40 Jahre alte Theologin tritt im Februar ihren Dienst in Hamburgs wichtigster Kirche an. Sie ist die erste Frau nach fast 400 Jahren.

Neustadt. Fast 400 Jahre hat es gedauert, bis der Hamburger Michel seine erste Pastorin bekommt: Vom Februar 2013 an soll Julia Atze die dritte Pastorenstelle der Hauptkirche St. Michaelis, die als ein Wahrzeichen der Hansestadt gilt, besetzen. Der Medienrummel, den ihre Berufung Ende November entfachte, erscheint der Pastorin allerdings übertrieben: dass eine Frau ein solches Amt halte, sei doch "eigentlich nicht mehr so etwas Besonderes".

Überhaupt habe die Kirche ein Imageproblem - zu Unrecht, wie Atze meint. Die 40-Jährige, sehr groß, sehr schlank, trägt eine weiße Bluse zum schwarzen Blazer und ein dezentes Silberkreuz um den Hals. "Die Kirche hat sich schon sehr gewandelt", betont sie, "die öffentliche Meinung hängt da manchmal noch ein wenig hinterher." Längst seien Gottesdienste, Taufen und Trauungen nicht mehr so trockene Veranstaltungen, wie viele Menschen annehmen würden. Zugleich müsse Modernisierung auch Grenzen kennen: "Manchmal ist es gerade die ganz alte Tradition, die alte Sprache, die die Menschen als erfrischend empfinden."

Ihren eigenen Weg zur Kirche hat Julia Atze selbst gefunden. Die Eltern hatten sie nicht einmal taufen lassen, wollten ihre Kinder frei wählen lassen - "die Reformpädagogik der Siebziger". Trotzdem habe die Kirche auf Atze "immer Faszination ausgeübt". Sie besuchte den Konfirmationsunterricht, ließ sich taufen, wählte Religion als Abiturfach. Dennoch zweifelte sie zunächst, ob sie Theologie studieren sollte: "Ich war unsicher, ob ich da reinpasse."

Ein Schlüsselerlebnis half ihr bei der Entscheidung. Auf einer Kursfahrt im zwölften Jahrgang in ein Benediktinerkloster sprach sie mit dem Pater über ihre Zweifel. Er riet ihr: "Mach es unbedingt! Ich verspreche dir, wenn es nichts für dich ist, wirst du es ganz schnell merken - und wenn es das Richtige für dich ist, auch." Er behielt recht: Atze begeisterte sich für das Studium, dabei musste sie gleich drei alte Sprachen lernen: Hebräisch, Latein, Altgriechisch. "Aber auch das fand ich toll", erzählt sie, noch immer voll Enthusiasmus.

Nach fünf Semestern in Hamburg zog sie für drei Semester zum Studium nach Marburg. "Aber als Hamburgerin zieht's einen einfach immer wieder zurück", sagt sie und beginnt zu lachen. Nach dem Vikariat in Hamburg-Hausbruch trat sie im Juni 2005 ihre erste Stelle als Pastorin in Stellingen an, wo sie bis heute tätig ist.

Julia Atze ist mit einem Theologen verheiratet, der an der Bundeswehr-Universität lehrt, und hat zwei Söhne im Alter von fünf und elf Jahren.

Die freie Zeit, die ihr neben Arbeit und Familie bleibt, verbringt sie gern im Fußballstadion: Sie hat eine Dauerkarte für den Fußballklub St. Pauli. Die Vereinstreue ist vererbt, auch ihr Vater ist Fan, begleitet Atze noch heute gern zu Spielen. Derzeit schaffe sie es allerdings nicht oft ins Stadion, erzählt die Pastorin: Die Termine der Zweiten Liga, in der St. Pauli derzeit spielt, seien leider "sehr pastorenberufsunfreundlich". Aber vielleicht ist der Kiezklub ja bald das, was Atze über ihren Job sagen kann: erstklassig.