Steinbrücks Honorare bergen ein Problem - ist er der Anwalt für soziale Gerechtigkeit?

Wer glaubt, dass man einen Mann wie Peer Steinbrück kaufen kann, irrt. Ja, der SPD-Kanzlerkandidat hat sich, als er noch nicht SPD-Kanzlerkandidat war, zum Teil sehr gut für seine Reden bezahlen lassen. Doch gesagt haben dürfte er immer das, was er denkt. Etwas anderes kann der gebürtige Hamburger nämlich gar nicht. Wer einen Beweis dafür brauchte, musste am Montagabend nur zum Fundraising-Dinner der privaten Hochschule HSBA ins Emporio-Haus kommen. Steinbrück war dort Gastredner, gebucht vor einem Jahr, ohne Honorar.

Schön wäre es, wenn er etwas zum Thema Mittelstand sagen könnte, hatte man sich gewünscht, weil unter den Gästen eben viele Unternehmer sein würden. Und Steinbrück sagte tatsächlich etwas über den Mittelstand, lobte dessen Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Gleichzeitig ermahnte er die im Saal sitzenden Inhaber, Geschäftsführer und Vorstände aber, sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst zu werden, bevor es zu spät sei, Frauen endlich genauso zu bezahlen wie Männer und sich nicht an jenen abzuarbeiten, die sich in den Dienst von Parteien und Demokratie stellen: "Ich weiß, wie Sie manchmal über Politiker reden", sagte Steinbrück. "Und ich kann Ihnen versichern: Manchmal reden wir auch so über Sie."

Der Spruch ist nicht neu, Steinbrück bringt ihn in fast jeder zweiten Ansprache unter, aber er zeigt, was den Kanzlerkandidaten als Redner ausmacht: eine in Deutschland vielleicht nur noch von Bundestagspräsident Norbert Lammert erreichte Rhetorik, die, ganz gleich vor wem, immer mit Klarheit, Härte und Ironie zusammenkommt. Die Kombination machte und macht Steinbrück als Vortragenden so populär, weil seine Auftritte beinahe unabhängig vom Inhalt kurzweilig und unterhaltsam sind. Nicht umsonst hat er es mit diesen Fähigkeiten zu einem Verdienst von mehr als einer Million Euro gebracht. Dafür bräuchte er als Kanzler eine komplette Legislaturperiode.

Interessanterweise beruhte der Charme des Redners Steinbrück in der Vergangenheit gerade auf seiner geschickten Form der Publikumsbeschimpfung, die in (durchaus ernst gemeinten) Drohungen wie "wenn Sie weiter so über Politiker reden, bekommen Sie es mit mir zu tun" gipfelte. Ob dieser intellektuell-herausfordernde, ja beinahe aggressive Stil auch dem Kanzlerkandidaten Steinbrück dienlich sein wird, ist offen. Wer Steinbrück vor seinen aktuellen Ambitionen erlebte, konnte in ihm wenig anderes sehen als einen herausragenden Freisprecher, eine Ausnahme in der Reihe deutscher Spitzenpolitiker.

Wer ihn heute erlebt, als Kanzlerkandidaten, stellt sich aber automatisch die Frage: Lassen sich diese Persönlichkeit und die Präsidialität des Amtes übereinbringen? Kann ein Kanzler so sein und vor allem so auftreten und reden wie Peer Steinbrück? Oder muss er es vielleicht gerade?

Die Fragen werden den derzeit wichtigsten Sozialdemokraten die nächsten Wochen und Monate genauso begleiten wie ein quasi rhetorisches Problem. Steinbrücks entscheidende Botschaft kann im Kampf gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht der Erhalt der Europäischen Union und des Euro sein, dafür sind sich der Herausforderer und die Amtsinhaberin in diesem Punkt zu ähnlich. Steinbrücks Thema wird die soziale Gerechtigkeit, seine Warnung jene vor einem unkontrollierbaren Auseinanderdriften der Gesellschaft sein. Er hat wie gesagt auch in Hamburg davon gesprochen, präzise, geschliffen, wortgewaltig.

Allein: Es fällt schwer, einem wie ihm abzunehmen, dass ausgerechnet die soziale Frage die Frage sein soll, die in seinem politischen Denken und Wirken im Mittelpunkt steht.

Bei Steinbrück passt vieles zusammen. Das leider nicht.