Oft rücken Abschlepper an, um Leben zu retten: Am engsten sind die Straßen in Barmbek, Winterhude, St. Georg, Eimsbüttel, Eppendorf und Harburg.

Hamburg. Mit einem gefühlvollen Tritt aufs Gaspedal schlängelt Gunnar Hecht (45) wie in einer Slalomfahrt durch die Genslerstraße, biegt ab in die Oldachstraße. "Hier geht's ja", sagt Hecht noch, da passiert es auch schon. Der Hauptbrandmeister steckt fest. Nach fünf Minuten ist Schluss, mitten in Barmbek-Nord. Ein Audi Kombi in Hellblaumetallic ist an der Kreuzung zur Wasmannstraße geparkt. Die Drehleiter der Feuer- und Rettungswache Barmbek - 2,50 Meter breit, zehn Meter lang - müsste sich verbiegen können, um die enge Pflastersteinkurve zu meistern. Hecht reißt das Lenkrad herum, legt den Rückwärtsgang ein. Doch auch mit dem Heck voran, kommt er nicht weit. Ein schwarzer Fiat Punto ragt mit voller Wagenlänge in die Kreuzung hinein.

Absitzen! Mario Lembke (40), Hechts Beifahrer, ebenfalls Hauptbrandmeister, springt aus der Mercedes-Kabine in den Nieselregen. Wertvolle Sekunden verstreichen. Sekunden, die über Leben und Tod entscheiden können. Hecht jedoch kann sich ein schmales Grinsen nicht verkneifen. Der Test läuft ganz nach Plan. Einmal im Monat proben die Brandbekämpfer den Ernstfall. Ein Feuer im dicht besiedelten Winterhude, wo es weniger Parkplätze als Autos gibt. Und immer wieder bleibt die Feuerwehr stecken. Udo Schröder (48) und Stefan Patsch (47) sind bereits um den Audi postiert. Die Kommissare vom Polizeirevier 31 begleiten die Testfahrt. Ohne sie wäre hier Schluss. Halter feststellen, Knöllchen verteilen, Abschleppdienst rufen. Auch wenn es ein Aprilscherz war: Die vor sechs Jahren erhobene Forderung, Geländewagen der Marke Hummer in den Fuhrpark aufzunehmen, die sich als "Vorausfahrzeuge" zum Brand vorkämpfen sollen, zeigt das Dilemma.

Immer wieder geraten Menschen in unnötige Gefahr, weil Falschparker Kreuzungen besetzen oder die vorgeschriebenen drei Meter Reststraßenbreite nicht beachten. Bereits zehn Jahre liegt der Brand jetzt zurück, bei dem immer wieder gemutmaßt wurde, dass die Feuerwehr zu spät kam: In der Lorenzengasse in Winterhude starb ein Kaufmann. Konsequenzen gab es keine. "Das Problem besteht, seit es Autos gibt", sagt Feuerwehrsprecher Martin Schneider. Eine Lösung sieht er nicht. "Die Zahl der Autos nimmt nicht ab, die der Parkplätze nicht zu." Die größten Probleme sieht er in Eimsbüttel, Eppendorf, Winterhude, St. Georg und in Harburg im Phoenixviertel. "Das ist Zeit, die wir verlieren", sagt er. "Wir sind bestens vorbereitet, schnellstens einsatzbereit, und dann verlieren wir die hart erkämpften Sekunden, weil jemand nicht nachgedacht hat."

Hoffnung, dass sich das ändert, hat Lembke nicht: "Das war so, ist so und bleibt so." Er habe schon Einsätze erlebt, wo Feuerwehren Hunderte Meter zurücksetzen mussten, weil es nicht weiterging. "Wenn da einer auf dem Balkon steht, um Hilfe ruft, und wir kommen nicht ran, dann ist das verdammt ärgerlich", sagt Lembke zurückhaltend. Sein Gesicht verrät mehr Erregung. "Gegen die Wagen zu fahren, um sie wegzuschieben, ist dann auch keine Lösung. Am Ende verkeilt alles. In krassen Fällen legen wir Schaufeln unter die Reifen, verrücken sie mit Muskelkraft."

35 200 Falschparker wurden 2008 abgeschleppt, 1138 mehr als im Jahr zuvor. Wie viele von ihnen bei Einsätzen störten, ist unbekannt. Dennoch: Die Feuerwehr ist heute schneller als je zuvor. Fuhren "bodengebundene Rettungsmittel" 1972 noch mit rund 35,7 Kilometer pro Stunde (km/h) durch die Straßen, sind es heute 39,11 km/h. Vor 13 Jahren allerdings soll das Durchschnittstempo einigen Medien zufolge noch bei nur 25 km/h gelegen haben. Entwarnung gibt Feuerwehrsprecher André Braker trotzdem nicht: "Zu Zeitverzögerungen kommt es täglich." Dass dennoch nichts passiert, begründet Braker so: "Wir sind Meister der Improvisation. Zur Not rennen wir die letzten 300 Meter", sagt Braker. "Die vorgeschriebenen fünf Minuten Risikozeit für Rettungswagen und acht Minuten für Löschzüge haben wir noch immer geschafft." Weil der Abschleppdienst noch braucht, setzt sich Hecht wieder ans Steuer des Sechszylinders, rangiert. Das dauert und ist laut. Für einige Bewohner zu laut. Seine Kinder schliefen, ob das Theater bald ein Ende habe, fragt ein Mittvierziger. Patsch lässt sich dadurch nicht ablenken. Der Polizist: "Die meisten sind sehr verständnisvoll."

"Sehr gut!", amüsiert sich Evelyn Salzmann von einem Balkon an der Burmesterstraße.

Kaum hatte sich die Drehleiter dank Hechts Fahrkünsten aus der Wasmannstraße befreit, steckt sie ein paar Kreuzungen weiter wieder fest. Die Anwohnerin: "Das da ist ein neuralgischer Punkt. Und der Nächste, der dort feststeckt, bin vielleicht ich", sagt die 50-Jährige, zeigt auf einen weißen VW Bus, der in einer engen Kurve die Feuerwehreinfahrt versperrt. Wieder steht die Drehleiter. In der Einbahnstraße hinter dem rot lackierten Gefährt stauen sich bereits ein paar Wagen. Doch entgegen allen Erwartungen bleibt es ruhig - kein Hupen, kein Geschrei. "Alles gut", und "Toi,toi, toi", sagt Anwohner und Schlossermeister Wolfgang Henning, lässig an seinen Geländewagen gelehnt. "Gut, dass hier mal was passiert. Das betrifft uns alle." Die Winde des Abschleppers schnurrt und zieht dem VW-Bus die Räder vom Asphalt. Dann verschwindet er, den weißen Transporter huckepack. Der Peterwagen verabschiedet sich.

Hecht und Lembke sitzen auf. Doch sie kommen nicht weit. An der Kreuzung am Witthof holt sie die Realität wieder ein. Zum dritten Mal binnen einer Stunde. Zwei Minuten vor und zurück auf engstem Raum, knapp einen Meter Spiel. Dann steht die Drehleiter richtig. Hecht wischt sich die Stirn und gibt Gas.