Zu zwölft in einer Vierzimmerwohnung. Dörte und Maik Jensen müssen wegen zehn Kinder gegen viele Vorurteile kämpfen. Ein Hausbesuch.

Schnelsen. Manchmal, wenn man junge Paare nach ihrer Familienplanung fragt, sagen sie, dass sie sich eine Fußballmannschaft wünschen. Meistens meinen sie damit drei oder vier Kinder. Eine Großfamilie. Oder das, was die Leute heute dafür halten.

Wenn man Dörte und Maik Jensen nach ihrer Familienplanung fragt, sagen sie meistens, dass sie sich immer drei Kinder gewünscht haben. Früher. Als sie ein junges Paar waren und die Ingalls aus der US-Serie "Unsere kleine Farm" ihr Vorbild. Als sie der Meinung waren, dass zwei Kinder zu wenig, vier aber zu viel sind. Und als sie glaubten, dass man alles planen kann. Auch Kinder. Heute denken sie das nicht mehr. Vor 22 Jahren haben die Jensens geheiratet, vor 18 Jahren ihr drittes Kind bekommen. Das letzte - wie irgendwann mal geplant - war es aber nicht. Aus den drei Kindern sind vier geworden, dann fünf, sechs und sieben. Ihre "sieben Zwerge" haben die Jensens ihre Kinder liebevoll genannt. Pläne haben sie nicht mehr gemacht. Nicht, als das achte Kind kam, dann das neunte und schließlich das zehnte.

Zehn Kinder? In Deutschland? In Schnelsen? Unvorstellbar! Unmöglich. Unverantwortlich. Die Jensens wissen, wie andere Menschen oft über sie denken. Menschen ohne Nachwuchs. Paare mit ein oder zwei Kindern, die laut Statistik als Durchschnittsfamilie gelten. Und sogar diejenigen, die sich selbst als Großfamilie bezeichnen - damit aber drei oder vier Kinder meinen. "Von 100 Leuten gucken uns 97 komisch an", sagt Dörte Jensen, 42. So, als sei die Familie ein Sozialfall. Arm. Asozial.

Die Vorurteile sind da. Selbst in einer weltoffenen Stadt wie Hamburg. Selbst im 21. Jahrhundert. Doch es ist eine Zeit, in der eine Frau statistisch gesehen "nur" 1,3 Kinder bekommt. In der es in Deutschland fast zwölf Millionen Haushalte mit Kindern gibt - aber nur in 76 000 Familien leben fünf und mehr Kinder. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sieben Kinder. Bei ihr würde niemand von Unterschicht sprechen. Sexuelle Anspielungen machen. Bei den Jensens schon.

+++ Menschlich gesehen: Groß-Mutter +++

Die Jensens. Der Name erinnert ein bisschen an "Die Waltons" aus der gleichnamigen US-Serie, die das Leben einer Großfamilie zur Zeit der Weltwirtschaftskrise zeigt. Einfach. Schwer. Aber auch irgendwie beneidenswert. Schön. Weil die Familie zusammenhält. So wie heute kaum noch Familien zusammenhalten. Außer vielleicht die Jensens. "Ich finde es toll, so viele Geschwister zu haben", sagt Fynn, 6, und versucht zu erklären, was viele Erwachsene nicht verstehen. Dass es toll ist, weil er immer jemanden zum Spielen hat. Weil er nie von anderen Kindern geärgert wird, da ihn seine Geschwister in Schutz nehmen.

"Und weil man nie alleine ist", sagt Larissa, 13. Nie allein. Weder beim Essen noch beim Zähneputzen. Weder bei den Hausaufgaben noch beim Fernsehen. Weder morgens beim Aufstehen noch abends beim Einschlafen. Nie allein. Wo sich andere eingeengt fühlen, fühlt sie sich geborgen.

"Regenwald-Zimmer" ist an ihre Tür geschrieben. Sie teilt sich das Zimmer mit Vanessa, 17. Zehn Quadratmeter, zwei Welten. Zwischen Kindheit und Pubertät. Zwischen Pferdebildern und Diddl-Mäusen, Lippenstiften und Liebeskummer. Zwei Welten, abgetrennt durch einen Vorhang. Ein Versuch von Privatsphäre in einer Welt, in der es kaum Privates gibt. Die Jensens leben in einer Vierzimmerwohnung, 110 Quadratmeter. Die Eltern Dörte und Maik, 42, die Kinder Josephine, 3, Owen, 5, Fynn, 6, Raechel, 9, Merle, 11, Larisssa, 13, André, 14, Vanessa, 17, Sören, 20, und Miriam, 21. Sie ist die Älteste und hat inzwischen eine eigene Wohnung mit Freund Ewald, 28, ist aber so oft wie möglich zu Hause bei ihren Eltern. Miriams Sohn Jason-Daniel ist vier und nur ein paar Monate älter als Josephine, Dörte Jensens jüngstes Kind. Mit 38 Jahren ist sie Oma geworden, ein paar Monate später noch einmal Mutter. Ungeplant. Aber nicht ungewünscht. Wenn man Dörte und Maik Jensen fragt, warum sie so viele Kinder haben, sagen sie meistens, dass sie Kinder lieben. So, als sei damit alles klar. Doch sie wissen, dass sie das Unerklärliche nicht erklären können. Dass es Dinge gibt, die der Verstand nicht begreifen kann. Nur das Herz. Auch wenn Dörte Jensen das selbst so nicht sagen würde.

Sie ist eine Pragmatikerin. Eine, die nicht lange redet, sondern anpackt. Die unermüdlich Brote schmiert und Kartoffeln schält, Hausaufgaben kontrolliert und Termine koordiniert. Früher war sie Arzthelferin, heute ist sie Familienmanagerin. Bis zum achten Kind hat sie mitgearbeitet, nachmittags, wenn ihr Mann von der Arbeit gekommen ist. Er ist bei der Stadtreinigung - und stolz darauf. Stolz darauf, dass er einen Job hat. Dass er seine Familie allein versorgen kann - ohne Hartz IV, wie das viele Leute vielleicht von der Großfamilie vermuten würden. "Brauchen wir nicht", sagt Maik Jensen. "Wir schaffen das alleine." Alleine, das heißt bei den Jensens: alle zusammen.

"Viele Hände - schnelles Ende", steht auf einem selbst gemalten Haushaltsplan. Er hängt an der Flurtür, sodass ihn jeder sehen kann und weiß, was seine Aufgabe ist: Raechel und Merle sind fürs Tischdecken zuständig, André bringt den Müll runter, Fynn Plastik und Pappe zum Container. Owen muss die Schuhe sortieren, Larissa die Wäsche wegräumen und Vanessa helfen, die Kleinen ins Bett zu bringen. Und den Rest - "den machen Mama und Papa", sagt Maik Jensen. Er ist der ruhende Pol der Familie. Jemand, der den Überblick hat, wenn alles drunter und drüber geht. Jemand, den scheinbar nichts erschüttern kann. Nichts? Na gut, etwas gibt es da doch, räumt er ein. "Wenn der FC St. Pauli schlecht spielt oder das Auto kaputtgeht."

Immer sonnabends fährt Vater Maik einkaufen. 140 Flaschen Wasser und Limonade, zehn Kilo Kartoffeln, 25 Gurken, 40 Eier, zwölf Liter Milch braucht die Familie. Pro Woche. "Einfach in den Einkaufswagen schmeißen geht nicht", sagt Maik Jensen. Der Großeinkauf hat System.

Wenn man die Jensens fragt, wie sie das alles schaffen, machen sie meistens eine lässige Handbewegung. "Alles halb so schlimm" soll das heißen. "Die Kinder waren ja nicht alle gleichzeitig da", sagt Dörte Jensen. "Wir sind mit der Aufgabe gewachsen." Es ist einer dieser Sprüche, wie er auf Abreißkalendern auf dem Nachttisch steht. Doch die Jensens haben keinen Kalender, keinen Nachttisch, kein Schlafzimmer. Sie schlafen im Wohnzimmer, die Zimmer sind für die Kinder reserviert.

"Die brauchen ihre Privatsphäre mehr als wir", sagt Dörte Jensen. Ihr ist es wichtig, dass die Kinder Raum für sich haben - auch ohne eigenes Zimmer. Raum für sich, das heißt bei den Jensens, dass die Kinder zu zweit oder dritt einmal im Jahr mit den Großeltern in den Urlaub fahren. Und dass sie ihren Geburtstag bei Oma und Opa verbringen. Im Mittelpunkt stehen. Einzelkind sein - für einen Tag im Jahr. Dann darf sich jedes Kind sein Lieblingsessen wünschen, ein Ausflugsziel festlegen, das Fernsehprogramm aussuchen.

Wenn man die Jensen-Kinder nach ihrer Familienplanung fragt, sagt keines von ihnen, dass es sich mal eine eigene Fußballmannschaft wünscht. Die meisten sagen nichts dazu. Weil sie noch zu jung sind. Oder weil sie gelernt haben, dass man nicht alles planen kann. "Im Moment wünsch ich mir zwei oder drei Kinder ...", sagt Miriam, die in diesen Tagen ihr zweites Kind bekommt. Acht Wochen will sie zu Hause bleiben, danach ihre Lehre als Friseurin weitermachen. So der Plan. Doch sie weiß, dass sich Pläne manchmal ändern.

Wenn man Dörte und Maik Jensen nach ihrer Familienplanung fragt, sagen sie heute nichts mehr. Aber sie lachen.