Chefredakteur Claus Strunz über Sicherheit, Integration und das Erbe Ole von Beusts.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Hamburgerinnen und Hamburger, liebe Gäste!

Wir stehen hier im Wald. Genauer gesagt, in einem "Wald der Visionen". Als wir diesen Willkommensgruß für die Umwelthauptstadt 2011 so formuliert haben, war uns klar, dass das in Hamburg nicht ohne Risiko ist. "Visionen" haben hier seit dem Bonmot von Helmut Schmidt, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen, keine große Lobby. Wir wollen - der Altkanzler möge es verzeihen - ganz bewusst einen Kontrapunkt setzen.

Wir glauben da eher an den 28. Präsidenten der Vereinigten Staaten, Thomas Woodrow Wilson: "Wer keine Vision hat, vermag weder große Hoffnung zu erfüllen noch große Vorhaben zu verwirklichen."

Ich möchte Ihnen meine zwei Visionen für Hamburg kurz vorstellen - und eine Sorge mit Ihnen teilen.

Ein Ereignis hat uns diese Woche stark bewegt. Der Hamburger Artur G. hatte einem Rentner geholfen, den drei junge Männer angepöbelt hatten. Seine Zivilcourage hätte ihn beinahe das Leben gekostet. Die drei Täter schlugen Artur G. am S-Bahnhof Veddel nieder, traten ihn, auch ins Gesicht und auf den Kopf. Geholfen hat ihm keiner.

Die Vision: Niemand wird in Hamburgs U- und S-Bahnen mehr verletzt, weil endlich wieder Schaffner auf den Bahnsteigen arbeiten. Das Argument, dafür sei kein Personal - das heißt: kein Geld - da, lasse ich nicht gelten. Und ich füge hinzu: Ich wäre bereit, für ein Ticket ein paar Cent mehr zu bezahlen, wenn ich wüsste, dass meine Kinder dadurch sicherer sind. Und ich weiß, dass ich mit diesem Engagement nicht allein dastehe. Artur G., der noch immer im Krankenhaus liegt, rufe ich zu: Für mich sind Sie jetzt schon "Mister Zivilcourage 2011"!

Die zweite Vision hat mit Integration zu tun: Ich wundere mich jeden Tag über die Debatte, dass Deutschland Fachkräfte aus dem Ausland benötigt, um zukunftsfähig zu sein. Meine These für Hamburg lautet: Die allermeisten, die angeblich kommen müssen, sind schon da - in Kirchdorf-Süd genau wie in Barmbek auf der Veddel und in Winterhude, in Steilshoop wie in Eimsbüttel. Zumindest, wenn wir von der Überzeugung ausgehen, dass Talent, Intelligenz, Esprit und Leidenschaft unabhängig vom sozialen Status gleich verteilt sind. Wir müssen uns nur um diese jungen Menschen kümmern, sie bilden und ausbilden.

Meine Damen und Herren, Sie erinnern sich an die Ghanaerin, die in Hamburg ihr Abitur mit 1,8 bestanden hat und - sozusagen als Dankeschön - abgeschoben werden sollte. Sie kämpfte und kämpfte, und am Ende durfte sie bleiben. Sie ist heute hier: Danke, Kate Amayo, dass Sie uns gezeigt haben, wie sehr wir uns in Sachen Liberalität und Weltoffenheit verbessern können.

Sie sehen: Ich meine mit Visionen nicht Utopien, eine Hamburger Marsmission etwa oder einen Deutschen Meister HSV. Im Ernst: Ich meine Ziele, die erreichbar sind, wenn Weichen richtig gestellt werden und dann alle zusammenhalten. Und ich bin überzeugt: Weniger Armut, mehr Sicherheit und eine Integrationspolitik, die in der Nachbarschaft beginnt, sind Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft.

Ohne sie sind geordnete Finanzen, eine stolze Nordbank und eine gut gemanagte Elbphilharmonie-Baustelle - übrigens auch irgendwie Visionen - nur Kulisse einer im Kern nicht funktionierenden Stadt.

Meine große Sorge hat mit Ole von Beust zu tun - besser gesagt: mit seinem Erbe. Es darf nicht verraten, ignoriert oder gar verachtet werden. Ich habe Ole von Beust im Abendblatt für die Art und den Zeitpunkt seines Rücktritts hart kritisiert. Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass er dieser Stadt einen Schub gegeben hat, Antrieb und Auftrieb, dass er damit ein modernes Hamburg erfunden und geprägt hat, ein Hamburg, auf das lange Zeit alle Hamburger stolz sein konnten, die gebürtigen, die geborenen und die Quiddjes.

Das ist eine großartige Leistung, man könnte sie fast visionär nennen - und dafür gebührt dem Bürgermeister Ole von Beust Dank und Anerkennung. Dieses Erbe, diese Überzeugung, dass Kindergartenplätze wichtig sind, aber nicht mehr wert als die Elbphilharmonie, dass diese Stadt eben beides braucht, um erfolgreich in die Zukunft gehen zu können, dieses Erbe muss derjenige, der künftig Hamburg regieren will, annehmen, pflegen und weiterentwickeln.