Immer mehr Diebstahl von wertvollen Metallen. Was sind das für Menschen, die sich an Dächern und Bahngleisen in Lebensgefahr bringen?

Hamburg. Es ist weit nach Mitternacht. Der verbeulte weiße VW-Bus kommt in einem kleinen Vorort von Hamburg zum Stehen. Einfamilienhäuser reihen sich aneinander und dunstiger Nebel liegt über dem verregneten Asphalt. Als der Wagen bremst und der Motor abgestellt wird, herrscht für einen kurzen Moment Stille. Dann geht es los. "Hier ist!", flüstert die tiefe Stimme des Fahrers, dann ein paar Worte auf Rumänisch und alles geht ganz schnell. Die schweren Türen des Wagens werden aufgezogen, Milosh, 24, ein kleiner Mann mit verstrubbelten schwarzen Haaren, der älter aussieht, als er ist, springt mit zwei weiteren Männern auf die Straße.

Man hört das kratzende Schrubben der Scheibenwischer und von draußen metallische Geräusche. Ein Hund bellt. Es dauert nur wenige Minuten und schon sind die drei Männer wieder im Wagen. In den Händen halten sie eine abmontierte Regenrinne. Die Türen klappen zu, das lange Rohr wird irgendwie positioniert, der Fahrer gibt Gas. Reifen quietschen - geschafft. "Jetzt alles sicher", sagt Milosh und dreht sich gedankenverloren eine Zigarette. Einer der anderen Männer zersägt das schwere Kupferrohr in kleinere Stücke.

+++ Metalldiebe legen Bahn und Elbtunnel lahm +++

Milosh hat gerade ein Verbrechen begangen. Die Zahl der Delikte von Kupfer- und Buntmetalldiebstahl steigt rasant an, sie füllen nicht nur Polizeiberichte, sondern auch Nachrichtenspalten. Der Preis für Kupfer liegt auf Rekordhöhe. Das zieht Diebe an, Menschen wie Milosh. Kupferdiebstahl - ein lohnendes Verbrechen, wie es heißt. Der Kupferpreis liegt momentan bei 5896 Euro pro Tonne. Fast sechs Euro pro Kilogramm.

Eine Regenrinne wiegt das Fünffache. Im besten Fall bringt sie 30 Euro ein. Ein lohnendes Verbrechen? Was für Menschen klettern in der Nacht über Dächer oder an Bahngleisen und riskieren ihr Leben für eine schlechte Handvoll Euro? Man wird keine allgemeingültige Antwort auf diese Fragen finden. Vielleicht findet man aber so etwas wie eine Ahnung, wenn man einem Mann wie Milosh lange genug in die Augen blickt. Seinen unruhigen Blick verfolgt, der immer wieder ins Leere gleitet. Milosh hinkt. Er hat sich verletzt: "Fallen von Dach", sagt er "während Arbeit" und zwinkert. Für was, das alles? "Muss ja", sagt er nur.

Barmbek. Irgendwo, in der Auffahrt zu einer schäbigen Garage. Das Diebesgut wird verstaut, Milosh setzt sich auf einen Mauervorsprung. Er dreht sich eine Zigarette. "Für uns keine Gefahr - wir Zigeuner", lacht er jetzt zum ersten Mal und offenbart zwei große Zahnlücken. Sein Blick gleitet wieder ab, irgendwo ins Nichts der Nacht.

Es gibt keine lohnenden Verbrechen. Aber es gibt dankbare Verbrechen. Kupferdiebstahl ist so eins. Die Diebe können sich sicher sein, die Ware abgenommen zu bekommen. Schrotthändler fragen nicht, wo die Rohre, Oberleitungen, Kabel, teilweise auch Friedhofsstatuen herkommen. Sie verscherbeln sie weiter. Außerdem ist es nicht einfach einen Kupferdieb vor den Richter zu bringen. Fallrohre von Regenrinnen sind genormt.

Selbst wenn man Milosh in dem Wagen angetroffen hätte, mit zehn weiteren Rohren, Hunderten von Kabeln - es wäre vor Gericht nicht beweiskräftig. Sie hätten sie sonst wo herhaben können. Keller, Müll, Elektroschrott, hören die Fahnder dann. Selbst wenn das Fehlen einer gegenüberliegenden Rinne sichtbar wäre - es wäre kein Beweis. Die einzige Möglichkeit: die Diebe auf frischer Tat zu ertappen. Und auch dann: Die Anklagen werden meist fallen gelassen: Es sind ja nur Regenrinnen.

Es gibt nichts zu beschönigen. Milosh ist ein Verbrecher. Ein Dieb. Er hat sich strafbar gemacht, nicht zum ersten Mal - und wie er es selber sagt, auch nicht zum letzten Mal. Gibt es gute Gründe für schlechte Taten? Milosh antwortet nicht darauf, er weiß, es gibt keine Rechtfertigung. Der kleine Mann mit den dunklen Haaren und den schwarzen Augen wirkt müde. Abwesend. Etwas anderes beschäftigt ihn. Die Liste seiner Straftaten ist lang, doch was ihm am meisten zu schaffen macht, ist die Lüge. Plötzlich zieht er sein Portemonnaie aus der löchrigen Jeans und holt ein verknicktes Foto heraus. Da steht er neben einer jungen, etwas dicklichen Frau mit stark geschminkten Augen und drei Kindern. Sie hält ein Baby im Arm. Wer nach Gründen fragt, dem wird Milosh nur dieses Foto zeigen. Aber wer fragt ihn schon?

Hamburg, Alsterdorf. Polizeipräsidium. Kripobeamter Rolf Richling sitzt in einem Konferenzsaal. In der Hand einen Kaffee, schwarz. Der Zucker ist aus. Der 53-Jährige hat schon viel erlebt. Einmal wurde sogar eine 200 Kilogramm schwere Kirchenglocke geklaut. Ansonsten: Betonmischer auf Baustellen, Kirchenkreuze und immer wieder Dachrinnen und Kabel bei der Bahn. "Denen ist nichts heilig", schimpft Richling. Vor allem der persönliche Wert der Gegenstände - das sei schlimm für die Menschen.

Auf Friedhöfen werden Bronzestatuen geklaut, das findet er furchtbar. "Da krieg ich Pickel!", spricht sich Richling in Rage. Er ist bei der Sache, er kennt die Fälle. Mehr als 60 gemeldete Delikte gab es in Hamburg allein 2011. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Es ist sein Job, Menschen wie Milosh das Handwerk zu legen. Es wurmt ihn, bislang kaum eine Handhabe gegen die Diebe zu haben. Aber er weiß auch, dass es weniger werden wird. Wenn die Preise für Buntmetall wieder sinken. Kupferklau als Trenddiebstahl? "Es ist nur Regenrinn", sagt Milosh leise, fast nicht hörbar. Milosh zuckt, wenn er Sirenen hört. Seine Geschichte ist eine Geschichte voller Widersprüche und Ungereimtheiten.

"Liegt an Sprach", sagt er. Nicht die deutsche Sprache scheint ihm schwerzufallen. Das Sprechen selbst ist es. Er ist es nicht gewohnt, dass man ihm zuhört. Aber viel zu sagen hat er nicht. Er tippt nur immer wieder auf sein Foto. Und irgendwann, da sagt er es dann. Den Grund, das Warum: "Für mein Kinder."

Der dicke Mann vom Steuer erzählt, dass Miloshs Familie noch in Rumänien lebt. In der Nähe eines Waldes, es sei kein Haus, vielmehr ... er sucht nach dem Wort, "eine Dreck". Eine Baracke. Geld habe die Familie keines. Eine Schulausbildung? Die beiden schütteln den Kopf. Ihre Ausbildung ist das Leben, sagen sie. Darum fahren die Männer im Sommer nach Frankreich, Holland und Deutschland. Um Geld zu verdienen. Um ihre Familie irgendwie durch den Winter zu bringen.

Milosh hat seiner Frau damals ein Versprechen geben müssen. Er werde nichts Illegales tun. Jede Arbeit würde er annehmen, jeden dreckigen Job. Betteln zur Not. Aber er würde nicht klauen, nicht betrügen. Er wollte nicht sein wie viele andere. Er wollte ehrlich sein. Im ersten Jahr brachte Milosh kein Geld mit nach Hause.

Im zweiten Jahr war es schlimmer. Er kam nicht nur mit leeren Händen, er hatte auch etwas verloren, sagt er: seine Würde. Er hat es doch versucht. Immer wieder nach Jobs gesucht. Im dritten Jahr beschloss er, mit Ciprian mitzufahren. Dem dicken Mann, der neben ihm sitzt. Die beiden haben sich in Berlin kennengelernt. Vielleicht war es eine schwere Entscheidung, vielleicht fiel sie ihm irgendwann auch leicht.

Die Diebestouren begannen. Stolz? Nein, aber als er im Winter nach Hause kam, hatte er Geld dabei. Genügend, um die Familie durchzubringen, wie er sagt. Doch seine jüngste Tochter war gestorben - an einer Lungenentzündung. "Vielleicht eine Straf?", fragt er mit erstickter Stimme. "Von Gott?"

Der kleine Mann fährt sich mit der Hand durch sein Gesicht, atmet tief durch. Dann nimmt er einen letzten Zug von seiner Zigarette und tritt sie auf dem Boden aus. Ciprian lächelt müde. Er klopft seinem Kollegen auf die Schulter. "Weiter", sagt er, steht auf, wirft den Bus an und setzt sich ans Steuer. Die anderen Männer steigen ein. "Muss ja", sagt Milosh. Das hat er in Deutschland gelernt. Irgendwie. Er streckt sich, scheint den Moment noch ein paar Sekunden herauszögern zu wollen und steigt dann ein. Am Horizont geht langsam die Sonne auf, als der Motor des verbeulten Wagens aufheult. Milosh kurbelt das Fenster runter und winkt. Dann zieht er weiter. Muss ja.