Wer bestimmt die Richtung in den städtischen Quartieren: Bürger oder Unternehmen?Nirgendwo ist der Kampf so heftig wie in Hamburg.

Hamburg. Im Regal stehen Bücher und Ordner, an der Wand ein paar Trommeln. Die Fensterscheiben sind schmutzig, und wenn man nach draußen blickt, sieht man flache Dächer und dampfende Schornsteine. Der Himmel ist trüb. Christoph Twickel sitzt an seinem Rechner, er schreibt eine E-Mail. Hier ist sein Denkkabuff, seine Studier- und Schreibstube. Ein schmuckloser Raum im Gebäude des Fleischgroßmarkts in der Lagerstraße.

Vor ein paar Wochen hat Twickel, der Journalist und Autor, nicht nur eine E-Mail, sondern viele klingende Sätze geschrieben. Sätze, die so pointiert waren und provozierend und aufsehenerregend, dass sie nach ihrer Internet-Karriere, wo sie von E-Mail-Posteingang zu E-Mail-Posteingang wanderten, im Hamburger Abendblatt und anderen Zeitungen abgedruckt wurden. "Not in our Name" steht über den Formulierungen. In seiner Kampfschrift wettert Twickel, 43, gebürtiger Düsseldorfer, im Namen der Hamburger Kulturszene gegen eine nur am Profit orientierte Stadtentwicklungspolitik und ein Bild der Stadt als Produkt und Marke, das es zu verkaufen gilt.

Jetzt sitzt Twickel am Tisch des Gemeinschaftsbüros. Unten rauschen Lastwagen vorbei, seine dicke Hornbrille liegt neben ihm, der Kaffee läuft durch den Filter. Twickel zieht an seiner Zigarette und sagt: "In der Aufteilung der Stadt in wohlhabende und arme Viertel ist ein Punkt überschritten, deshalb fangen wir nun an, uns Räume zu erobern."

Und damit fasst er all das zusammen, was in Hamburg, in Berlin und anderen Städten ein nervöses Grundrauschen verursacht hat in der Symphonie der Großstadt: die Frage nach der Gestaltung von Kommune und Gesellschaft. Wer bestimmt die Entwicklung - Investoren und Behörden oder die Bürger? Fragen, die zuletzt in Hamburg ums Gängeviertel geführt wurden, das von Künstlern besetzt wurde. Fragen aber auch, die an vielen Ecken der Stadt und des ganzen Landes diskutiert werden. Ähnlich wie in Zeiten der Hausbesetzungen der 1980er-Jahren entstehen bundesweit Netzwerke, Initiativen schließen sich zusammen.

In Hamburg wird die Diskussion zurzeit besonders laut geführt, und deswegen ist es nur folgerichtig, dass die bundesweite Initiative "Unternehmen Stadt übernehmen" am Donnerstag ihren Kongress in Hamburg abhielt. Das Bündnis beschäftigt sich mit den Umwertungs- und Gentrifizierungsprozessen in deutschen Städten.

Prozesse, die dazu geführt haben, dass sich zuletzt in Hamburg 20 Initiativen, die gegen den Einfall von Luxussanierern auf St. Pauli, gegen ein Bürohaus in Eimsbüttel, einen Ikea-Neubau in Altona, die Bebauung von Grünzügen oder eine Fernwärmeleitung von Vattenfall sind, zu einem Bündnis zusammengeschlossen haben. "Recht auf Stadt" heißt das und tagt im autonomen Stadtteiltreff Centro Soziale in der Schanze.

Es ist ein Kampf um die Stadt als Gemeinwesen entbrannt, und nirgendwo wird er so leidenschaftlich geführt wie in Hamburg.

Wahrscheinlich ist kein Text von Christoph Twickel so oft gelesen worden wie sein Manifest. In dem spricht er von "Territorialkämpfen", aber eigentlich sieht er ganz friedfertig aus mit seinen grauen Schläfen und den viel gestikulierenden Händen. Twickel, der mit Lebensgefährtin und Tochter in Altona lebt, ist ein eloquenter Denker. Und mittlerweile ein gefragter Mann. Er wird zu Informationsveranstaltungen und vom NDR eingeladen, und wenn man ihn mit einer Meinung konfrontiert, die ihm nicht gefällt, kratzt er sich am Oberarm, als rufe diese körperliches Unwohlsein hervor. "Eine Stadt als Produkt, das ist ein im Kern asoziales Projekt. Deshalb müssen wir dafür kämpfen, dass Städte wieder zu Gemeinwesen werden", sagt Twickel. Wenn er redet, dann merkt man förmlich, wie seine Gedanken zirkulieren und, kaum ausgesprochen, wieder eine neue Wendung nehmen. Twickel sagt viele kluge Dinge, die durchaus kapitalismuskritisch sind und denen zurzeit viele Sympathien gelten, aber wenn man ihn fragt, was denn sein ganz persönliches Recht auf Stadt ist, muss er erst mal überlegen.

Dann spricht er von Visionen, die zu entwickeln sind, um die Vielfalt der Stadt zu erhalten. Von einer Aneignung öffentlicher Räume, von einem besseren Leben für alle. Große Worte, so nennt er das selbst, aber manchmal geht's nicht drunter.

Die, um die es in erster Linie in Twickels Manifest ging, sind die Künstler. Eine ihrer Hochburgen ist Altona. Das Frappant-Gebäude in der Großen Bergstraße: Die alte Parkhaus-Rampe an der Rückseite des Gebäudes ist mit Eisenplatten geflickt, der Asphalt dazwischen bröckelt gefährlich. Mit weißer Farbe hat jemand einen dicken Strich und Pfeile auf die Fahrbahn gemalt, die hoch zu einer Ebene führt. Ein Ford Transit und ein alter Volvo Kombi parken dort einsam auf der riesigen Fläche, die einmal ein großer Parkplatz für Karstadt und Arbeitsamt in Altona gewesen war. Jetzt wachsen hier zwischen den Betonplatten Sträucher und junge Baumtriebe. Pfützen, so groß wie Teiche, haben sich in den Senken gebildet. Wäre da nicht das Brummen der Stadt, die unvermittelte Ödnis im Inneren dieser riesigen Waschbeton-Festung könnte fast erschrecken.

Eine junge, blonde Frau, hochgewachsen, der Mantel schwarz und Fingernägel dunkel lackiert, öffnet eine Metalltür zu dem oberen Teil des Frappant-Komplexes, der dort oben noch einmal auf Betonstelzen thront. Gianna Schade, 29 Jahre alte Fotografin, ist so etwas wie die Sprecherin der neuen Bewohner dort. Mit forschem Schritt eilt sie voran, die Treppen hoch, schiebt mit ärgerlichem Blick einen Müllsack zur Seite. 20 Jahre stand das frühere Arbeitsamt hier leer, noch immer sind an den langen Bürofluren Hinweisschilder für Arbeitslose und Stechuhren montiert, die Wände sind flüchtig mit weißer Farbe übertüncht. Im April ist Gianna Schade mit ihrer Bildagentur eingezogen, als sie ihre Räume im nahen Forum-Hochhaus räumen musste. Dort baut ein Investor jetzt die alten Wohnungen um. Mehrere Dutzend Künstler folgten ihr. 130 Kreative haben in dem Komplex jetzt ihre Arbeitsräume, im siebten Stockwerk werden wöchentlich Ausstellungen gezeigt. Wie ein trockener Schwamm hat das Frappant-Gebäude an Deutschlands einst erster moderner Fußgängerzone die Künstler aufgesogen.

In nur wenigen Monaten füllte sich der einst leer stehende Klotz, mutierte zu einer Trutzburg der Subkultur. 40 Prozent der 37 000 Quadratmeter sind Ateliers oder Ausstellungsräume. "Es könnten noch mehr sein, es warten viele", sagt Gianna Schade.

Nicht die zentrale Lage mitten in Altona, sondern die verzweifelte Suche nach Freiräumen ist dafür der Grund. Als habe jemand eine Schleuse geöffnet, kamen sie alle hierher: "So viel Platz ist eben für uns in kurzer Zeit verschwunden", sagt Gianna Schade. Die Zollstation Steinwerder, Ateliers an der Bernstorffstraße, das alte Bowling-Gebäude an der Reeperbahn, wo Star-Architekt Hadi Teherani jetzt seine tanzenden Bürotürme baut - überall verschwanden die Nischen, sicherten sich Investoren ihre Flächen. Recht auf Stadt? Gianna Schade lacht mit überraschend tiefer und hamburgisch eingefärbter Stimme laut auf. "Für mich würde das heißen, dass eine Stadt nicht alle ihre Freiräume zu Höchstpreisen verscherbelt", sagt sie und weiß doch, dass der Rückzug ins Frappant wohl nur ein kurzer Traum von einem völlig neuen Kulturzentrum bleiben wird. Ikea will den Klotz abreißen, viele Bezirkspolitiker versprechen sich davon eine "Belebung" des Stadtteils. Bürgerentscheide für und auch gegen Ikea sind in Vorbereitung. Zum 30. November bekam der Verein der Frappant-Künstler überraschend die Kündigung. 130 Künstler müssen dann raus. "Aber wohin? Luxus können wir nicht zahlen", sagt die Fotografin. Alte Gebäude, billige Mieten, ein Stadtleben jenseits von Glas-und-Stahl-Büroästhetik und Höchstpreispolitik sind selten geworden in Hamburg. "Wachsende Stadt und immer neue Rekorde bei den Touristenzahlen sind ein Sache", sagt sie. "doch ich frage mich, was macht die Stadt eigentlich für uns Hamburger?"

Die Brennpunkte der Stadt:

Stichwort Gentrifizierung: Die Angst vor Verdrängung

Elbtreppenhäuser

Frappant in Altona

Das alte Zollhäuschen

Gängeviertel

Wilhelmsburger Kreis

Moorburg-Trasse

Bernhard-Nocht-Quartier

Ortswechsel. "Ich hole dann mal meinen Ordner raus", sagt Harald Duchrow. Er steht am Ufer des Isebek-Kanals in Eimsbüttel, sein Fahrrad neben der Sitzbank. Duchrow, promovierter Geologe, ist ein Naturschützer, regelmäßiger Besucher von Bezirksversammlungen und kundiger Aktenleser. Er ist jemand, der für die Belange der Bürger kämpft. Deswegen hat er eine Initiative gegründet, die nicht nur den Bau eines Bürohauses an der Hoheluftchausee / Ecke Isebek-Ufer verhindern möchte. "Ich will hier einen Park", erklärt Duchrow. Gefordert hat er das bereits in zwei Bürgerbegehren und auf unzähligen Ausschuss- und Bezirkssitzungen, zuletzt bei einer Informationsveranstaltung des Bezirks. Die Geschichte seines Widerstands gegen die Pläne des Bezirks ist kompliziert - einerseits. Sie handelt von Behördenwünschen, Stadtkonzepten und Bürgerwillen, auch von taktischen Winkelzügen und persönlichen Kränkungen. Einen Bürgerentscheid, sagt Duchrow, habe der Bezirk nicht gewollt.

Denn, andererseits, ist für ihn die Sache ganz klar und einfach: "Wir leben in einer Demokratie, und da hat zu geschehen, was die Mehrheit will."

Und was will sie, die Mehrheit, seiner Meinung nach? Eine grüne Stadt, sagt Duchrow, "keine zugebaute". Geschützte Flächen, die nicht bebaut werden dürfen, Freiräume in der Großstadt. "Das Ufergehölz am Isebek ist rechtlich völlig ungeschützt und stark gefährdet." Es gibt Menschen in Eimsbüttel, die nennen Duchrow eine Nervensäge. Die sagen, dass der Bezirk das Mögliche tut, um das Isebekufer grün zu halten - und das Bürohaus doch ein Kompromiss wäre. Duchrow ist ein älterer Herr mit gepflegtem Bart, er legt seine Stirn in Falten und schaut gekränkt, wenn er auf seine Hartnäckigkeit angesprochen wird. Und dann schießt er los, redet ohne Punkt und Komma, es sprudelt aus ihm heraus. In dieser Stadt dürfe nicht nur das geschehen, was Investoren wollten, "die Stadt wird ausverkauft, ihr Programm ist eines der systematischen Grünflächenvernichtung". Duchrow blättert durch seinen Aktenordner, er hat sie alle durchgeackert, die Senatspressemitteilungen und Broschüren der Bau- und Umweltbehörde. Das Manifest Twickels kennt er auch, er geht regelmäßig zu den Zusammenkünften des Centro Sociale, des autonomen Stadtteiltreffs in der Schanze. Protest verbindet, und man kann sich das sogar vorstellen: dass der sachliche Geologe Duchrow mit jungen linken Studenten und wild assoziierenden Künstlern diskutiert.

Andy Grote diskutiert viel, denn er ist Politiker. Sein Büro liegt mitten im Stadtteil St. Pauli, rot leuchtet der Schriftzug "SPD" über dem Eingang. Rot sehen auch viele St. Paulianer, die seit einigen Jahren beobachten müssen, wie sich ihr Stadtteil verändert. Die Investorenoffensive rollt scheinbar unaufhaltsam. Es gibt die Hafenkrone und bald auch tanzende Bürotürme, und Andy Grote, stadtentwicklungspolitischer Sprecher seiner Partei, sagt: "St. Pauli war früher ein Ort, an dem die unterkamen, die sonst keinen Platz fanden - jetzt gibt es eben auch Wohnungen, die Leute mit höherem Einkommen ansprechen." Auf dem Tisch liegen SPD-Kulis, von der Wand schaut Willy Brandt ("Mehr Demokratie wagen"). Grote lebt hier schon ziemlich lange, er ist 41 Jahre alt und Anwalt. Man trifft ihn selten ohne Anzug, und wenn er sich in Bürgerversammlungen der Angriffe der Bürger erwehren muss, die fürchten, aus St. Pauli vertrieben zu werden, weil bald nur noch Luxuswohnungen vermietet werden, dann kann man sich sehr leicht vorstellen, dass ihn die Leute hier nicht als einen der ihren betrachten. Sie verhöhnen ihn, wenn er davon spricht, dass die Identität des Stadtteils gestärkt und die Vielfalt erhalten bleiben müsse. Weil für Grote zur Vielfalt eben auch der gut verdienende St. Paulianer gehört. "Die, die jetzt für das vermeintlich alte St. Pauli kämpfen, meinen doch nur ihres, das sie bei ihrer Ankunft vorgefunden haben. Da wollen sie keine Veränderungen." Grote zuckt mit den Schultern. Dann schimpft er ein bisschen auf den politischen Gegner, der in öffentlichen Flächen nur Vermögenswerte sehe. "Die SPD dagegen will soziale ErhaltenVerordnungen." Grote ist Politiker, und so redet er dann eben auch; aber neben dem reflexhaften Wettern gegen die Fehler anderer zeichnet ihn wohl trotzdem ein größerer Realitätssinn aus, verglichen mit den Bürgerinitiativen. Deren Kitt, sagt Grote, "sind die Maximalforderungen". Er verstehe, was die wollen, die Leute im Gängeviertel und die in der Bernhard-Nocht-Straße, "und ihr Engagement ist gut". Wo viele auf ihr "Recht auf Stadt" pochen, ist einer wie Grote aber nicht gern gesehen. "Man erntet mit Realismus keine Lorbeeren."

Es gab kein Wort des Dankes, nur lautes Triumphgeheul, als die Anwohnerinitiative NoBNQ vor ein paar Wochen durch ihren kreativen Protest erreichte, dass die Mieten für zehn Jahre nicht erhöht werden. Zumindest muss es Helmut Köhler und Andreas von Bargen so vorgekommen sein. Die beiden Hamburger führen ein kleines mittelständisches Immobilienunternehmen. In diesem Jahr ließen sie sich auf ein Abenteuer ein, ja, vielleicht kann man das so sagen. "Wir haben das völlig unterschätzt", sagt von Bargen, der meist still ist und seinem Partner das Reden überlässt. Sie wollten einen Häuserkomplex an der Bernhard-Nocht- und der Erich-Straße sanieren. Ein Großprojekt für ihre Firma, ein solider Plan, wie Köhler und von Bargen fanden. Doch dann brach ein Sturm über sie los. Auch, weil sich die beiden ungeschickt verhielten und die Anwohner erst spät informierten. Die Unternehmensgruppe wurde zum bösen Investor, zum Buhmann der Entrüsteten. Die jetzigen Bewohner sollen vertrieben werden, an den Rand gedrängt, befürchteten die Betroffenen. In ihrer Wut, die sich aus den Quellen der allgemeinen Entwicklungen in Stadtquartieren speiste - mit "Gentrifizierung" als Kampfbegriff -, verdächtigten sie Politiker und Unternehmer, durch den Umbau der alten Substanz in edle Eigentumswohnungen eine neue Anwohnerschaft anziehen zu wollen. Yuppiesierung also. Bei einer Bürgerversammlung wurden die Unternehmer niedergeschrien - ein Dialog jedenfalls kam nicht zustande.

"Wir wollten nie jemanden rausschmeißen", sagt Helmut Köhler. Seine Hände malen Kreise auf den Tisch im Besprechungszimmer der Firma. Köhler schaut ein wenig sauertöpfisch. Natürlich will er Geld verdienen, er ist Geschäftsmann. Er ist ehrlich - "natürlich mussten wir auch lernen" -, und man darf ihm auch die Frage stellen, wem die Stadt gehört: den Bürgern oder den Investoren? Nur eine Antwort erhält man nicht. Denn für Köhler schließt das eine das andere nicht aus. Die Ängste der Anwohner kann er verstehen. Sagt er. Und er kennt auch die Initiativen, die gerade überall in Hamburg gegen verschiedene Projekte kämpfen. Dann erzählt er von Baulücken, "die ja auch geschlossen werden müssen", und dann verbessert er sich: "geschlossen werden können". Brachflächen, renovierungsbedürftige Häuser, das sind für Investoren eine Projektionsfläche ihrer Ideen.

Köhler sagt, dass es eine interessante Idee sei, dass die Stadt ganze Straßenzüge kauft, "denn das wollen die ja auf St. Pauli: dass die Stadt ihnen das schenkt, damit sie selbst gestalten können". Das kann er nicht verstehen, "dann geht es ja schon um Ideologie". Ein paar Ur-St.-Paulianer, die sind jetzt auf sie zugekommen, weil sie gut finden, wie sich St. Pauli verändert. "Mit denen kann man reden", sagt Köhler. Hinter ihm steht ein Modell des Häuserkomplexes im geplanten Quartier, und im Blumentopf steckt eine NoBNQ-Flagge. Die haben sie ihm zugesteckt in der Bürgerversammlung.

Der Veringkanal in Wilhelmsburg hat seine Industrie-Vergangenheit schon fast abgelegt. Bunte Hausboote dümpeln dort, ein frisch angelegter Spazierweg schlängelt sich am Ufer an Fabrik-Brachen vorbei "Gegenüber, da hat Fatih Akin seinen neuen Film ,Soul Kitchen' gedreht", sagt Uli Hellweg und deutet auf einen dunklen Ziegelbau am Wasser. Er sagt so etwas gern. Wenn die Filmleute Wilhelmsburg entdecken, müssen es andere auch tun. Das ist seine Botschaft. Und Wilhelmsburg sein großes Projekt. Hellweg ist Chef der Iba, der Internationalen Bauausstellung, die bis 2013 den Stadtteil aus seiner "Abwärtsspirale" bringen soll, wie es der gelernte Stadtplaner formuliert. In Berlin war er schon bei der Sanierung von Kreuzberg dabei, in Luxemburg plante er eine neue Universität. Und nun Wilhelmsburg. Der "Balkan", wie sie nördlich der Elbe oft immer noch sagen. Mit Studenten-Wohnprogrammen, mit Fabriketagen für Künstler, mit Imagekampagnen und Öko-Bauherrenprojekten soll der Wandel kommen. Gekommen ist aber auch die Kritik: "Iba versenken, Häuser verschenken." Solche Sprüche kleben jetzt auf den Straßenlaternen im nahen Reiherstiegviertel. Dort, wo die neuen Studenten wohnen und die gewollte Veränderung nun mit Argwohn beobachtet wird. Was in Ottensen, auf St. Pauli oder St. Georg passiert, drohe nun auch Wilhelmsburg, heißt es in den Manifesten. Die Iba sei da nichts als williger Helfer, ein Beschleuniger der Gentrifizierung. 120 Millionen Euro will der Senat in den Stadtteil pumpen. Das reicht, um auch hier gezielte Verdrängung zu vermuten. "Aber wir machen es ganz anders", sagt Hellweg und schüttelt den grauen, lockigen Kopf. "Nein, unser Ziel heißt Aufwertung ohne Verdrängung - aber man kann doch nicht sagen, wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!" Veränderung müsse eben sein, Konservieren sei keine Lösung.

Der Gentrifizierungsvorwurf trifft ihn, so wie es jemanden trifft, der helfen will und abgewiesen wird. Recht auf Stadt - das definiert er als Pflicht zum Experiment. Wenn die Iba eine ganze Fabrik am Kanal für Künstler herrichtet, 4000 Quadratmeter für gut 90 Ateliers, dann sei so etwas eben nur hier, in Wilhelmsburg, möglich, glaubt Hellweg. Man dürfe solche Künstlerprojekte aber nicht als "Durchlauferhitzer" planen. Kurz ein Gebiet hypen - und dann teure Eigentumswohnungen bauen. "Wir brauchen den Mix dauerhaft", sagt Hellweg.

Aber er weiß auch eines: Anderswo in der Stadt wäre so eine Künstlerfabrik noch nicht möglich. Nur in Wilhelmsburg regiert noch nicht das Höchstpreis-Diktat, wenn die Stadt attraktive Wasserlagen feilbietet. "Wir sind hier Labor, wird dürfen das", sagt Hellweg.