Am 29. Oktober öffnet die berühmte Bühne wieder bis Februar. Zur Premiere in Hamburg werden die zwei Superstars aus Las Vegas erwartet.

Hamburg. Im November 1964 standen die beiden am Steindamm auf der Bühne. Vanessa Seifert erzählt die zauberhafte Geschichte zweier Legenden. Sie trieb sich in Nachtklubs rum. Rein beruflich. Fast täglich saß sie in einem anderen Kabarett. Nur dienstlich. Denn Telse Grell war ständig auf der Suche. Nach Artisten, die gut genug waren für das Hamburger Publikum. Nach Künstlern, die sie verpflichten wollte für Deutschlands älteste Varieté-Bühne. Die ihres Hansa-Theaters, das ihr Großvater Paul Wilhelm Grell am 5. März 1894 gegründet hatte, würdig waren. Ein bisschen war sie der "Talent Scout" der Nachkriegszeit.

Sie suchte überall, auch im Astoria in Bremen. Irgendwann im September 1964 entdeckte sie dort auf der Bühne einen blonden Siegfried. Einen jungen, noch unbekannten Magier aus Bayern, der einen Geparden kleine Kunststückchen aufführen ließ. Unterstützt wurde er bei dieser Nummer, die genau 18 Minuten dauerte, von einem Assistenten namens Roy. "Nicht so schlecht", hat sich Telse Grell wohl gedacht. "3+" soll sie in ihr Notizblöckchen geschrieben haben. 3+ für "verwendungsfähig", für "könnte man auch mal buchen".

Genau das tat Telse Grell schon wenige Tage später. Im November bezogen "Siegfried & Partner" ein winziges Artisten-Zimmer an der Bremer Reihe. Einen Monat lang standen sie Abend für Abend auf jener legendären Bühne des Hansa-Theaters, in dem schon Josephine Baker halb nackt den "Bananen-Rock" getanzt hatte. Siegfried trug immer einen schwarzen Frack mit Fliege, Roy sah aus wie ein Page. "Die beiden", sagt Peter Baldermann, Geschäftsführer des Hansa-Theaters und Schwiegersohn von Telse Grell, "haben diese Auftritte nie vergessen." Anlässlich des 100. Jubiläums habe er 1994 mit den Magiern telefoniert. "Insbesondere Siegfried ist sehr emotional. Die beiden erinnern sich gern daran zurück, wie alles begann."

Wie jene wahrlich zauberhafte Karriere begann, die Siegfried Fischbacher aus Rosenheim und Roy Uwe Ludwig Horn aus Nordenham bei Bremen zu den "Königen von Las Vegas" werden ließ. Ausgerechnet die beiden Deutschen, denen man bei ihrer Ankunft in den USA 1970 noch lapidar gesagt hatte: "Magie mit Tieren? Vergesst es, Jungs!", erfanden die Regeln des Showgeschäfts neu. Allein die Zahl der jährlichen Vegas-Besucher verdoppelte sich von 18 auf 36 Millionen, seit Siegfried und Roy ab 1. Februar 1990 mit ihren weißen Tigern im Mirage-Hotel auftraten, das den Magiern gar einen Vertrag auf Lebenszeit einräumte. "Die Show ist unser Leben", sagte Siegfried einmal. "Unser Leben ist die Show."

Wie Märchenprinzen lebten Siegfried und Roy in der Spieleroase mitten in der Wüste, in einer Welt zwischen Tatsachen und Träumen, Glamour und Glitter, Wünschen und Wirklichkeit, Fakten und Fantasien. "Sie leben den amerikanischen Traum", bescheinigte ihnen der ehemalige US-Präsident George Bush Senior. Bis sie aus diesem Traum aufschrecken mussten: Am 3. Oktober 2003 wurde Roy mitten in einer Vorstellung von dem weißen Tiger Montecore in den Hals gebissen und lebensbedrohlich verletzt. Die Show war plötzlich vorbei, das Leben ging weiter. In langsamen Schritten. Operationen, Krankenhausaufenthalte, Reha. Im März dieses Jahres feierten Siegfried und Roy noch einmal ein einmaliges Comeback - und verabschiedeten sich von der Bühne. Wohl für immer.

Deshalb werden Siegfried und Roy, der gesundheitlich noch angeschlagen ist, zwar nicht mehr selbst auftreten, aber als Ehrengäste in Hamburg sein. Am 29. Oktober, beim zweiten Comeback einer anderen Legende: Auf Initiative des Hamburger Abendblatts und des St.-Pauli-Theaters wird das Hansa-Theater bis Ende Februar 2010 wieder bespielt.

Damit kehrt große Vergangenheit zurück in die Zukunft: Denn am 31. Dezember 2001 war am Steindamm der letzte Vorhang gefallen. Nach 107 Jahren, 51 188 Vorstellungen, 1047 Programmen mit mehr als 25 000 Künstlern und mehr als 37 Millionen Zuschauern. Lüster, Lampen, Spiegel und 491 samtrot gepolsterte Plüschstühle fielen damals in einen Dornröschenschlaf. Die Show war plötzlich vorbei, das Leben ging weiter. Nur eben woanders.

Bis das Varieté im Januar 2009 auf Zeit wieder eröffnete. Eine Rückkehr der Legende - und der Legenden. In ein Plüsch-Paradies, das zwischen Dönerbuden, Sexklubs und Spielhallen liegt. Ein paar Quadratmeter gute alte Zeit, ein paar Stunden heile Welt. "Ich war früher oft mit meiner Mama Hermine hier", sagte Panik-Rocker Udo Lindenberg bei der Premiere im Januar. "Wir tranken hier gern Piccolo." Auch Kaffee-König Albert Darboven erinnerte sich an früher und daran, wie er als "Bengel in kurzen Hosen" hier Zauberer, Artisten und Dressuren bestaunte.

So ein buntes Programm, moderiert unter anderem von Kabarettist Horst Schroth, Schauspieler und Musiker Ulrich Tukur oder Schauspieler Rolf Claussen, erwartet die Zuschauer auch bei der zweiten Auflage des Comebacks. Möglich gemacht haben das Thomas Collien und Ulrich Waller vom St.-Pauli-Theater: "Das Hansa-Theater ist ein Stück Hamburg. Es ist ein Wahrzeichen wie der Michel, die Reeperbahn oder der Hafen. Deswegen war es uns eine wahre Herzensangelegenheit, diese Hamburgensie wieder mit Leben zu füllen und den Hamburgern wieder zugänglich zu machen."

Es ist ein Haus voll nostalgischem Charme, in dem selbst die Toiletten ein Juwel sind. Insbesondere die Damen-Toilette aus dunkel schimmerndem Mahagoni-Holz mit geschliffenen Spiegeln - schon mehr als einmal ist sie von Frauenzeitschriften für Mode- und Schminkstrecken angemietet worden. Und das Hansa-Theater wäre nicht das Hansa-Theater ohne seinen berühmten Theater-Teller. Die edlen Schnittchen mit Aal und Shrimps liefert das Fischereihafen-Restaurant von Rüdiger und Dirk Kowalke. Die Macher sind sich sicher, dass auch die zweite Auflage des Theater-Klassikers ein Erfolg wird. Getreu dem Spruch über dem Entree: "Möge dieser Eingang der Ausgang für zufriedene Gäste sein."

Viele Besucher werden in Erinnerungen schwelgen. Wie sicherlich auch Siegfried und Roy. Sie werden vielleicht zurückdenken an den stürmischen Tag im Frühjahr 1960, als sie sich auf den Ozeandampfer "Bremen", einem Linienschiff zwischen Bremerhaven und New York, kennengelernt hatten. Wie Siegfried in die Kajüte seines Steward-Kollegen Roy geplatzt und dort den Geparden "Chico" entdeckt hatte. Wie die beiden, zurück an Land, mit dem Tier auf Tour gingen. Sie werden zurückdenken an Hamburg, wo sie als "Siegfried & Partner" umjubelte Auftritte hingelegt haben. Und vielleicht denken sie daran, wie Telse Grell sie im Bremer Astoria für ihr Varieté entdeckt hatte.

Nur, dass sie sie mit einer "3+" bewertet haben soll, na ja, das müssen sie vielleicht gar nicht erst wissen. Es ist auf jeden Fall eine zauberhafte Geschichte mit magischen Momenten. Wie die von Siegfried und Roy.