Der ehemalige Parteichef Mathias Petersen brüskiert seine eigene Partei. Für die Primarschule sind sogar sechs Sozialdemokraten.

Hamburg. Was demonstriert das ganze Dilemma der SPD in der Schulpolitik besser als der Abschluss der ernsthaften, insgesamt fairen Debatte über das Schulgesetz in der Bürgerschaft? Als der frühere SPD-Vorsitzende Mathias Petersen überraschend ans Pult schritt, war es mucksmäuschenstill im Parlament. "Ich teile den Beschluss meiner Fraktion, das Gesetz abzulehnen, nicht", verkündete Petersen und löste Entsetzen in den Reihen der SPD-Abgeordneten aus. Petersen hatte den am Montag in der SPD-Fraktion mühsam erzielten Kompromiss aufgekündigt.

"Seit ich in der SPD bin, setze ich mich für längeres gemeinsames Lernen ein", sagte der prominente Abweichler. "Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Schulgesetz einen historischen und wichtigen Schritt darstellt", setzte der Arzt aus Altona hinzu und erntete kräftigen Beifall der Regierungsseite. Als er an seinen Platz zurückging, würdigten sich Fraktionschef Michael Neumann und Petersen keines Blickes.

Fast reflexhaft eilte nach Petersen der SPD-Schulpolitiker Ties Rabe nach vorne, der die Schulreform zuvor mit scharfen Worten gegeißelt hatte. "Überzeugungen sind der richtige Anfang", sagte Rabe. Aber die SPD schaue genau hin und bewerte auch die Details. Rabe sprach in Richtung CDU und GAL, aber er meinte vor allem seinen Parteifreund Petersen.

Dass die SPD in der Frage der sechsjährigen Primarschule zerstritten ist, zeigte sich auch in der Abstimmung über das Schulgesetz. Beim Einzelvotum zur Einführung der neuen Schulform hoben neben den Abgeordneten von CDU, GAL und der Linken auch sechs Sozialdemokraten die Hand: DGB-Chef Uwe Grund, Ver.di-Chef Wolfgang Rose, Mathias Petersen, Thomas Böwer, Gerd Lein und Rolf-Dieter Klooß. Bei der Schlussabstimmung in erster und zweiter Lesung erhielt das Reformpaket der schwarz-grünen Koalition dank Petersen eine Stimme zusätzlich. Thomas Böwer und die acht Linken-Abgeordneten enthielten sich.

Zum Auftakt der rund zweistündigen Debatte hatte der CDU-Schulpolitiker Marino Freistedt die besondere Ausgangslage in Erinnerung gerufen. "Zwei Parteien mit unterschiedlichen Bildungszielen haben zueinander gefunden", sagte Freistedt und nannte Schulsenatorin Christa Goetsch und Bürgermeister Ole von Beust als die Wegbereiter. Beide, CDU und GAL, hätten sich von ihren ursprünglichen Positionen aus bewegt. Der Union sei der Schritt zu sechs Jahren gemeinsamen Lernens nicht leicht gefallen. "Die GAL hat Abstand genommen von ihrem Konzept Neun mal klug", sagte Freistedt und löste große Heiterkeit aus. Er meinte "Neun macht klug" - der Slogan, mit dem die GAL neun Jahre gemeinsames Lernen durchsetzen wollte.

Der SPD-Schulpolitiker Rabe sorgte für die erste Polemik in der Debatte. "Vielen Dank, Herr Goetsch, für Ihre Rede", sagte Rabe in Richtung Freistedt. Die Primarschule entzweie Schulen, Parteien und Familien. "Eine Reform, die nur mit einem Schulkrieg durchgesetzt werden kann, schleppt eine schwere Last mit sich", sagte der SPD-Mann. "Herr Rabe tritt als Biedermann auf, hat aber wie ein Brandstifter geredet", giftete der GAL-Fraktionschef Jens Kerstan zurück.

Rabe billigte der Reform "einige vernünftige Ansätze" zu. "Aber alle Versuche, Daten und Fakten offenzulegen, werden in Wolken von Nebel gehüllt", so der SPD-Mann. "Die Primarschule wird mehr zerstören als heilen."

Schulsenatorin Goetsch betonte dagegen, dass es "dringend Zeit sei, die gewaltigen Probleme anzupacken". In Hamburg gebe es zu viele "Verlierer" im jetzigen Schulsystem. Ein Drittel aller Schulabgänger sei nicht ausbildungsfähig. "Wir hinken hinterher. Mit dem Schulgesetz schaffen wir das Fundament, um das Schulsystem umfassend zu reformieren", sagte Goetsch. Deutschland und Teile Österreichs seien mit der frühen Trennung der Kinder nach Klasse vier die Ausnahme in Europa. "Die Sieger werden die Kinder in Hamburg sein", sagte die Senatorin.