Genau genommen hat sich auf dem Schulterblatt seit 120 Jahren nichts verändert.

Unterhaltung für Sommergäste bot das Flora-Theater schon nach seinem Bau 1888. Unterhaltung für Sommergäste bietet die Rote Flora auch heute. Mit dem Unterschied dass sich die Aufführungen vor das kleine abrissreife Theater verlagert haben. Der Spielplan ist klar umrissen: Schanzenfest, 1. Mai, Tag der Deutschen Einheit. Das eine oder andere Heimspiel des FC St. Pauli noch. Mitmachen kann, frei, wer will. Zur Kostümierung gehören schwarze Windjacken, schwarze Sonnenbrillen. Die Zuschauerränge auf der Piazza gegenüber sind prall gefüllt - zur Freude der Wirte. Doch wer hinter das Bühnenbild schaut, wird enttäuscht: Yuppies auf den Rängen, Mitläufer unter den Schwarzvermummten. Hinter den vielen schwarzen Brillen hat der aufmerksame Beobachter neben Punks und Autonomen längst den pubertierenden Gymnasiasten erkannt, der gern mal einen Stein auf Polizisten schmeißt. Derweil haben Altlinke für Lacher im Publikum gesorgt, weil sie wie am 3. Oktober vergangenen Jahres Barrikaden wieder abbauten, statt sie in Brand zu setzen. Von politischen Idealen wird der kalkulierte Aufstand schon lange nicht mehr getragen. Ausschreitungen auf der Schanze, das ist längst ein Schauspiel für die Gelangweilten - mit der immer größeren Gefahr, selbst getroffen zu werden. Blutende Polizisten und Verletzte im Publikum gehören längst zum Inhalt. Was es so gefährlich macht, ist, dass es ein Schaustück ohne Inhalt geworden ist, nur mit einem Ziel: die Bühne brennen zu sehen. Am Wochenende hatten die Vorführungen mal wieder Überlänge. Bereits am frühen Morgen waren die Ränge leer gefegt. Die Darsteller verlegten ihre Aufführungen daraufhin in die Nebenstraßen und spielten "Katz und Maus". (dfe)