Hamburg. Niederlagen gehören zum Siegen dazu. Ein Misserfolg bedeutet nicht das Ende. Das zeigen die Geschichten dieser Hamburger Größen.

Die Niederlage war nicht zu beschönigen: Mit Pauken und Trompeten wurde der rot-grüne Senat 2001 abgewählt und Krista Sager als Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin aus dem Amt gefegt – vor allem durch Verluste der Grünen. Das empfand die Spitzen-Grüne zwar als ungerecht. Doch als die Stimmen ausgezählt und Ole von Beust (CDU) neuer Bürgermeister war, fand sich Sager auf der Oppositionsbank wieder. Da ahnte sie noch nicht, dass sie nur ein Jahr später ganz oben in der Bundespolitik mitmischen sollte. Das war komplett ungeplant und „eine völlig verrückte Geschichte“, erinnert sie sich.

Nach Hamburg-Pleite in die Bundespolitik: Krista Sager
Nach Hamburg-Pleite in die Bundespolitik: Krista Sager © dpa | Tim Brakemeier

Gesucht wurde vor der Bundestagswahl 2002 ein Kandidat für den zweiten, wenig aussichtsreichen Listenplatz der Hamburger Grünen. Nachdem sich kein halbwegs prominenter Bewerber fand, übernahm Sager am Ende einer turbulenten Versammlung selbst die Kandidatur – ohne sich große Chancen auszurechnen. Es kam anders. Um fünf Uhr in der Wahlnacht klingelte bei ihr das Telefon und fest stand: Dank des spektakulären Wahlergebnisses der Hamburger Grünen von 16,1 Prozent hatte Sager den Sprung in den Bundestag geschafft, für sie „eine überraschende Wende“.

Noch verblüffter war die damals 49-Jährige, als ihr kurz darauf – wiederum am Telefon auf dem Weg nach Berlin – der Fraktionsvorsitz der Grünen im Bundestag angedient wurde. Das hatte sie ihren guten Verbindungen aus der Zeit als Parteichefin Mitte der 90er-Jahre zu verdanken und dem engen Verhältnis zu Außenminister Joschka Fischer. Mit Karin Göring-Eckardt an ihrer Seite gestaltete Sager drei Jahre lang die Politik der Schröder/Fischer-Regierung mit – „eine Zeit, die für mich politisch am interessantesten war“, wie sie sagt.

Daraus gelernt hat das langjährige St.-Pauli-Mitglied, verheiratet mit dem früheren HSV-Aufsichtsratschef Manfred Ertel, „dass aus einer Niederlage auch etwas sehr Gutes werden kann“. Diese Erfahrung möchte Sager ihrem Verein – und selbst dem HSV – allerdings ersparen.

Profiboxer Wladimir Klitschko: Nie mehr den Gegner unterschätzen

Er hatte sich schon auf den Urlaub eingestellt. „Ich sah mich während des Walk-ins am Strand beim Kitesurfen. Ich dachte: Den haue ich kurz weg, und dann genieße ich mein Leben weiter“, erinnert sich Wladimir Klitschko an die Gedanken, die ihn begleiteten, während er am 8. März 2003 in der Preussag-Arena in Hannover Richtung Boxring schlenderte, um seinen WM-Titel im Schwergewicht nach Version des Weltverbands WBO zu verteidigen.

Eigentlich hatte er gar nicht boxen wollen. Nach drei Titelverteidigungen im vorangegangenen Jahr, zwei davon in den USA, fühlte sich der damals 26 Jahre alte Ukrainer ausgebrannt. Aber sein damaliger Hamburger Promoter Klaus-Peter Kohl, Chef des mittlerweile insolventen Profistalls Universum, überredete seinen Star.

K.o. in der zweiten Runde: Profiboxer Wladimir Klitschko verlor den Kampf gegen den Südafrikaner Corrie Sanders am 8. März 2003 in Hannover
K.o. in der zweiten Runde: Profiboxer Wladimir Klitschko verlor den Kampf gegen den Südafrikaner Corrie Sanders am 8. März 2003 in Hannover © picture-alliance / dpa/dpaweb | Holger Hollemann

Der für die freiwillige Titelverteidigung ausgesuchte Südafrikaner Corrie Sanders sei kaum ein Gegner, sondern eher leichte Beute, hatte Kohl den damals 37-jährigen als untrainiert geltenden Sanders angekündigt. „Er sagte, dass ich den innerhalb von fünf Runden ausknocken würde. Und so bin ich dann auch in den Kampf gegangen“, sagt Klitschko.

Das böse Erwachen gab es in Runde eins. Sanders, der im September 2012 bei einem Raubüberfall in einem Restaurant in Südafrika von den Räubern erschossen wurde, war ohne Angst, dafür aber mit einer gehörigen Portion Schlagkraft angereist. Und Klitschko lief, unaufmerksam und unkonzentriert, direkt in Sanders’ Konter hinein. Zweimal ging er zu Boden, und weil er es in der zweiten Runde mit Gewalt wissen wollte, anstatt auf Sicherheit bedacht zu kämpfen, war nach zwei weiteren Niederschlägen Schluss.

Es war Klitschkos zweite Niederlage als Profi, aber die erste durch schwere Niederschläge. Bis heute hat er dieses erste Mal nicht vergessen. Die Lehre daraus begleitet ihn in jeder Kampfvorbereitung aufs Neue: „Dass ich nie wieder einen Gegner unterschätzen werde, egal, wie schlecht er von anderen geredet wird.“ Mit Erfolg: Wladimir Klitschko ist seit mehr als elf Jahren unbesiegt.

Panik-Rocker Udo Lindenberg: Hinterm Horizont geht's weiter

Den Soundtrack zum eigenen Comeback hat sich Udo Lindenberg direkt selbst geschrieben. „Ich mach mein Ding / egal was die anderen sagen“, nuschelt der Panikrocker auf seinem 34. Studioalbum „Stark wie Zwei“, das ihn 2008 im stolzen Rock’n’Roll-Alter von 62 Jahren zum ersten Mal auf Platz eins der deutschen Charts katapultierte. Und das trotz „Woddy Woddy Wodka“, den er auf der Platte ebenfalls besingt. Dem Dauer-Absturz schwor er nun ab: „Ich war früher hauptberuflich Schluckspecht. Das habe ich alles geändert, jetzt gibt es gezielte Besäufnisse“, sagte er vor wenigen Tagen.

Der Hamburger ist ein wahrer Stehaufkünstler. In den 70er-Jahren zählte der gebürtige Westfale zu jenen, die die deutsche Sprache für den Rock entstaubten. In den 80ern wurde er als kultiger Ost-West-Vermittler gefeiert. Doch nach der Wiedervereinigung blieb der große musikalische Erfolg aus. Udolino drohte im eigenen Legendenstatus zu versauern. Als Eierlikör malender Hotel-Bewohner war er zwar stets für eine Anekdote gut, aber häufig hatte der Betrachter das Gefühl, „das wahre Ich bleibt lieber im Schrank“, wie Lindenberg auf „Stark wie Zwei“ singt. Dieses Werk jedoch brachte einen kaum noch erhofften Schub. Und zwar zu den Sternen, wohin der selbst ernannte Astronaut ja auch gehört.

Welchen Treibstoff hat er verwendet für seinen Höhenflug? Auf „Stark wie Zwei“ ist der Musiker offen und ehrlich wie lange nicht. Und er sucht sich Komplizen aller Altersgruppen, die ihm Flügel verleihen. Von Rapper Jan Delay über Jazzer Helge Schneider bis zu Pop-Chanteuse Annette Humpe. Für sein bejubeltes Unplugged-Konzert 2011 auf Kampnagel holte er sich weitere Künstler wie Clueso und Jennifer Weist auf die Bühne. Geteiltes Rampenlicht bedeutete da doppelte Hit-Garantie. Auf einmal ist der Greis wieder heiß. Udo lehrt uns: Zusammen ist man weniger allein. Und: „Hinterm Horizont geht’s weiter“.

Ratsherrn: Aus der Versenkung zurück in die Szene-Lokale

Als die Elbschloss-Brauerei im Jahr 1951 das erste Ratsherrn Pils ausschenkte, prophezeite ein Reporter des Hamburger Abendblatts dem Bier zunächst eine große Zukunft in der Hansestadt. Nach der Probe zu urteilen werde die neue Kreation mit dem „sympathischen Namen“ ihren Weg in Hamburg machen, urteilte er in einem kurzen Artikel. Und tatsächlich: In den folgenden Jahrzehnten stieg die Marke mit dem urhanseatischen, aber auch ein wenig biederen Herrn auf dem Etikett zum beliebtesten Bier der Stadt auf. 150.000 Hektoliter wurden in den besten Zeiten abgesetzt, mehr als die Konkurrenten Holsten oder Astra verkaufen konnten.

Doch mit der Schließung der Elbschloss-Brauerei 1994 und der Verlegung der Produktion zum Astra-Hersteller Bavaria begann der Niedergang der einst so geschätzten Marke. Als Bavaria schließlich von Holsten geschluckt wurde, verkaufte der Braukonzern die traditionsreiche Marke, die im Anschluss komplett in der Versenkung verschwand.

Das Comeback begann vor fünf Jahren, als die Nordmann-Gruppe in den heruntergekommenen, graffitibeschmierten Viehhallen des Hamburger Schlachthofs eine neue Braustätte errichtete – mitten im szenigen Schanzenviertel. In einer gläsernen Brauerei können die Besucher des angrenzenden Gasthofs seit 2012 verfolgen, wie Braumeister Thomas Kunst seinen Sud ansetzt und aus Malz, Hopfen und Wasser die drei klassischen Sorten Pilsener, Rotbier und Pale Ale kreiert. Handwerklich gebraute Biere, ganz im Sinne des aus den USA übernommenen Craft-Beer-Trends. Der etwas biedere Ratsherr ist weitgehend von den Etiketten verschwunden und hat modernen Schriftzügen Platz gemacht. Die Marke selbst aber ist wieder dabei, zu einem der beliebtesten Biere der Hansestadt zu werden. (inga/bj/bir/bob)