Zwei Schwergewichte aus Hamburg verabschieden sich nach Jahrzehnten von der politischen Bühne: Hans-Ulrich Klose (SPD) und Krista Sager (Grüne) scheiden aus dem Bundestag aus. Beide haben noch einiges vor.

Es klingt wie ein Einblick in seine Gefühlswelt zum eigenen Abschied: „Jetzt, bitte, will ich selbst entscheiden, jetzt bin ich alt und endlich frei“, hat Hans-Ulrich Klose gedichtet. Tatsächlich entstanden die Zeilen schon 1997, doch wer in diesen Tagen mit dem SPD-Politiker spricht, der jetzt nach 30 Jahren den Deutschen Bundestag verlässt, der spürt sehr viel Wehmut. „Ich muss mich an das Ausscheiden gewöhnen“, bekennt Klose. Er war gern Parlamentarier, hat nach eigener Einschätzung sehr viel gelernt, und ja: „Ich weiß inzwischen unheimlich viel“, sagt er. Der tägliche Dialog mit den Mitarbeitern und Kollegen wird ihm fehlen, das Abwägen von Argumenten, das gerade in der Außenpolitik so wichtig sei, seinem Feld. Das Aufräumen und Ausräumen seines Büros fällt ihm schwer. „Das Ganze ist bitter, aber auch süß“, sagt Klose. Schließlich geht der Sozialdemokrat aus freien Stücken. „Mit 76 Jahren ist es genug“, hat er entschieden, bereits kurz nach der letzten Wahl. Und diesen Entschluss gleich bewusst bekannt gegeben, auch um sich selbst den Rückweg zu verbauen. Süß ist der Abschied für ihn, weil er nicht mehr „in der Mühle“ ist. „Ich entscheide selbst, was ich tue und mit wem“, sagt Klose.

Wie der erfahrene Außenpolitiker scheidet auch die Grüne Krista Sager aus dem Bundestag aus – zwei politische Schwergewichte aus Hamburg, die nicht nur der Bundespolitik ihren Stempel aufgedrückt haben, sondern zuvor auch die Geschicke der Hansestadt in maßgeblicher Position gelenkt haben. Klose war von 1974 bis 1981 Erster Bürgermeister in Hamburg, Krista Sager von 1997 an vier Jahre lang Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin. Beide führten zuvor die Bürgerschaftsfraktionen ihrer Parteien. Und beide suchten nach dem Ausscheiden aus ihren Ämtern das Glück in der Bundespolitik – mit Erfolg. Klose wurde 1991 Chef der SPD-Bundestagsfraktion, später Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und der Deutsch-Amerikanischen Parlamentariergruppe sowie zuletzt Koordinator der Deutsch-Amerikanischen Beziehungen. Die Berufung durch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bedeutete eine Auszeichnung für den Oppositionspolitiker.

Krista Sager war Mitte der 90erJahre Vorstandssprecherin der Bundesgrünen im Team mit Jürgen Trittin, von 2002 bis 2005 zusammen mit der jetzigen Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag und prägte in dieser Rolle die Politik von Gerhard Schröders rot-grüner Bundesregierung mit.

Die 60-Jährige ist vor allem froh, wenn sie an ihren Abschied denkt. „Ich fühle mich gut“, sagt sie. „Fast jeden Tag bin ich beim Aufwachen erleichtert, dass ich nicht mehr in diesem Stress drinstecke.“ Bei ihrer letzten Bundestagssitzung Anfang September hat sie sich selbst beobachtet und gefragt, ob sie wohl wehmütig würde. Doch das Gefühl blieb völlig aus. „Ich merke, wie toll es ist, wenn der Druck nachlässt und die Freiheit größer wird.“ Vorgenommen hat sie sich möglichst wenig für die Zeit nach der Politik. Einige Ämter in Beiräten von wissenschaftlichen Einrichtungen behält sie. Aber ansonsten will Krista Sager die Dinge auf sich zukommen lassen, Raum lassen für das, was sich entwickelt und Zeit haben für alles, wozu sie in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht gekommen ist. „Ich will gucken, was ich mit meinem Leben anfange, wenn ich mehr Freiheiten habe“, sagt Sager. Das falle Frauen vielleicht leichter als Männern. Keine Angst, in ein Loch zu fallen? „Ich habe eher Angst, eine Lebenschance zu verpassen und diesen großen Umbruch nicht für mehr Freiräume zu nutzen“, sagt sie.

Die Tochter einer Dänin hat das Gefühl, dass sie selbst noch die guten Jahre in der Politik erlebt hat, eine spannende Zeit, in denen die Akteure über machtpolitische Ambitionen hinaus den idealistischen Anspruch hatten, die Welt ein Stück besser zu machen.

Hat sich die Politik in den vergangenen 30 Jahren so stark verändert?

Krista Sager: Ich finde schon. Sie hat sich den Mechanismen des Mediengeschäfts immer stärker angepasst. Wegen der banalsten Sachverhalte, Worte oder Gesten werden Politiker heute binnen Sekunden durch die Mangel gedreht – Steinbrücks Stinkefinger ist dafür nur ein Beispiel. Als Folge gibt es dann am Ende entweder nur noch Politiker, die völlig schmerzfrei sind, oder die Stromlinienförmigen, die immerzu aufpassen, auf keinen Fall anzuecken und jede Geste, jedes Wort planen und kontrollieren. Durch die enorme Beschleunigung jagen gejagte Journalisten den gejagten Politikern hinterher, das ist ein Rattenrennen.

Worin sehen Sie die Ursache dafür?

In der zunehmenden Konkurrenz unter den Journalisten einerseits und die neuen Medien andererseits – vom Online-Journalismus über Twitter bis Facebook. Die Politik unterwirft sich zunehmend diesem schnellen Takt oder wird ihm unterworfen. Politiker müssen in kürzester Zeit Stellung nehmen zu Dingen, die sie noch gar nicht überblicken oder jedenfalls nicht ausreichend durchdacht haben. Dieses Rattenrennen tut weder der Politik noch den Medien gut. Ich habe das Gefühl, ich bin noch halbwegs unbeschadet da herausgekommen.

Härter und schneller sei die Politik in den vergangenen drei Jahrzehnten geworden, findet auch Hans-Ulrich Klose – durch die Wiedervereinigung, durch den Umzug nach Berlin und die Veränderung der Medienlandschaft, die eine zweite, virtuelle Wirklichkeit im Netz geschaffen hat. „Die Folgen lassen sich noch nicht abschätzen, doch sie dürften unser demokratisches System verändern“, sagt der Sozialdemokrat. In Bonn sei der gemeinsame Nenner Nähe gewesen, man habe sich ständig getroffen und diese Gemeinsamkeit habe die Gemeinheiten reduziert. „In Berlin ist alles größer und aggressiver, dazu tragen auch die Medien bei, die Geschichten brauchen.“

Herr Klose, Sie waren Hamburger Innensenator und Bürgermeister und dann jahrzehntelang in der Bundespolitik. Was hat Ihnen besser gefallen?

Hans-Ulrich Klose: Die Landespolitik war interessant, weil viele Entscheidungen konkret sind. Man kann das, was man gestaltet, hinterher gewissermaßen anfassen. Das ist in der Außenpolitik anders, da ist man zu 70 Prozent damit beschäftigt, Informationen zu sammeln und zu bewerten, Argumente zu wägen. Das liegt mir, darin bin ich gut. Insofern war die Bundespolitik fordernder, und ich habe mehr gelernt.

Was denn?

Menschen einzuschätzen, Argumente und Situationen zu bewerten. Hinzu kommt: Als ich Hamburger Bürgermeister wurde, war ich sehr jung. Im Nachhinein würde ich sagen: zu jung. Ich meine, ab einem Alter von 50 Jahren hat man die Chance, als Politiker erwachsen zu sein.

Ein Leben ohne Politik kann sich Klose auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag nicht vorstellen. „Ich werde immer ein politischer Mensch sein“, sagt er. „Und ich habe die feste Absicht, mir eine Beschäftigung zu suchen.“ Nach gut 53 Arbeitsjahren sei es für ihn unvorstellbar, nicht zu arbeiten – ebenso wenig wie den ganzen Tag „zu Hause rumzupusseln“. Deshalb mietet er mit seiner Frau Anne, einer Ärztin, eine zweite Wohnung in Berlin an, die ihm als Büro und ihr als Labor für ihre HIV- und Hepatitis-Präparate dienen soll. Die Immobilie ist bereits gefunden, die Aufgabe wird noch gesucht. Dazu gehören wird auf jeden Fall, ein Archiv aus 30 Jahren politischer Arbeit zusammenzustellen. Dafür hat er eigens eine Bibliothekarin angestellt, die die zurzeit etwa 200 Leitz-Ordner sortiert und auf 50 reduziert. Eine gewisse Kontinuität wünscht sich Klose auch auf seinem Gebiet, der Außen- und Sicherheitspolitik. So sähe er den Eimsbüttler Sozialdemokraten Niels Annen gern als seinen Nachfolger. Annen, der sich viel mit Außenpolitik befasste und zuletzt in den USA war, hat nach seinem erzwungenen Ausscheiden vor vier Jahren nun wieder gute Chancen, in den Bundestag zurückzukehren.

Den eigenen größten politischen Erfolg sieht Klose in der Phase des Irak-Kriegs, als das deutsch-amerikanische Verhältnis stark abkühlte in einem Streit, der „auf beiden Seiten des Atlantiks mit sehr unschönen Worten“ ausgetragen wurde. „Ich habe ein bisschen dazu beigetragen, das ein Stück weit zu kitten“, sagt Klose.

Just mit diesem Konflikt hat auch der größte politische Erfolg in der aktiven Zeit von Krista Sager zu tun: „Dass sich Deutschland nicht am Irak-Krieg beteiligt hat und wir uns aber auch nicht im Sicherheitsrat isolierten, war vor allem Joschka Fischers Werk, aber ich war als Fraktionsvorsitzende mit gefordert“, sagt die Grünen-Politikerin, deren Karriere stark vom früheren Außenminister gefördert wurde. Überhaupt: Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag zu sein, war in der Rückschau ihre schönste Rolle, so wie ihr die Politik – Pardon, Hamburg! – auf Bundesebene besser gefallen hat als auf Landesebene, weil die „Auseinandersetzung anspruchsvoller“ gewesen sei. Stolz ist sie aber persönlich auch auf die „Hamburger Ehe“ von Schwulen und Lesben, die bundesweit Maßstäbe gesetzt hat, erzählt sie bei einem Kaffee im „Transmontana“ in der Davidstraße, ihrem Stammcafé. Sie wohnt hier in der Nähe.

Nachdem Sager zugunsten ihrer Freundin Anja Hajduk auf eine erneute Kandidatur verzichtet hat, will der eingefleischte St.-Pauli-Fan im November erst einmal mit Ehemann Manfred Ertel, dem HSV-Aufsichtsratschef, eine ausgedehnte Antarktisreise unternehmen. Seit sie vor einigen Jahren in der Arktis war, ist sie für die Polarregionen entflammt. Im Wahlkampf hat sich Sager hingegen kaum engagiert. Sie findet: „In dem Moment, in dem man sagt, man hört auf, muss man auch aufhören.“