Die Weltproduktion wird von 320 auf 470 Millionen Tonnen wachsen. Schon heute dienen rund 70 Prozent der Agrarflächen dem Anbau von Futtermitteln. Die Umwelt wird außerdem massiv belastet.

Berlin. Die Scheibe Schinken auf dem Brot, das kleine Schnitzel zum Mittag und im Vorbeigehen eine Currywurst an der Imbissbude: Für sich genommen sind das jeweils nur wenige Gramm. Im Laufe der Tage und Monate summieren sie sich zu gewaltigen Mengen. Jeder Deutsche verzehrt im Jahr durchschnittlich 60 Kilogramm Fleisch. Noch höher liegt der Konsum in den USA und China. Die Fleischproduktion ist weltweit ein „Big Business“ mit enormen Wachstumraten, heißt es im „Fleischatlas 2014“, den die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) am Donnerstag in Berlin vorgestellt haben.

Derzeit werden weltweit rund 320 Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr produziert; Mitte des Jahrhundert werden es mindestens 470 Millionen Tonnen sein. Allein um das Viehfutter zu erzeugen, werden immer größere Flächen benötigt. Schon heute dienen rund 70 Prozent der Agrarflächen dem Anbau von Futtermitteln. In Europa wird fast die Hälfte der Weizenernte verfüttert. Weltweit gelangen mehr als 40 Prozent der Getreideernte in die Tröge von Masttieren.

Der wachsende Hunger auf Fleisch erhöhe weltweit den Druck, das Fleisch immer billiger zu produzieren, kritisierte die BUND-Expertin Reinhild Benning. Die Konsequenz sei eine zunehmende Industrialisierung der Tierhaltung. Kleinbäuerliche Betriebe hätten kaum noch eine Chance, sich an den Märkten zu behaupten. Vor allem Schweine und Geflügel würden in immer größeren Beständen gehalten. In Brandenburg etwa sei erst kürzlich eine Mastanlage für 37.000 Schweine genehmigt worden.

Je größer die Mastbetriebe sind, desto größere Futtermengen müssen angeliefert und desto mehr Exkremente müssen entsorgt werden, meist in Form von Gülle. Folge: Beim Düngen wird mehr Stickstoff ausgebracht, als die jeweiligen Kulturen benötigen. Das kann Grundwasservorkommen mit Nitraten belasten und über Gräben, Bäche und Flüsse die Meere überdüngen. Da Tiere in Mastbetrieben häufig mit Antibiotika behandelt und zum Teil auch Hormone verabreicht werden, können Rückstände dieser Arzneimittel in die Umwelt gelangen und die Gesundheit der Verbraucher gefährden.

Die Anwendung von Hormonen als Wachstumsförderer ist in der EU seit 1988 verboten, das gilt auch für importiertes Fleisch. Aber der Einsatz von Sexualhormonen ist weiterhin erlaubt. Etwa in der Ferkelproduktion: Sauen werden Hormone gespritzt, damit alle den gleichen Zyklus haben und schneller wieder tragen: „Natürlicherweise (...) werden Sauen erst wieder tragend, wenn die Säugezeit nach etwa sechs Wochen zu Ende geht“, steht im Fleischatlas. Industrielle Ställe mit Zehntausenden Tieren folgten einer anderer Logik: „Nach kaum drei Wochen Säugezeit soll die Sau mithilfe von weiteren Hormongaben sofort wieder tragend werden; eine ,leere‘ Sau kostet nur.“

Ein Teil der Wirkstoffe gelangt über das Tier und sein Fleisch auf die Teller. Mögliche gesundheitliche Risiken für die Verbraucher sind umstritten; diskutiert werden Fruchtbarkeitsprobleme bei Männern, eine früher einsetzende Pubertät und Förderung des Wachstums bestimmter Krebsarten. Neben der EU haben auch Russland und China Fleisch, dessen Wachstum mit Hormonen gefördert wurde, verboten. In den USA ist es dagegen in aller Munde. Nun befürchten Umwelt- und Verbraucherschützer in der EU, dass im Rahmen des derzeit entstehenden Freihandelsabkommens mit den USA auch der Bann von Hormonfleisch fallen könnte.

Die Steigerung der Tierproduktion verlangt dramatisch ausgeweitete Schlachtkapazitäten. In Deutschland entfallen mehr als 50 Prozent des Schlachtwerts von Schweinen auf drei Konzerne. Insgesamt werden hierzulande im Jahr rund 750 Millionen Tiere geschlachtet, darunter knapp 60 Millionen Schweine. Gerade beim Schweinefleisch ist Deutschland innerhalb weniger Jahre vom Importeur zum Exporteur geworden. Dies beanstandet auch der Kritische Agrarbericht 2014, der am 16. Januar auf der Landwirtschaftsmesse Grüne Woche in Berlin vorgestellt werden wird. Über alle Fleischarten gerechnet liege der Selbstversorgungsgrad in Deutschland inzwischen bei 120 Prozent, berichtete die Zeitung „Frankfurter Rundschau“ vorab.

Vergleichsweise niedrige Löhne in deutschen Schlachthöfen führten dazu, dass Fleischkonzerne aus Nachbarländern zur Schlachtung nach Deutschland bringen, bemängelt der Fleischatlas. So hätte der Großkonzern Danish Crown Tausende Arbeitsplätze von Dänemark nach Deutschland verlagert. Die belgische Regierung und eine Initiative französischer Schlachtbetriebe sähen in den deutschen Dumpinglöhnen eine Wettbewerbsverzerrung.

Angesichts der Folgen des wachsenden Fleischkonsums forderte Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung weltweit eine „Trendumkehr in der Agrarpolitik“. Bäuerliche Betriebe müssten gestärkt und die Tierhaltung in kleineren Einheiten gefördert werden. Es gehe darum, Fleisch in Maßen zu konsumieren. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfehle 300 bis 600 Gramm Fleisch und pro Woche. Das wären 15 bis 30 Kilogramm im Jahr und damit etwa halb so viel wie heute.

Ein Ansatz, kleinbäuerliche Strukturen zu fördern, betrachtet der Fleischatlas genauer, die solidarische Landwirtschaft: Ein Bauernhof oder eine Gärtnerei schließt sich mit einer Gruppe privater Haushalte zusammen. Letztere zahlen regelmäßig im Voraus einen individuell festgesetzten Betrag an den Hof, der mit dem Geld Lebensmittel erzeugt. Die Kundschaft erhält im Gegenzug die gesamte Ernte sowie auf dem Hof weiterverarbeitete Erzeugnisse wie Brot, Käse, Wurst. Neben Anbau- und Verarbeitungskosten sollten die Einnahmen den Landwirten und ihren Angestellten das Einkommen sichern, zur Altersvorsorge beitragen und zukünftige Investitionen ermöglichen.

Der noch im Versuchsstadium befindliche „Labor-Burger“, der nicht mehr als Fleisch, sondern in Form von Zellkulturen heranwuchs, sei keine Lösung, urteilen die Autoren des Fleischatlas, er „entfremde den Menschen weiter von seinen Nahrungsquellen und den natürlichen Abläufen“. Ein anderer Ansatz scheitert, trotz guter Argumente, womöglich gerade an seiner Naturnähe: „In New York hat die Firma Exo einen Proteinriegel entwickelt, der Grillenmehl enthält. Grillen emittieren 80 Prozent weniger Methan als Vieh und enthalten prozentual doppelt so viel Protein wie Hühnerfleisch oder Steaks“, so der Bericht.