Thomas Jenke arbeitet seit zwei Jahren in Jütland. Er schätzt die Offenheit der Dänen.

"Autorität erhält man hier nicht aufgrund seiner Stellung im Unternehmen", sagt Dr. Thomas Jenke. "Man muss sich den Respekt erarbeiten." Seit zwei Jahren leitet der 48-Jährige die Shell-Raffinerie im dänischen Fredericia in Jütland. Trotz der Organisationsstruktur fühle man kaum eine Hierarchie, sagt der gebürtige Rheinländer, der gleich nach seinem Chemie-Studium und der Promotion in Aachen bei Shell in Hamburg-Harburg einstieg. "Das hat mit dem skandinavischen Gleichheitsprinzip zu tun. Auch als Chef ist man nur einer von vielen." Dementsprechend werden Anweisungen von Vorgesetzten kritisch hinterfragt. "Und auch diskutiert, wenn es im Team andere Auffassungen gibt." Jenke gefällt das: "Ich schätze die Offenheit der Leute hier", sagt er. "Man bekommt ein direktes Feedback auf das, was man sagt oder tut."

Jenke ist schon viel herumgekommen. Er war für Shell in London, Den Haag, Mailand und wieder London tätig, meist im technischen Bereich, aber auch in kaufmännischen und logistischen Aufgaben. Als Raffinerieleiter ist er jetzt für den wirtschaftlichen Betrieb der Anlage, die Arbeitssicherheit und den Umweltschutz verantwortlich. Seine Frau, Tochter und Sohn (heute 19 und 16 Jahre alt) waren bei den Auslandseinsätzen immer mit von der Partie. Die Kinder besuchten internationale Schulen. "Früher hat ihnen das Herumziehen nicht so gefallen, heute wissen sie um die Vorteile", sagt Jenke. Seine Tochter studiert jetzt in London. Doch Ehefrau und Sohn konnten sich nicht für die Kleinstadt Fredericia (50 000 Einwohner) entscheiden, vor allem weil es dort keine internationale Schule gibt. Sie wählten darum Flensburg zu ihrem neuen Standort - und Vater Jenke pendelt jetzt an den Wochenenden hin und her.

Langweilig wird ihm in Jütland dennoch nicht. "Zum einen, weil man an jeder beruflichen Auslandsstation besondere Herausforderungen erlebt", sagt Jenke. Zum anderen, weil er sich stark gesellschaftlich engagiert. "Ich gehe zu Fußballspielen, zum Handball, bin bei den Rotariern und im Segelverein." So trifft er seine Mitarbeiter auch mal privat und findet es gut, dass sie sehen, dass der Chef ein ganz normaler Mensch mit ganz normalen Hobbys ist. "Unser Werk steht hier seit 45 Jahren - da kann man seine Arbeit nicht nur als Job sehen. Wenn man eine leitende Funktion einnimmt, gehört dieses Engagement einfach dazu."

Hinzu kommt: In Fredericia gibt es keine Expat-Community wie in Großstädten. Darum tut man gut daran, sich unter die Einwohner zu mischen. "Wirkliche Freundschaften schließen sich allerdings nur langsam", sagt Thomas Jenke. "Klar, es wissen ja alle, dass ich nur für ein paar Jahre hier bin." Aber er hält auch die Menschen aus dem Norden generell für etwas zögerlicher im Kontakteknüpfen. Schmunzelnd erinnert sich Jenke an seine erste Zeit in Hamburg: "Da kamen wir Kölner Frohnaturen an die Alster - und es dauerte ein Jahr, bis die Nachbarn überhaupt Notiz von uns nahmen."

Dass Thomas Jenke sich inzwischen gut auf Dänisch verständigen kann, kommt bei den Einheimischen an. Die Akzeptanz sei dadurch einfach größer, ist er überzeugt. "Außerdem würde ich es mehr als unhöflich empfinden, in einem anderen Land zu arbeiten und dann mit meinen Mitarbeitern nicht in ihrer Sprache sprechen zu können." Anderthalb Jahre hat Jenke Unterricht genommen.

Große Unterschiede im Geschäftsleben sieht Thomas Jenke zwischen Deutschland und Dänemark nicht. "Allerdings gehen wir hier relativ informell miteinander um - auch mit Geschäftspartnern." Das äußere sich zum Beispiel darin, dass man gut ohne Krawatte selbst zu wichtigen Terminen erscheinen könne. Geduzt wird jeder. "'Sie' sagt man nur zu älteren Leuten - und zur Königin." Wenn Thomas Jenke dann seine Mails mit vollständigem Namen unterschreibt, wird er retour nicht selten mit "Du" und "Jenke" angesprochen. Dänen haben meist mehrere Vornamen und halten seinen Nachnamen oft für den zweiten Rufnamen. Ärgern tut es ihn nicht, er amüsiert sich darüber. Den legeren Umgang miteinander hatte Thomas Jenke in Dänemark schon erwartet - ein "Vorurteil", mit dem er ins Land kam und das er bestätigt fand. "Umgekehrt erlebt man aber auch die Vorstellungen, die Dänen von den Deutschen haben." Dazu gehöre natürlich das Stereotyp, überpünktlich und überkorrekt zu sein. "Da ist ja eigentlich auch was dran", sagt Jenke. "Aber ich selbst bin wohl eher ein untypischer Vertreter ...", meint er und lacht.

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