Trotz aller Auslandserfahrung: Auch Personalentwicklerin Sigrid Erdmann trat ins Fettnäpfchen.

Big Ben, Piccadilly Circus, der Tower und Westend - unter London kann sich jeder etwas vorstellen. Land, Leute und die Sprache scheinen vertraut. Dennoch lauern Fettnäpfchen. Als Sigrid Erdmann, von British American Tobacco (BAT) ans Themseufer entsandt, sich frisch eingezogen ihren neuen Nachbarn vorstellen wollte, blickte sie in höchst irritierte Gesichter. "Die Engländer schätzen ihre Privatsphäre sehr, eine solche Vorstellung ist unüblich", weiß sie heute. Interkulturelle Kurse seien darum in jedem Fall zu empfehlen, findet Sigrid Erdmann - auch wenn man glaubt, in ein gar nicht so fremdes Ausland zu fahren.

Die 46-Jährige ist schon seit neun Jahren im Ausland tätig, zunächst in London, dann folgten Ungarn und Malaysia, bis sie 2007 erneut nach London entsandt wurde, wo sie heute für die globale Führungskräfteauswahl und -entwicklung zuständig ist.

Die beste Art der Vorbereitung ist ihrer Meinung nach, andere Expatriates nach deren Erfahrungen zu befragen. "BAT bietet dazu mehrtägige Schnupperaufenthalte, um Gespräche zu führen, sich ein eigenes Bild zu machen und - ganz wichtig für Auslandsentsandte mit Kindern - um sich vielleicht schon mal die eine oder andere Schule anzusehen."

Doch trotz Vorbereitung: "Sie müssen immer damit rechnen, dass alles etwas anders kommt", sagt Erdmann. Am besten lebe sich ein, wer statt in Expatriates-Netzwerken zu verkehren, sich schnellstens lokale Freunde sucht. In London sei das eigentlich ganz einfach. Der Gang in den Pub ist üblich, "schon weil Züge und Busse zur Rushhour heillos überfüllt sind. Wer also nicht wie der Hering in der Dose gezwängt nach Hause fahren möchte, geht lieber noch auf einen Sprung ins Pub." Dort gilt: Wer zum Tresen geht, holt und bezahlt die Getränke für die ganze Runde.

London ist teuer. Das bestätigt auch Sigrid Erdmann. "London platzt aus allen Nähten, es gibt kaum Parkplätze und die wenigen sind extrem teuer. Das gleiche gilt fürs Wohnen. Je citynäher, desto kleiner." Auch seien viele Wohnungen älter und nicht so solide gebaut, wie man es aus Deutschland gewohnt sei - trotzdem würden hohe Mieten verlangt. Wohngemeinschaften sind verbreitet, "auch unter gut ausgebildeten Berufsanfängern". Diejenigen mit höherem Gehalt ziehen raus aus der Stadt und nehmen für ihr Häuschen im Grünen einen Anfahrtsweg von ein bis zwei Stunden in Kauf.

"Anderseits gibt es London in jeder Preisklasse, was die Freizeitgestaltung angeht", betont Erdmann. "Es gibt den Edel-Japaner mit horrenden Preisen, aber daneben viele ausgezeichnete preiswerte asiatische Restaurants. Der Eintritt in die Museen ist vielfach kostenlos, die Royal Albert Hall bietet Stehplätze an und in den Wohnbezirken kostet der Kinoeintritt oft weniger als in der City", sagt Erdmann. "Wer genauer hinschaut, findet Passendes für jeden Geldbeutel." Also alles eine Frage der Organisation. Doch gerade dieser Hang zu perfekter Planung sorgt dafür, dass den Deutschen weltweit eine Hassliebe entgegengebracht wird: Die Leistungsstärke wird geschätzt, doch gleichzeitig skeptisch beäugt. "Wir erscheinen den Briten deutlich organisierter, strukturierter und arbeiten systematischer", sagt Erdmann. Nach ihrer Erfahrung ist der beste Umgang mit solchen Vorurteilen ein augenzwinkerndes Bestätigen der teutonischen Stärken und Schwächen. "Ich habe an meiner Tür ein Schild hängen 'Of course I am a controlfreak - I am German'." Schwierig werde es jedoch, sobald Stärke in Arroganz umschlage. "Zu klagen, 'was sind die Kollegen wieder unorganisiert', ist keine gute Idee."

Deutsche im Ausland sollten nicht vergessen: "Wir pflegen einen sehr direkten Kommunikationsstil und sagen gern klar und deutlich Nein." Die Briten dagegen drücken sich eher ausweichend aus, um ihr Gegenüber nicht vor den Kopf zu stoßen. So würden Präsentationen zum Beispiel oft mit "brilliant" gelobt. Aber Sigrid Erdmann weiß, dass das ohne Zusatz eine Standardfloskel ist: "Es kann alles bedeuten." Sehr angenehm empfindet sie dagegen den lockeren Umgangston, den die Engländer trotz ihrer höflichen Distanziertheit pflegen. So sind Vornamen hierarchieübergreifend üblich und sowohl Straßenhändler wie auch Schaffner wünschen gern: "Have a good day, honey". "Die Engländer hängen gern so etwas wie Darling oder Sweetheart an einen Satz. Ich habe allerdings immer noch meine Schwierigkeiten, Wildfremde 'Liebchen' zu nennen", sagt Sigrid Erdmann lachend.

Lesen Sie am nächsten Wochenende Teil 6 - Jörg Kehlen von Unilever in Rotterdam.