Ein klares Nein ist unhöflich. Harmonie geht über alles, hat Thorsten Gremm in Thailand erfahren.

Wer sich in den Straßenverkehr von Bangkok stürzen will, braucht Gottvertrauen. Die Thailänder selbst haben fast ein wenig zu viel davon. "Kommt ein Verkehrsteilnehmer an einem Schrein vorbei, verbeugt er sich: Die Hände werden zusammengelegt, mit den Fingerspitzen knapp unter dem Kinn. Dazu wird natürlich das Lenkrad losgelassen - allerdings ohne anzuhalten", erzählt Thorsten Gremm. Der Berater der Passport Business Engineering GmbH war von März bis August in der "Stadt der Engel"; Ende Oktober folgt ein weiteres halbes Jahr.

In den voll gestopften Straßen der Millionen-Metropole werde zudem die thailändische Mentalität des "Jai yen" deutlich. Der Begriff steht für "Kaltes Herz": Egal, wie ärgerlich eine Situation sein mag, ein Thailänder zeigt kein Anzeichen von Erregung.

"Da bilden sich zum Beispiel regelmäßig lange Schlangen zum Abbiegen. Aber statt zu warten, fahren einige Autofahrer so weit wie möglich vor und blockieren dann einfach so lange die zweite Spur, bis sie jemand reinlässt. Das führt zwar leicht zu gefährlichen Situationen, aber niemand hupt."

Hupen käme nämlich einer öffentlichen Kritik gleich, und die wiederum führt zu Gesichtsverlust. "Im Geschäftsleben ist es das Schlimmste, was einem widerfahren kann", erklärt der 32-Jährige. "Es ist absolut inakzeptabel, jemanden vor den Augen und Ohren anderer heftig zu kritisieren." Dabei verliere sowohl der Kritisierte als auch der Kritiker sein Gesicht. "Und das ist das definitive Ende jeder Arbeitsbeziehung." Diese Sensibilität umfasst auch grundsätzlich eine eher gedämpfte Tonlage. "Ich habe ein recht lautes Organ, und bei Meetings bin ich schon darum gebeten worden, leiser zu sprechen."

Solche Bitten entsprechen einem ausgeprägten Bedürfnis nach Harmonie. Als Faustregel gilt: In jeder Situation lächeln. Denn Lächeln und sanfte Worte unterstreichen die Harmonie, während ausladende Gesten, Stirnrunzeln oder ärgerliche Blicke sie stören. Leider kann das anhaltende Lächeln und bereitwillige Zustimmung - ein klares Nein gilt als unhöflich - schnell zu Missverständnissen führen.

Gremm, den sein Beruf bereits in mehrere asiatische Länder geführt hat, kennt das Problem: "Ich habe einer kleinen chinesischen Gruppe etwas erklärt und mehrfach nachgefragt, ob so weit alles verstanden sei. Immer bekam ich ein eifriges "Ja!" zur Antwort. Etwas später kam ein Kollege dazu, lauschte einen Moment und fragt mich dann, ob mir bewusst sei, dass diese Kollegen gar kein Englisch sprechen ..."

Inzwischen hat Gremm ein Gespür für die Zwischentöne entwickelt und weiß, dass er sich um den Fortgang eines Projekts persönlich kümmern muss. "Es ist wichtig, sich regelmäßig zu überzeugen, ob alles noch nach Plan läuft. Denn Thailänder kommen nicht von selbst und bitten um Hilfe." Im Extremfall werde trotz zunehmender Schwierigkeiten einfach weitergearbeitet. Das aber mit ganzer Kraft. "Die Arbeit wird wesentlich kooperativer betrieben. In Deutschland geht es vielfach darum, sich bei der Arbeit zu profilieren, in Thailand steht vielmehr das Projekt im Vordergrund."

Dabei, erzählt Gremm, ist der persönliche Kontakt entscheidend, auch über die Bürostunden hinaus. "Man geht gemeinsam essen, zum Bowling oder zur Karaoke. Stimmt die Beziehung, funktioniert auch die Arbeit", lacht er. Das brauche allerdings manchmal etwas Zeit. Da dem "Farang", dem westlichen Ausländer, zunächst eher reserviert begegnet werde, sei es bei Projekten oft sinnvoll, "Thailänder einzubinden und sie anstatt sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. So kann sich der einheimische Kunde oder Geschäftspartner besser identifizieren."

Wer nun im Zuge des Beziehungsaufbaus zum Essen lädt und dabei gemäß europäischer Höflichkeit die Rechnung übernimmt, könnte damit des Guten zu viel tun, warnt Gremm. "In Thailand ist es üblich, die Rechnung zu teilen. Wer die gesamte Rechnung übernimmt, löst bei den unfreiwilligen Gästen ein Gefühl der Verpflichtung aus, die Einladung zu erwidern."

Ein weiterer Punkt, der Gremm beim Thema Essen einfällt: "Es kann schnell ausgesprochen scharf werden." Und bei aller geforderten Höflichkeit, "es ist vollkommen in Ordnung, zu scharfes Essen abzulehnen" - aber bitte mit einem Lächeln.

Lesen Sie am nächsten Wochenende: Teil 9 - Achim Fock von der Weltbank in Addis Abeba