Sietas kann aus eigener Kraft nicht überleben. Schuldenschnitt und frisches Kapital sollen den ältesten Schiffbauer Deutschlands retten.

Hamburg. Es ist ein grauer Freitag auf der Sietas-Werft in Neuenfelde. Die Sonne kommt nicht durch die Wolken, die Spitzen der Kräne verschwinden fast im Dunst. Die mächtigen Stahlarme stehen an diesem Vormittag still, auf dem weitläufigen Gelände ist kaum ein Mensch zu sehen. Gegen 11.30 Uhr hat auf der Werft eine Betriebsversammlung begonnen. Dort erfahren die rund 700 Beschäftigten, dass die Geschäftsführung einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Hamburg gestellt hat - wegen Überschuldung. Hamburgs traditionsreichste Werft, 1635 gegründet, hängt ökonomisch am seidenen Faden. Auch die 250 Kollegen von der Neuenfelder Maschinenfabrik bangen.

Etwas 40 Minuten nach Beginn der Versammlung kommen die ersten Werker auf dem Fahrrad, danach ganze Gruppen zu Fuß die Straße zum Eingangstor des Unternehmens herunter. Die Köpfe gesenkt geht es nach draußen, bloß schnell nach Hause. Die meisten von ihnen haben keine Lust zu beschreiben, wie es ihnen geht. "Ich hab die Schnauze voll, es macht keinen Spaß mehr", sagt einer, der sich danach wegdreht. "Die Angst um die Jobs geht um", beschreibt Peter Krohn die Lage. Der Konstrukteur arbeitet seit 29 Jahren auf der Werft. Jetzt ist er 63 und steht kurz vor dem Ruhestand. "Ich bin ja nicht so betroffen", sagt er. "Doch für die jüngeren Kollegen tut es mir leid."

Selbst wenn eine Sanierung bei Sietas gelingen sollte, wird es nicht ohne einen Jobabbau gehen. "Das wird unvermeidbar sein", sagte Werftchef Rüdiger Fuchs gestern bei einer eilig anberaumten Pressekonferenz in der Kantine der Werft. Wie viele Jobs letztlich wegfallen, ist noch nicht klar. "Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Zahl möglichst gering bleibt", sagte Peter Bökler, der Vorsitzende des Betriebsrats. Dieses Ziel ist auch für Werftchef Fuchs und den vorläufigen Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann vorrangig. Der Hamburger Rechtsanwalt stellte sich am Freitag auf der Werft vor.

+++ Der Insolvenzantrag bietet auch eine Chance +++

Die Rettung der Jobs ist jedoch mit zwei anderen Zielen eng verbunden. Alle fünf Neubauten der Werft sollen in jedem Fall zu Ende gebracht werden. Es sind drei Fähren für Dänemark, ein Schwimmbagger und ein Errichterschiff für Offshore-Anlagen auf See. Die Aufträge bringen der Werft Arbeit bis Ende 2012. Der Verbund der Werft mit der Neuenfelder Maschinenfabrik und der Norderwerft soll zumindest erhalten bleiben. Die beiden anderen Firmen der Sietas-Gruppe sind von dem aktuellen Insolvenzantrag nicht betroffen.

Immerhin kann Fuchs bei der Sanierung auf die Unterstützung der Belegschaft zählen. "Wir werden es anpacken und schaffen und hier auch künftig noch mächtige Schiffe bauen", sagt Helge Schade, der seit 25 Jahren bei Sietas arbeitet und dort auch gelernt hat. Seit 35 Jahren arbeitet Werner Schröder für Sietas. Sein Bruder ist ebenfalls auf der Werft, sein Vater war es. Der 56-Jährige glaubt an das Konzept von Fuchs, der vom Containerschiffbau auf Spezialschiffe umgesteuert hat. "Wir machen noch jahrelang weiter."

Zuversicht versuchte Werftchef Fuchs am Morgen bereits in der Wirtschaftbehörde zu verbreiten. Gemeinsam mit Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) präsentierte der Manager dort die Gründe für den Insolvenzantrag. Direkt nach seiner Bestellung durch das Amtsgericht kam auch der vorläufige Insolvenzverwalter Brinkmann hinzu. Während Horch und Fuchs müde wirkten, auch wegen der wochenlangen Verhandlungen im Vorfeld des Insolvenzantrags, gab sich Brinkmann gelassen. Der erfahrene Hamburger Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter hat bereits Werften aus wirtschaftlich aussichtslosen Situationen herausgeholfen.

Die Husumer Schiffswerft stand Ende der 1980er-Jahre vor dem Aus. Mit der Neuorientierung auf den Bau von Windkraftanlagen entstand dort in der Insolvenz die Keimzelle für Repower Systems. Das Unternehmen mit Sitz in Hamburg gehört mittlerweile zur indischen Suzlon-Gruppe und ist einer der international führenden Anbieter von Windkraftwerken. Auch bei den ehemaligen Wadan-Werften in Wismar und Rostock konnte Brinkmann durch seine Mitarbeit im Team der Insolvenzverwaltung Hunderte Arbeitsplätze retten. Heute arbeiten die Schiffbauer für Nordic Yards.

So ist am Mittag auf der Sietas-Werft selbst von der IG Metall keine Kritik am Werft-Management und der vorläufigen Insolvenzverwaltung zu hören. "Wir haben keine Krise mit der Geschäftsführung. Was wir hier erleben, ist die Folge einer Finanz- und Wirtschaftskrise, einer Bankenkrise und einer Strukturkrise der Schiffbaubranche", sagte Hamburgs IG-Metall-Chef Eckard Scholz. Für den neuen Kurs von Fuchs hatte die Belegschaft schon seit 2009 auf Teile des Weihnachts- und Urlaubsgeldes verzichtet: "Es hat Zukunft, sich auf neue Schiffstypen vor allem für die von der Regierung angestrebte Energiewende einzustellen."

Nach dem Treffen mit den Journalisten in der Kantine geht es weiter zum Fototermin auf einem Schwimmdock. Dort ist der Blick frei auf eine fast fertige und eine noch verhüllte Fähre sowie den ersten Block des Schwimmbaggers. Von oben lässt sich Brinkmann von Werftchef Fuchs die Neubauten erklären. Auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter geht es vor allem darum, den Weiterbau zu sichern. Die Belegschaft sei dazu fest entschlossen, sagt er. Wichtig ist aber auch, dass die Zulieferer mitziehen, von deren Material die Werft während des Baus abhängig ist. Sicher sind nach dem Insolvenzantrag dagegen bis Ende Januar die Löhne und Gehälter auf der Werft. Und Fuchs verspricht: "Ich bleibe an Bord."

So soll die Arbeit am Montag weitergehen, als wäre nichts geschehen. Nur die Weihnachtsfeier, die bereits fest geplant war, ist abgesagt.