Den Unternehmen fehlen neue Aufträge. Bei der Sietas-Werft in Hamburg-Neuenfelde will man auch vom Windkraftboom profitieren.

Hamburg. Rüdiger Fuchs ist müde und macht keinen Versuch, das zu verbergen. Es ist Montagabend. Der Chef der Sietas-Werft in Neuenfelde hat eine anstrengende Konferenz mit leitenden Mitarbeitern hinter sich. Die Botschaft an seine Belegschaft ist seit mehr als zwei Jahren dieselbe: "Wir müssen uns als Unternehmen komplett neu erfinden", sagt Fuchs nach der Sitzung in einem Konferenzraum.

Deutschlands älteste Werft Sietas, gegründet im Jahr 1635, geriet mit der zurückliegenden Weltwirtschaftskrise in Existenznot. Das Erfolgsprodukt der renommierten Schiffbauer aus dem Alten Land, kleinere Containerfrachter, war plötzlich nicht mehr gefragt. Eine Reihe von Aufträgen wurde storniert. Die Werft, die so viele Krisen und Kriege überlebt hatte, stand vor dem Aus.

Der frühere Airbus-Manager Fuchs, 45, übernahm Anfang 2009 die Führung des Traditionsunternehmens, als erster Chef, der nicht zur Eignerfamilie Sietas gehört. Seither versucht er, die Werft mit dem Aufbau zeitgemäßer Produktionsabläufe und mit der Umstellung auf den Bau von Spezialschiffen zu retten. Bei Sietas geht es um rund 1000 Arbeitsplätze, davon 640 im Schiffsneubau. Rationalisierung und die Einwerbung neuer Aufträge haben schon einige Erfolge gebracht. Doch die Zwischenbilanz des Managers ist nüchtern: "Der Befreiungsschlag ist uns noch längst nicht gelungen."

So wie Sietas geht es nach der Weltwirtschaftskrise in Deutschland einem Großteil der Branche. Eine Reihe von Werften sucht unter Hochdruck nach Anschlussaufträgen und neuen Märkten. Während wenige Musterunternehmen - vor allem die Papenburger Meyer Werft mit ihren Kreuzfahrtschiffen - ein volles Auftragsbuch vorweisen können, steht die Mehrheit mit dem Rücken zur Wand. "Unsere Branche erholt sich nicht so schnell wie die Gesamtwirtschaft", sagte gestern in Hamburg Werner Lundt, Hauptgeschäftsführer des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik, bei der Vorlage der Jahreszahlen für 2010 (siehe Kastentext).

Der Markt für Handelsschiffe wie Container- oder Massengutfrachter und Tanker brach mit der Wirtschaftskrise zusammen. Spätestens nach deren Ende zeigt sich, dass dies für den deutschen Schiffbau kein konjunktureller Einbruch war, sondern ein struktureller. Die deutschen Schiffbauer haben der Konkurrenz aus Asien bei den Standardprodukten nichts mehr entgegenzusetzen. Alle Hoffnung richtet sich nun auf den Bau von Spezialschiffen mit hohem Bedarf an Wissen und Ingenieurskunst. "Dies ist für uns der einzig gangbare Weg", sagt Lundt.

Auch technologische Reife allerdings ist keine Lebensversicherung. Die Kieler Lindenau-Werft, die im Spätsommer 2008 Insolvenz anmelden musste, hat seither nur einen kleinen Küstentanker neu gebaut. Jahrelang hatte sich die Werft zuvor mit dem Bau modernster Doppelhüllentanker profiliert. Es ist unwahrscheinlich, dass die noch verbliebenen 100 Mitarbeiter an diese Erfolgsgeschichte werden anknüpfen können. "Lindenau hat sich gut im Reparaturgeschäft etabliert", sagt der Hamburger Insolvenzverwalter Jan H. Wilhelm, der Lindenau betreut. Selbstverständlich werde weiterhin "kontinuierlich im Reparatur- wie auch im Neubaugeschäft akquiriert".

Die größte ostdeutsche Werft Nordic Yards mit Standorten in Wismar und Rostock Warnemünde hat derzeit noch eine Handvoll Aufträge mit einer Reichweite von eineinhalb Jahren bis zur letzten Ablieferung. Zwei Umspannplattformen für Offshore-Windparks sind in Arbeit, zudem ein eisbrechender Tanker für die russische Firma Norilsk Nickel. Ein Containerfrachter soll demnächst modernisiert werden.

Bis in die Weltwirtschaftskrise hinein arbeiteten bei Nordic Yards rund 2500 Schiffbauer, derzeit sind es an den beiden Standorten noch 860. Zwei Inhaberwechsel erlebten die Mitarbeiter 2008 und 2009. Der heutige russische Eigner Witali Jussufow setzt - ähnlich wie Sietas-Chef Fuchs - auf hochwertige Spezialanfertigungen: "Nordic Yards verhandelt aktuell mit mehreren potenziellen Auftraggebern aus den Bereichen Spezialschiffbau und Offshore in intensiven Gesprächen", heißt es.

Die deutschen Schiffbauer sehnen einen Boom der Offshore-Industrie so sehr herbei wie der Bauer den Regen nach langer Dürre. Dutzende Windparkprojekte in Nord- und Ostsee sind geplant. Für den Aufbau dieser Kraftwerke auf See brauchen die Investoren Spezialschiffe und Plattformen. Doch die Dauerkrise an den Finanzmärkten hat viele Pläne ins Wanken gebracht.

Drei Fähren, ein Schwimmbagger und ein Offshore-Montageschiff stehen in den Büchern bei Sietas. Die Konstrukteure und Entwickler der Werft brauchen neue Arbeit schon lange vor Ablieferung des letzten dieser Schiffe im Herbst 2012. "Wir hätten am Offshore-Markt exzellente Chancen auch gegen asiatische Anbieter", sagt Rüdiger Fuchs. "Es wäre deshalb schön, wenn dieser Markt endlich anspränge."