Zwischen staatlichen Verordnungen und scharfer Konkurrenz. Die EU hat die Heringsquote um 30 Prozent gesenkt. Zu Besuch an der Peenemündung.

Freest. Dirk Baumann muss noch die Buchhaltung machen. Für einen Fischer, sagt er bitter, sei das heutzutage im Grunde noch wichtiger als das Fischen. Einige Hundert Kilo Flundern hat er an diesem grauen, regnerischen Nachmittag im Hafen von Freest abgeladen. In der "Anlandehalle", einer Holzbaracke, gibt es das Protokoll, dann wird der Kutter am Kai zwei Liegeplätze nach vorn gezogen, während andere nachrücken. Baumann verkauft noch ein paar der Plattfische über die Bordwand und bringt das Logbuch der "Seewolf" auf den letzten Stand. Besonders erfolgreich war dieser Novembertag für den 44-jährigen Fischer nicht. Aber es sind ohnehin keine besonders guten Zeiten für seinen Berufsstand.

Der Ort Freest nahe der Halbinsel Usedom ist der größte Hafen für die Küstenfischerei in Mecklenburg-Vorpommern. Bislang noch. Denn fast jährlich sinkt die Zahl der Kutterkapitäne, die von hier aus in die Ostsee fahren - auf Hering vor allem, aber auch auf Dorsch, Flunder und andere Fischarten. Seit Anfang November steht fest, dass es im kommenden Jahr wirtschaftlich noch einmal wesentlich enger werden wird. Die Fischereiminister der EU-Mitgliedstaaten haben die Fangquoten für den Hering in der westlichen Ostsee um 30 Prozent gesenkt - nachdem schon in diesem Jahr ein Rückgang um 40 Prozent gegenüber 2009 verordnet worden war. "Ich habe die mit ihren Quoten in Brüssel nie verstanden", sagt Baumann beim Gang durch den Nieselregen in das Büro der Fischereigenossenschaft Peenemündung. "Hier ist so viel Hering, der springt uns während der Saison von selbst an Deck."

Die Verwaltung der Fischbestände in der Nordsee und in der Ostsee ist eine hoch komplexe Sache. Wissenschaftliche Gremien und Experten von Umweltschutzorganisationen beraten die EU-Kommission, welche Fangmengen für ein jedes Jahr freigegeben werden sollten, um die jeweiligen Bestände nicht zu überfischen. Der Kabeljau, beliebter Basisfisch für Tiefkühlprodukte, gilt seit Jahren in seinen verschiedenen Fangebieten als mehr oder weniger stark gefährdet. Aber auch die Heringsbestände in der Ostsee sind in den vergangenen Jahren teils bedrohlich geschrumpft - entgegen der Wahrnehmung vieler Fischer. Ende der 1990er-Jahre durften deutsche Fischer noch annähernd 100 000 Tonnen Hering im Jahr fischen, in diesem Jahr sind es 12 500 Tonnen, und davon wird 2011 fast ein weiteres Drittel wegfallen.

Auf die Bilanz von Fischer Baumann schlägt sich das unmittelbar nieder. Die Fangquoten werden von den Erzeugerorganisationen in den einzelnen EU-Mitgliedländern über die Genossenschaften auf deren Mitglieder und jeden einzelnen Kutter heruntergerechnet. "Vor drei Jahren hatte ich gut 200 Tonnen Heringsfangquote, dieses Jahr sind es 116 Tonnen, 2011 sollen es noch 78 Tonnen sein", sagt Baumann. "Das kann man mit dem Umstieg auf andere, weniger oder gar nicht quotierte Fische nicht ausgleichen." Zumal die Fischer in Freest zu drei Vierteln vom Heringsfang leben.

Immer weiter dünne die Genossenschaft deshalb aus, erzählt Geschäftsführer Michael Schütt im Büro. Von einst mehr als 200 Fischern am Standort seien noch 33 aktiv, drei davon würden ihre Kutter bald aufgeben. "Das Problem ist, dass die Fischer nicht mittelfristig planen können, weil die Fangquoten jedes Jahr neu vergeben werden", sagt er. "Deshalb wird es für sie immer schwerer, Bankkredite zu bekommen oder die nötigen Investitionen in die Kutter und die Ausrüstungen irgendwie zu finanzieren."

Das betrifft nicht nur die Fischer in Mecklenburg-Vorpommern und auch nicht nur die an der Ostsee. Am vergangenen Donnerstag schlug die EU-Kommission die Senkung der Fangmengen in Nordsee und Atlantik von derzeit 90 000 Tonnen um zehn Prozent für 2011 vor. "Die Fischer leben auf der Produktionsseite mit einer totalen Planwirtschaft", sagt Gretel Flindt, die Geschäftsführerin des Landesfischereiverbands Schleswig-Holstein, "auf der anderen Seite müssen sie sich an einem freien Markt bewegen, an dem der Druck insbesondere durch die Lebensmittelkonzerne immer stärker wird."

Wachsende Bedeutung hätte deshalb die Gemeinschaft - wenn Kapitäne ihre Kutter aufgeben, können diese inklusive ihrer Fangquoten von anderen Fischern oder eben von Genossenschaften übernommen werden, sagt Flindt. Auch die Umverteilung von Quoten innerhalb der Genossenschaft sei möglich. "Das ist am Ende eine Frage der Solidarität." Finanzielle Hilfen des Landes hingegen, wie sie Mecklenburg-Vorpommern nach der Quotensenkung für die Heringsfischer angekündigt hat, seien in Schleswig-Holstein nicht zu erwarten. Auch die politische Unterstützung der Bundesregierung erscheint Flindt eher schwach: "Die östlichen und nördlichen Anrainer der Ostsee haben ihre Interessen bei den Fangquoten für 2011 offenbar besser durchgesetzt." In der östlichen Ostsee seien die Heringsquoten gar nicht reduziert worden.

Im Büro der Genossenschaft in Freest sitzt Fischer Baumann über einem Stapel Papiere. Er habe einen Kutter aus Travemünde übernommen und wolle dafür öffentliche Fördermittel beantragen, sagt er. Wie die kommenden Jahre aussehen werden, vermag er sich nicht vorzustellen. Überall werde reglementiert. Ortungssysteme sollen bald auch für Kutter unter 15 Meter Länge vorgeschrieben werden. Die Einführung von "Fahrplänen" - von genau datierten Fangtagen - hätten die zuständigen Fischereibehörden im Land zum Glück vor einiger Zeit wieder verworfen. Allerdings bleibe es bei der vorgeschriebenen Zahl von Tagen, an denen der Fang auf die jeweiligen Arten erlaubt sei. Mit Tradition wie auch mit Selbstverantwortung habe all das nicht mehr viel zu tun. "Wenn uns die Frauen zu Hause nicht sagen würden, haltet durch, hätten auch hier schon viel mehr Fischer aufgegeben", sagt er.

Seit 1983 fährt Baumann als Fischer in die Ostsee. Von der Pike auf hat er den Beruf erlernt, bis heute lebt er davon. Das Ende der DDR hat er erlebt, den Übergang von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft, der sich für die Fischer allerdings nicht so recht habe einstellen wollen, sagt er, und schenkt sich einen Kaffee aus der Thermoskanne ein. Ihren 50. Jahrestag hat die Genossenschaft in diesem Jahr gefeiert. Aus den ehemals angestellten Fischern der DDR-Zeit wurden nach der deutschen Einheit selbstständige Unternehmer. Doch die Reihe der Mitglieder im Jubiläumsband, hinter deren Namen seit Beginn der 90er-Jahre als Grund des Ausscheidens "Kündigung" steht, ist lang. Ostalgiker wurde Fischer Baumann allerdings nicht: "In der DDR", sagt er, "waren unsere Fangmengen ja noch viel kleiner als heute."