Knapp drei Jahrzehnte nach dem Tod eines Mädchens am Bodensee wird die Schuldfrage neu gestellt. Vater und Stiefvater stehen sich vor Gericht gegenüber.

Paris. Im Schatten der Pariser Kathedrale Notre-Dame hat am Dienstag ein neues Kapitel in einem deutsch-französischen Psychodrama begonnen. Zwei auf schicksalhafte Weise verquickte alte Männer saßen sich im altehrwürdigen Palais de Justice erbittert gegenüber. Beide verbindet vor allem der mysteriöse Tod der jungen Kalinka Bamberski im Sommer 1982. Der nach Frankreich entführte deutsche Arzt Dieter K. steht im Verdacht, seine Stieftochter damals in seinem Haus am Bodensee getötet zu haben. Deren leiblicher Vater André Bamberski hält den 76-Jährigen für einen Sextäter, der sich an ihr vergangen hat und dann eine tödliche Spritze verabreicht hat.

Bamberski hat durch die Verschleppung von K. Ende 2009 überhaupt erst ermöglicht, dass der Mediziner in Paris nun vor Gericht steht. Das spektakuläre Verfahren hatte schon vor einem halben Jahr begonnen, war aber Anfang April wegen Herzproblemen des Angeklagten aus dem Landkreis Lindau am Bodensee abgebrochen worden. Im Justizpalast fing nun alles wieder bei Null an. Mit knapp einer Stunde Verspätung wurde in dem an Emotionen, Spekulationen und Frustrationen reichen Justizkrimi ein neuer Versuch unternommen, für Klarheit zu sorgen. Ein mühsames Unterfangen: Wie schon vor einem halben Jahr lehnte die Verteidigung von Dieter K. erneut fast die Hälfte der Geschworenen-Kandidaten ab. Ein Muster war dabei nicht zu erkennen.

Alle Zeugen, die bereits vor Gericht ihre Aussagen gemacht haben, müssen nun ihre Aussagen über die Ereignisse im Sommer 1982 erneut vorbringen. Wie zuvor zweifelten die Anwälte des Angeklagten auch diesmal die Rechtmäßigkeit des Pariser Verfahrens an. Begründung: Ihr Mandant sei wegen des Falles in Deutschland nicht belangt und zudem verschleppt worden - der Fall ist längst zum Justiz-Lehrfall geworden. Unklar bleibt mit Blick auf die angeschlagene Gesundheit des Angeklagten zudem, ob das Verfahren diesmal erfolgreich zu Ende gehen wird.

Denn Dieter K. wirkte in seiner verglasten Angeklagten-Box auf Prozessbeobachter abgemagert und gebrechlich, als er am Dienstag auf Krücken gestützt erschien. Mit seinem fahlen, hageren Gesicht bot er ein Bild des Jammers. Zwar versuchte er konzentriert, dem Geschehen zu folgen, schien bei den Fragen der Richterin zu seinen Personalien aber leicht verwirrt. „Er kann nicht mal mehr einen Satz zu Ende bringen und erinnert sich dann nicht mehr an das zuvor Gesagte“, erklärte seine Tochter Diana Günther vor den laufenden Kameras der Gerichtsreporter. Ihr Vater, der für die Prozessdauer im benachbarten Krankenhaus untergebracht ist, sei kaum noch in der Lage, sich erfolgreich zu verteidigen.

Alles Simulation, meint dagegen sein zwei Jahre jüngerer Gegenspieler André Bamberski. „Ich bin diesmal zuversichtlich“, meinte er vor Journalisten. Er will den Mann, den er für den Tod seiner Tochter verantwortlich macht, knapp drei Jahrzehnte später endlich verurteilt sehen. Er will wissen, was wirklich an jenem 10. Juli 1982 geschah, als seine Kalinka von Dieter K. in dessen Haus am Bodensee tot entdeckt wurde. Aber trotz einer lange nach ihrem Tod aufgebauten Indizienkette sahen die Behörden in der Bundesrepublik zunächst keinen Grund, an ein Fremdverschulden beim mysteriösen Tod des Mädchens zu glauben. Der Prozess dauert voraussichtlich bis zum 21. Oktober.