Die erst 20-jährige Marisol Valles wurde im Oktober 2010 Polizeichefin einer Kleinstadt in Mexiko. Jetzt ist die junge Mutter in die USA geflohen.

Ciudad Juarez. Sie war bereit, gegen mächtige Feinde für Recht und Ordnung zu kämpfen. Doch nun will die 20-jährige Marisol Valles ihr Leben und das ihres kleinen Sohnes nicht länger aufs Spiel setzen. Nach anhaltenden Morddrohungen hat die Polizeichefin der nordmexikanischen Kleinstadt Práxedis Guadalupe Guerrero ihrer Heimat den Rücken zugekehrt und in den USA Asyl beantragt. Die Studentin hatte den Posten als Polizeichefin nur übernommen, weil sich sonst niemand fand. In Mexikos blutigem Drogenkrieg leben Polizisten, die ihren Job ernst nehmen, gefährlich.

Valles habe Mexiko mit zwei Angehörigen verlassen, sagte einer ihrer Verwandten, der anonym bleiben wollte, am Donnerstag. Eine „kriminelle Gruppe“ habe ihr mit dem Tode gedroht, wenn Valles nicht mit ihr zusammenarbeite. Die Polizeichefin hatte gute Gründe, Angst zu haben. Práxedis Guadalupe Guerrero liegt nicht weit entfernt von der Grenze zu den USA im Bundestaat Chihuahua, der besonders stark von der Drogengewalt betroffen ist. Im Juni wurden der Bürgermeister der 10.000-Einwohner-Stadt und sein Sohn ermordet, auch mehrere wurden Polizisten umgebracht. Im Dezember wurde in Guadelupe die 28-jährige Polizistin Erika Gandara entführt. Ihr Schicksal ist bis heute ungeklärt.

Als Valles im Oktober als Polizeichefin von Práxedis Guadalupe Guerrero vorgestellt wurde , hieß es aus dem Bürgermeisteramt: „Sie war die einzige, die den Job angenommen hat.“ Damals studierte die junge Frau Kriminalwissenschaften im nahe gelegenen Ciudad Juárez, der Hochburg des mexikanischen Drogenkrieges. Die verheiratete Frau mit dem noch kindlichen Gesicht wollte sich nicht einschüchtern lassen: „Wir haben heute alle Angst in Mexiko“, sagte sie damals. „Wir können die Angst nicht siegen lassen.“ Doch die Angst war stärker.

Für den Kampf gegen die Drogenkartelle sind die Bundespolizei und die Armee zuständig, Valles und ihre Mitarbeiter sollten sich um die allgemeine Sicherheit in der Stadt kümmern. Die Polizeichefin und ihre 19 Untergebenen versuchten, die nachbarschaftlichen Beziehungen zu stärken. Sie hoffte, dass Práxedis Guadalupe Guerrero einmal so sicher sein würde wie zu Zeiten, die sie selbst nur aus Erzählungen kennt. Damals seien die Bewohner von Práxedis abends auf den Straßen spazierengegangen, sagte sie. Der Drogenkrieg machte alle ihre Bemühungen zunichte.

Práxedis Guadalupe Guerrero liegt am Ufer des Grenzflusses Rio Grande inmitten eines Netzes aus verschlungenen Pfaden, über welche die Drogenschmuggler ihre Ware in die USA bringen. Selbst die Armee, die seit dem Amtsantritt von Präsident Felipe Calderón Ende 2006 massiv gegen die Drogenkartelle vorgeht, bekommt die Situation nicht in den Griff. Immer wieder gibt es Horrormeldungen über Massengräber mit Opfern des Drogenkrieges, über ermordete Bürgermeister und schwere Schießereien, bei denen auch Unbeteiligte, selbst Kinder, zu Tode kommen. Nicht selten machen unterbezahlte, korrupte Kleinstadt- oder Dorfpolizisten gemeinsame Sache mit den Kriminellen.

Bevor sie Polizeichefin wurde, hatte Valles sich einen Monat Bedenkzeit genommen und sich mit ihrer Familie beraten. Sie entschied sich nach eigenen Angaben nicht trotz, sondern wegen ihres kleinen Sohnes für den Job. „Ich bin das Risiko eingegangen, weil ich möchte, dass mein Sohn in einer anderen Gesellschaft lebt als wir heute.“ Diesen Traum will sie sich und ihrem Kleinen nun in den USA erfüllen.