Bis zu 100 Opfer an Unesco-Modellschule. Politiker fordern “null Toleranz“ und verlangen eine Überprüfung der Verjährungsfristen.

Berlin/Frankfurt. Mindestens 24 Schüler sind in den 70er- und 80er-Jahren an der nicht konfessionellen Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim vom Schulleiter und zwei weiteren Lehrern sexuell missbraucht worden. Die Schule ist seit den 60er-Jahren Unesco-Modellschule, zu den ehemaligen Schülern zählen Prominente wie der Schriftsteller Klaus Mann oder der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit.

Schon 1998 hätten sich Schüler gemeldet, die in den Siebzigern an der Odenwaldschule sexuell missbraucht worden seien, sagte Margita Kaufmann, Direktorin der Odenwaldschule, in einer Pressekonferenz. "Die Schule hat nichts verschleiert", sagte sie. Man sei aber auch nicht aktiv geworden und habe keine weiteren Recherchen angestellt. Die Odenwaldschule hat nun systematisch alle Schüler der betroffenen Jahrgänge angeschrieben, rund 900 Briefe wurden versandt.

Die "Frankfurter Rundschau" hatte berichtet, Schüler seien von Lehrern unter anderem als "sexuelle Dienstleister" für ganze Wochenenden eingeteilt und zum Oralverkehr gezwungen worden. Pädagogen hätten ihren Gästen sogar Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen. Von 1971 bis 1985 könnte es bis zu 100 Opfer gegeben haben.

"Man kann das Leid nicht mehr gut machen", sagte Kaufmann. Sie entschuldigte sich bei den Opfern im Namen der Schule. Ob noch mehr als 24 Schüler missbraucht worden sind, steht noch nicht fest. Sie habe viele E-Mails von ehemaligen Schülern bekommen, diese müsse sie nun lesen und sortieren, sagte Kaufmann.

Die steigende Zahl der Missbrauchsfälle hat jetzt auch die Politik auf den Plan gerufen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) will die Prävention gegen Missbrauch und Gewalt in Schulen verstärken und drängt auf "null Toleranz". Sie kündigte in der "Bild am Sonntag" Beratungen mit der Kultusministerkonferenz und den Lehrerverbänden in den nächsten Tagen an. SPD-Bundesvorstandsmitglied Ralf Stegner stellte die gesetzlichen Verjährungsfristen infrage.

"Es muss gelingen, die Dunkelziffer zu verringern und das zum Teil jahrzehntelange Schweigen aufzubrechen", sagte er dem Hamburger Abendblatt. "Gesetzliche Verjährungsfristen sollten in diesem Zusammenhang überprüft werden." Patrick Meinhardt, Mitglied des FDP-Fraktionsvorstandes, mahnte eine "Kultur des Hinsehens" an. Zudem müsse die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit den Ländern nach Lösungen suchen, wie nach dem Bekanntwerden solcher Missbrauchsfälle rasch reagiert werden könne. "Deutschlands Eltern müssen erwarten können, dass alles unternommen wird, um Gewalt an Schülern in der Schule zu vermeiden", sagte die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär dem Abendblatt.