Die Staatsanwaltschaft stand überraschend vor der Tür. Seit vergangener Woche wird wegen Missbrauchsverdacht an Zöglingen ermittelt.

Ettal/München. Nach den jüngsten Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche stand am Dienstagnachmittag überraschend die Staatsanwaltschaft vor der Tür des Klosters Ettal in Bayern. Nicht einmal der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz kann sich erinnern, dass es in der Nachkriegsgeschichte schon einmal eine Durchsuchungsaktion in einem deutschen Kloster gegeben hat. Was eine Sprecherin der Münchner Justizbehörde wenig später als „Ermittlungen vor Ort in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft“ schön redete, war nach Informationen der dpa nichts anderes als eine Razzia in dem oberbayerischen Vorzeigeinternat des Benediktinerordens.

Die Ermittler hatten nicht nur unangenehme Fragen, sondern prüften auch, ob die Klosterarchive strafrechtlich Verwertbares zu den teils Jahrzehnte zurückliegenden Missbrauchsfällen hergeben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit vergangener Woche wegen sexuellen Missbauchs von Ordensleuten an Zöglingen. Mindestens 20 Schüler haben sich bislang gemeldet und von sexuellen Übergriffen oder körperlicher Züchtigung bis hin zu massiven Schlägen berichtet. Die Vorwürfe richten sich gegen vier Patres, von denen einer bereits gestorben ist. Umberto Ecos Roman „Im Namen der Rose“ lässt grüßen: Die Vorwürfe kamen erst ans Licht, als der Nachlass des toten Ordensgeistlichen gesichtet wurde.

Selbst der vom Münchner Erzbischof Reinhard Marx mit der Prüfung von Missbrauchsvorwürfen beauftragte Siegfried Kneißl spricht inzwischen von „handfestem Missbrauch“, der sich über Jahre hinter Klostermauern abspielte. Der Abt des Klosters und sein Schulleiter mussten auf Druck von Marx ihre Ämter abgeben. Sie hatten gegen das kirchliche Gebot verstoßen, Verdachtsfälle auf sexuellen Missbrauch sofort an die Diözesanleitung zu melden.

Der harte Kurs des Erzbischofs in seinem Bistum führt nun dazu, dass sich frühere Schüler sowie die Eltern der derzeit in Schule und Internat unterrichteten Klosterschüler mit ihren Ordensoberen solidarisierten. Wie es heißt, muss sich Erzbischof Marx in Briefen aus Ettal und Umgebung seit Tagen harsche Kritik an seiner harten Linie anhören. „Es werden alle Kräfte mobilisiert“, sagt ein Kirchen- Insider.

Unterdessen führte der Missbrauchsskandal von Ettal auch zu personellen Konsequenzen in einem Benediktinerkloster in Sachsen. Drei Mönche wurden mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben in Kloster Wechselburg (Kreis Mittelsachsen) entbunden, wie das Bistum Dresden-Meißen mitteilte. Damit wurde ein Bericht der in Chemnitz erscheinenden „Freien Presse“ bestätigt. Gegen die Ordensleute lägen Missbrauchsvorwürfe aus ihrer Zeit an Schule und Internat in Ettal vor, begründete das Bistum die Maßnahme. Verdachtsfälle aus dem Kloster Wechselburg gebe es bislang nicht.

Ein Sprecher des Erzbistums München-Freising bestätigte unterdessen Medienberichte, wonach es auch in einer Münchner Pfarrei in den Jahren von 2002 bis 2003 einen Missbrauchsfall gab. Ein inzwischen nach Indien zurückgekehrter Ordensgeistlicher, der in der Pfarrei als Kaplan beschäftigt war, verging sich mehrfach an einem damals 13-jährigen Mädchen. Der Fall wurde strafrechtlich mit einer Bewährungsstrafe wegen sexueller Nötigung in neun Fällen geahndet. Das Pikante daran: Nach seiner Versetzung in eine Pfarrei im nahen Fürstenfeldbruck missbrauchte der Ordensmann womöglich erneut zwei Mädchen im Alter von 9 und 10 Jahren. Die erst jetzt bekanntgewordenen Verdachtsfälle werden geprüft. Der Bistumssprecher kündigte rückhaltlose Aufklärung an.

In Ettal hat die dortige Benediktinerabtei inzwischen mit Pater Emmeram Walter als sogenanntem Vakanz-Administrator einen neuen gesetzlichen Vertreter des Klosters. Mit der kommissarischen Schulleitung wurde der bisherige stellvertretende Schulleiter Wolf Rall betraut, wie das Kloster am Dienstag mitteilte. Ob es den beiden Ordensmännern gelingt, rasch das Vertrauen in die erzieherische Arbeit und Glaubensvermittlung zurückzubringen, bleibt freilich ungewiss. Der nächste „Sturm“ steht indessen schon bevor: An diesem Freitag will der vom Kloster eingesetzte Sonderermittler und Münchner Anwalt Thomas Pfister der Öffentlichkeit seinen vorläufigen Bericht vorlegen. Wie es heißt, enthält das Papier neue brisante Details über sexuelle Verfehlungen von Patres hinter Klostermauern.