Ehemalige Schüler berichten von Sexdiensten an den Wochenenden. Neuer Fall: Nonne unter Verdacht.

Heppenheim. Das Elite-Internat liegt idyllisch und friedlich in der Winterlandschaft. Unvorstellbar, dass hier Schüler jahrelang gequält und missbraucht worden sein sollen. Was ging wirklich hinter den Mauern der Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim vor?

Nach dem Bekanntwerden massiver Übergriffe bekommt der Satz des griechischen Lyrikers Pindar (522-445 v. Chr.), den sich das Internat zum Leitwort gewählt hat, eine neue Bedeutung: "Werde, der du bist." Schulleiterin Margarita Kaufmann sagte geschockt: "Wir sind seit Sommer 2009 in Kontakt zu ehemaligen Schülern, die uns von Missbrauchsfällen in großem Ausmaß berichtet haben. Ich kann nicht sagen, was da noch kommt. Wir haben die Befürchtung, dass es mehr sind als die Namen, die wir bis jetzt kennen."

Die "Frankfurter Rundschau" berichtete, dass es von 1971 bis 1985 bis zu 100 Opfer von sexuellen Misshandlungen gegeben haben soll. "Die Odenwaldschule, ein zweites Zuhause", heißt es auf der Internetseite der privaten Einrichtung. "Fühle Dich geborgen. Schüler und Lehrer leben zusammen unter einem Dach im selben Haus, auf demselben Flur, essen zusammen und: Sie duzen sich." Dieses Konzept zog viele berühmte Namen an - etwa den Schriftsteller Klaus Mann (* 42) oder Manager Wolfgang Porsche (56) aus der weltberühmten Sportwagen-Dynastie. Am 17. April wird das Elite-Internat 100 Jahre alt. Dieses Jubiläum soll im Juli mit einer Festwoche gefeiert werden. Inzwischen hat die Schulleiterin eine Entschuldigung ins Internet gestellt: "Wir sprechen den Opfern der damaligen Missbrauchstaten unsere Solidarität aus und entschuldigen uns als Institution für das ihnen zugefügte Unrecht."

Weiter schreibt Margarita Kaufmann dort:"Ich bin seit Oktober 2007 im Amt und wusste von früherem Missbrauch. Aber ich war davon ausgegangen, dass das Thema sozusagen erledigt ist." Ist es nicht: Die Odenwaldschule ist von ihrer Vergangenheit eingeholt worden. Es sei klar, "dass weitere Kinder und Jugendliche sexueller Übergriffe nicht nur durch den damaligen Leiter der Odenwaldschule geworden sind", erklärte Kaufmann. Die Aussagen seien glaubwürdig, in einigen Fällen sei ihr "schwindelig geworden". Ehemalige Schüler hätten geschildert, wie sie von Lehrern durch das Streicheln der Genitalien geweckt, wie sie als "sexuelle Dienstleister" für ganze Wochenenden eingeteilt und wie sie zum Oralverkehr gezwungen worden seien. Einzelne Pädagogen hätten laut "Frankfurter Rundschau" ihren Gästen Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen. Lehrer hätten Schutzbefohlene geschlagen, mit Drogen und Alkohol versorgt und beim gemeinschaftlichen Missbrauch eines Mädchens nicht eingegriffen. Ehemalige Schüler sollen vier frühere Lehrer als Täter benannt haben, die mindestens 50 Schüler bis hin zur Vergewaltigung missbrauchten. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Leiter der Odenwaldschule, Gerold B., wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch wurde 1999 wegen Verjährung eingestellt. Eines seiner Opfer (heute 40) schilderte schon damals sein Martyrium: Er sei von Gerold B. rund 400-mal sexuell missbraucht worden.

Im Skandal um den sexuellen Missbrauch gegen Kinder in katholischen Einrichtungen gibt es jetzt auch Missbrauchsvorwürfe gegen eine Nonne. Sie arbeitete im Kinderheim der Berliner Hedwigschwestern. In der ZDF-Sendung "Mona Lisa" berichtete eine ehemalige Bewohnerin, dass sie in den 50er- und 60er-Jahren von einer Nonne missbraucht wurde. Das heute 60-jährige Opfer spricht von ständigen Berührungen im Intimbereich, die begannen, als sie acht Jahre alt war. "Man hört immer nur von den Priestern, dabei waren's doch die Nonnen genauso." Die Vorwürfe richten sich gegen eine 79-jährige Frau, die noch immer in Berlin lebt.