St. Pauli besinnt sich auf Grundtugenden wie Einsatz, Disziplin, Wille und Leidenschaft. Damit gelingt der Sprung auf einen direkten Aufstiegsplatz.

Hamburg. Es war vor zwei Wochen. Der FC St. Pauli hatte den Jahresauftakt bei Alemannia Aachen nach einer blutleeren Vorstellung mit 1:2 verloren, war erstmals in dieser Saison aus dem Spitzenquartett der Liga gerutscht, und die Verantwortlichen ließen die Alarmglocken für jedermann hörbar erklingen. Pomadig, naiv und sorglos nannte Trainer André Schubert das Verhalten seiner Spieler, sprach zumindest einigen von ihnen die Leistungsbereitschaft ab, führte zahlreiche Einzelgespräche und nahm gleich vier Personaländerungen vor. Kapitän Fabian Boll forderte, in den kommenden Partien "erst mal dem Gegner die Freude zu nehmen", und erinnerte daran, dass vor dem spieltechnischen Vergnügen stets die Arbeit komme. Worte mit Wirkung. 14 Tage später stehen die Hamburger auf dem direkten Aufstiegsplatz zwei.

+++FC St. Pauli stürmt ohne Angriff an die Spitze+++

Die selbstkritische, schonungslose Analyse war der erste richtige Schritt, ihre folgende konsequente Umsetzung der zweite. Bereits gegen Bochum versahen die Braun-Weißen ihr Tagewerk von der ersten Minute an wieder mit den nötigen Voraussetzungen, Einsatz, Disziplin, Wille, Leidenschaft, und belohnten sich in Person von Sebastian Schachten trotz eines überraschenden 0:1-Rückstands mit einem 2:1-Sieg. Über die Standards zurück zum Erfolg, was nach dem mit 1:0 beendeten "brutalen Kampfspiel" (Schachten) in Duisburg fortgeführt wurde.

Statt wie in Aachen den Gegner mit der hohen Kunst des Fußballs filetieren zu wollen, wurden Bochum und Duisburg unter hohem physischen Einsatz attackiert. Dass das spielerische Element "im hässlichsten Spiel, in dem ich mitgespielt habe", wie Mittelfeldspieler Patrick Funk erklärte, nahezu komplett auf der Strecke blieb, stört angesichts der erreichten Maximalausbeute von sechs Punkten kaum. "Wir wussten, dass wir nur mit der Einstellung von Bochum weiterkommen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Das Fußballerische kommt dann irgendwann von ganz allein", glaubt Boll. "Wir haben die Bestätigung gesehen, was man mit Einsatz und Leidenschaft alles erreichen kann."

Als großes Ziel war für Duisburg ohnehin ein anderes ausgegeben worden: zu null zu spielen. "Ich habe deswegen eine Formation gewählt, von der ich zu 100 Prozent weiß, dass alle Gas geben, richtig Meter laufen - dann spielst du auch mal zu null. Das müssen alle verinnerlichen", erläuterte Schubert seine überraschende Aufstellung von Duisburg, in der kein nomineller Angreifer zu finden gewesen war. Bereits während der Vorbereitung hatte der Chefcoach angekündigt, im engen Konkurrenzkampf vor allem auf die Defensivqualitäten und läuferischen Fähigkeiten achten zu wollen - und dokumentierte nun einmal mehr sein konsequentes Naturell. "Ich glaube, dass unsere Stürmer das grundsätzlich können, aber sie müssen es auch begreifen, dass man sich mit allem, was man hat, gegen ein Tor, gegen eine Niederlage stemmt."

Den 14 eingesetzten Profis gelang das als Kollektiv in Duisburg über die vollen 90 Minuten. St. Pauli ist seit 162 Minuten ohne Gegentor. Was zum Siegen genügt, wenn neben dem Einbringen von Grundvoraussetzungen auch die Standardsituationen genutzt werden. Vier Tore gelangen 2012, alle vier nach Eckbällen oder Freistößen. Und es passt, dass mit Schachten und Boll zwei Defensivspieler und Vorkämpfer dafür verantwortlich zeichneten.

"Die Jungs haben das heute alle super verteidigt. Das passt schon richtig gut", lobte Torhüter Benedikt Pliquett nach dem 1:0 seine Vorderleute und zog eine Parallele zum letzten Derby-Sieg gegen den HSV: "Mich hat das an ein Spiel erinnert, das fast genau vor einem Jahr war - von der Einstellung her. Das müssen wir jetzt beibehalten, und wenn wir das beibehalten, spielen wir noch oft zu null und gewinnen viele Spiele." Zwölf Partien sind es noch, die Ausgangsposition, um ab dem Sommer Bundesliga zu spielen, ist hervorragend. Was auch 2011 galt, als dann aber elf Niederlagen bei nur einem Unentschieden folgten. "Am Ende kackt die Ente. Das ist uns allen klar", sagt Pliquett, während Boll noch einmal betont, "dass noch eine Menge Arbeit vor uns liegt. Was passiert, wenn wir nachlassen,haben wir in Aachen gesehen."