Beim 2:1 gegen Bochum kehren Einsatz und Disziplin wieder zurück. Bereits zum fünften Mal in dieser Saison drehen die Hamburger ein Spiel.

Hamburg. Statt nach der Ehrenrunde mit den Kollegen im Spielertunnel zu verschwinden, wählte Deniz Naki den entgegengesetzten Weg, er lief zurück zur Spielerbank und begab sich anschließend noch einmal auf eine ganz persönliche Jubeltour. Klatschte mit den Gegengeradenbesuchern um die Wette, forderte die Fans auf der Südtribüne erfolgreich zur Welle auf, haderte gestenreich mit dem gerade via Videoleinwand vermeldeten 4:2-Sieg von Hansa Rostock, stimmte in die folgenden Schmähgesänge des Anhangs ein und rammte die am 2. November 2009 in den Rasen des Ostseestadions gesteckte St.-Pauli-Fahne zwar nur virtuell, dafür aber gleich dreimal in den zerfurchten Grund des Millerntors.

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Naki ließ Dampf ab, und das in der kalten Luft auch optisch dokumentiert. Nachdem er bereits seine Handschuhe an zwei Kinder auf der Hauttribüne verschenkt hatte, flog sein Trikot im hohen Bogen auf die Südtribüne. Der Publikumsliebling zupfte kurz an seiner Hose, entschied sich dann aber doch dafür, lieber die Kappe eines verdutzten Ordners hinterherzuschicken. Die große Naki-Show als Ausgeburt der Freude und Zufriedenheit über einen verdienten 2:1-Erfolg gegen den VfL Bochum.

Ein gleichermaßen sehenswertes wie überraschendes Solo zur "dritten Halbzeit". In den beiden vorangegangenen hatte es für den 22-Jährigen nach seinem schwachen Startelfeinsatz in Aachen nur noch zum 30-minütigen Mitwirken gereicht und auch die halbe Stunde zumindest nicht zu einer derart ausgelassenen Jubelorgie Anlass gegeben. Und doch zeigte diese Szene weit nach Spielschluss bestens, was beim FC St. Pauli nach dem komplett missglückten Jahresauftakt in Aachen wieder Priorität genießt: der Erfolg des Kollektivs.

Anders als bei der 1:2-Niederlage hielten sich die Spieler an die Vorgaben ihres Trainers und setzten das um, was André Schubert in den Tagen vor der Partie mit bislang nicht erlebter Vehemenz eingefordert hatte. "Das war heute Schwerstarbeit. Aber wir sind mit der richtigen Einstellung ins Spiel gegangen und haben zu 100 Prozent mehr gezeigt als letzte Woche", fand Spielmacher Max Kruse.

Mehr Einsatz, mehr Disziplin, mehr Biss, mehr Tempo: vom Anpfiff weg suchten die Hamburger forsch und aggressiv, ja mitunter lustvoll die Zweikampfsituationen. "Das Spielerische war heute auch nicht so wichtig. Wir wollten den Gegner auffressen, und wir haben genau das gezeigt, was wir letzte Woche haben vermissen lassen. Das beweist, dass die Mannschaft lebt", unterstrich Fabian Boll. Angetrieben vom Mannschaftskapitän, erkämpfte sich St. Pauli schnell die Oberhand. Früh wurde deutlich, dass die Schubert-Elf die richtigen Schlüsse aus dem Aachen-Spiel gezogen hatte. Und nur deshalb gelang am Ende eben das, woran die Mannschaft in der Vorwoche noch gescheitert war: St. Pauli wandelte zum fünften Mal in dieser Saison einen Rückstand in einen Sieg - Ligarekord!

"Nach dem überraschenden 0:1 hat die Mannschaft eine gute Reaktion gezeigt und sich nicht verrückt machen lassen", lobte auch Schubert, der mit angesehen hatte, wie Bochums Azaouagh in der 19. Minute mit einem Lupfer aus 17 Metern und gegen die Laufrichtung von Benedikt Pliquett die erste Torchance zum 1:0 für den VfL genutzt hatte. "Ich stehe eigentlich optimal und strecke mich voll, aber der trifft den halt gut", erinnerte sich der Torwart, "natürlich würde ich lieber zu null spielen und mal ein paar Dinger raushauen, aber solange ich fehlerfrei bleibe und wir gewinnen, dann ist das halt so."

Nur sieben Minuten nach Azaouaghs Geniestreich köpfte der wie Fin Bartels nach Gelbsperre ins Team zurückgekehrte Sebastian Schachten nach Ecke von Patrick Funk den Ausgleich. Neun Minuten vor dem Ende traf der Außenverteidiger erneut nach einem Standard, diesmal allerdings mit dem Fuß, zum umjubelten 2:1. Kruse hatte einen Freistoß aus zentraler Position zur Überraschung der Bochumer auf die rechte Seite zu Markus Thorandt gechipt, der den Ball umgehend auf Schachten in die Mitte gepasst hatte.

Zwischen den beiden Toren versuchten die Hamburger stets in die Spitze zu spielen, blieben auch dank der kämpferisch herausragenden Boll, Schachten und Funk sowie des läuferisch umtriebigen Kruse dominant, waren in ihren Aktionen aber nicht zwingend genug und hatten nach einer halben Stunde auch das Glück auf ihrer Seite, als der für den am Oberschenkel verletzten Marius Ebbers aufgebotene Ex-Bochumer Mahir Saglik einen wuchtigen Dabrowski-Kopfball nur mithilfe der Lattenunterkante wieder zurück ins Feld befördern konnte (31.). Es waren die beiden einzigen Torchancen der defensiv starken Bochumer, die bei der Rückkehr des ehemaligen St.-Pauli-Trainers Andreas Bergmann zudem die Schlussviertelstunde in Unterzahl verbringen mussten, nachdem Freier Bartels gefoult (61.) und Funk gesperrt hatte (76.) und Gelb-Rot sah.

St. Pauli kehrte durch den Erfolg nach einwöchiger Abstinenz wieder ins Spitzenquartett der Liga zurück und würde mit einem Sieg am Freitag im Auswärtsspiel beim MSV Duisburg unabhängig vom Ausgang des heutigen Gipfeltreffens in Düsseldorf auf einen Aufstiegsplatz springen. Gute Aussichten dank verbesserter Defensivleistung, wie auch Schachten findet: "Wir sind mit dem Vorsatz ins Spiel gegangen, mit elf Leuten zu verteidigen. Das hat heute gut geklappt", schloss der Mann des Tages, der sich zuvor mit zwei Toren bei der Offensive auf seine Art bedankt hatte, und erteilte Naki rückwirkend die Feierabsolution: "Das Kompliment gebührt deshalb auch den Jungs vorne."