DFB-Kontrollausschuss beantragt eine Ligapartie vor leeren Stehplatzrängen am Millerntor, 13.000 Fans müssten dann draußen bleiben.

Hamburg. Jetzt ist der Fall wieder aktuell. Sieben Wochen liegt der Kassenrollenwurf vom Millerntor zurück, nun wird über die Folgen und mögliche Strafen diskutiert. Allerdings ohne den Betroffenen selbst - beim FC St. Pauli hüllen sie sich weiter in Schweigen. Allein der tagelang hartnäckig geleugnete Eingang des Strafantrags wurde von Christian Bönig nach dem Abendblatt-Artikel vom Dienstag bestätigt. "Ja, wir haben am Ende der vergangenen Woche Post vom DFB-Kontrollausschuss bekommen und dem Antrag am Montag nicht zugestimmt. Nach Rücksprache mit dem Verband können und dürfen wir uns zu Einzelheiten wie dem Strafmaß nicht äußern", sagte St. Paulis Pressesprecher auf Abendblatt-Nachfrage.

+++"Geisterspiele" und Strafen nach Fanausschreitungen+++

+++Kommentar: Das falsche Exempel+++

Wie das Abendblatt allerdings erfuhr, fordert der Kontrollausschuss die Austragung eines Ligaheimspiels unter Teilausschluss der Öffentlichkeit, der sich konkret auf sämtliche 13.000 Stehplätze im Stadion bezieht. Von den Rängen der Südtribüne hatte ein St.-Pauli-Fan in der 48. Minute des Zweitligaspiels gegen Eintracht Frankfurt am 18. Dezember 2011 eine Kassenrolle geworfen, die sich nicht wie geplant abrollte und den Frankfurter Spieler Pirmin Schwegler am Kopf traf.

Das Abendblatt beantwortet die sechs wichtigsten Fragen:

Wie geht es jetzt weiter?

Da der Verein dem Strafantrag des DFB-Kontrollausschusses nicht zustimmte, wird das Urteil nun im Einzelrichterverfahren gefällt, voraussichtlich in dieser Woche, möglicherweise bereits heute. Sollte das DFB-Sportgericht dem Antrag wie erwartet folgen, würde der FC St. Pauli Einspruch einlegen und wie im Fall des Becherwurfs am 14. April 2011 bei einer mündlichen Verhandlung vor dem Sportgericht in Frankfurt gehört werden.

Welches Heimspiel ist betroffen?

Wann die Strafe angewandt wird, hängt mit dem Tag des letztinstanzlichen Urteilsspruchs zusammen. Voraussichtlich wird es sich um das auf die Verhandlung folgende Heimspiel handeln, das noch in diese Saison fallen dürfte. Im vergangenen Jahr war es dem Verein unter Androhung des weiteren Gangs durch die Instanzen gelungen, die im Zuge des Becherwurfs verhängte Platzsperre mit Teilausschluss der Öffentlichkeit in die nach dem Abstieg folgende Zweitligasaison hinauszuzögern.

Wie hoch wäre der wirtschaftliche Schaden für den Verein?

Betroffen sind 13 000 Fans - darunter auch die Anhänger der gegnerischen Mannschaft -, von denen ein Großteil im Besitz einer Dauerkarte ist. Eine Stehplatzkarte kostet im Einzelverkauf unter Berücksichtigung der ermäßigten und vollen Eintrittspreise durchschnittlich elf Euro. Besitzer einer Stehplatzdauerkarte zahlen für die 17 Heimspiele etwa den Preis von 15 Einzeltickets. Dem Verein drohen daher im Ticketing Mindereinnahmen von etwa 140 000 Euro, wenngleich der Großteil der Dauerkartenbesitzer wohl auf die zustehende Rückerstattung von einem Siebzehntel des Gesamtkaufpreises verzichten würde, sodass der wirtschaftliche Schaden am Ende inklusive der geringeren Einnahmen auf dem Catering-Sektor die 250 000-Euro-Grenze nicht übersteigen sollte.

Wie gehen die betroffenen Fans mit dem Strafmaß um?

Sämtliche relevanten Fangruppen, darunter mit Ultra Sankt Pauli auf der Südtribüne auch die größte, wären von dem Urteil betroffen. Der Anhang wartet noch auf die Bestätigung seitens des Klubs und wird daher erst in den kommenden Tagen darüber beraten.

Wie will der Verein die Strafe mildern?

Der Kontrollausschuss hat bei seinem Strafantrag auch die zahlreichen Verstöße der jüngeren Vergangenheit berücksichtigt. Neben zwei Bierbecher- und einem Schneeballwurf flogen am Millerntor auch immer wieder Münzen und Feuerzeuge. St. Paulis Verantwortliche wollen den aktuellen Vorgang klar gegen die vorangegangenen Fälle abgrenzen, da sich die Kassenrolle nur versehentlich nicht abrollte und so ungewollt zum Wurfgeschoss geriet.

Welche Konsequenzen erwarten den Werfer der Kassenrolle?

St. Paulis Fanbeauftragter Stefan Schatz erhofft sich von der Sportgerichtsbarkeit mehr Augenmaß: "Wenn man weiß, dass die Strafen von den Vereinen auf Einzelpersonen umgelegt werden, steht der Kontrollausschuss in der Pflicht, sich die sozialen Umstände der Betroffenen genauer anzuschauen. Er muss bei seinem Antrag die individuelle wirtschaftliche Situation in Betracht ziehen." Der Verein behält sich vor, den Fan bei einer möglichen Geldstrafe des DFB oder bei aus dem Strafmaß resultierenden Mindereinnahmen in Regress zu nehmen. Wahrscheinlich aber wird der FC St. Pauli dem 20 Jahre alten Abiturienten keine oder nur eine wirtschaftlich vertretbare Strafe aufbürden. Ein Stadionverbot steht bislang nicht zur Diskussion.