Noch am Tag zuvor hatte Arnesen Oenning offensiv im Amt bestätigt, dann wurde der HSV-Trainer entlassen. Rodolfo Cardoso übernimmt vorerst.

Hamburg. Die schlichte Pressemitteilung des HSV, die um exakt 15.22 Uhr per E-Mail verschickt wurde, umfasste 99 Wörter, sechs Sätze und vor allem eine Nachricht, die noch einen Tag zuvor kategorisch ausgeschlossen wurde: Der HSV hat sich "mit sofortiger Wirkung", wie es gleich im ersten Satz hieß, von Cheftrainer Michael Oenning getrennt, Rodolfo Cardoso soll gemeinsam mit Frank Heinemann die Mannschaft interimsweise übernehmen. Es war eine Nachricht, die in der Form niemanden verblüffte, vom Zeitpunkt her aber doch sehr überraschend kam.

Der Tag der Entscheidung begann bereits am frühen Morgen mit einer turnusmäßigen Vorstandssitzung, an der neben HSV-Chef Carl Jarchow und Sportchef Frank Arnesen auch die Vorstände Joachim Hilke und Oliver Scheel teilnahmen. "Nach vielen intensiven Gesprächen sind wir zu der Entscheidung gekommen, dass es die richtige Entscheidung für den HSV ist, sich von Michael zu trennen", sagte Arnesen, der den Sinneswandel als "Entscheidung des Kopfes statt des Herzens" beschrieb. Nachdem Oenning telefonisch zum Stadion gebeten wurde, setzten sich Arnesen und Jarchow umgehend mit dem Noch-Trainer in einem Sechs-Augen-Gespräch in den Räumlichkeiten der Geschäftsstelle zusammen, kurz darauf wurden alle zwölf Aufsichtsräte per Mail informiert. "Michael hat unsere Entscheidung, die uns sehr wehgetan hat, sehr professionell aufgenommen", sagte Arnesen, der Oenning noch am Sonntag eine temporäre Jobgarantie ausgesprochen hatte. "Michael wird im Flugzeug nach Stuttgart neben mir sitzen", hatte der Däne gesagt, der sich nun mit Cardoso als neuem Sitznachbarn arrangieren muss. Der Argentinier soll am Freitag beim Auswärtsspiel beim VfB Stuttgart als Hauptverantwortlicher auf der Bank sitzen.

"Wir haben Rodolfo klar gesagt, dass er so lange Cheftrainer ist, bis wir den neuen Trainer gefunden haben", sagte Arnesen, der noch einen Tag zuvor Oenning als "Plan A, B und C" bezeichnet hatte. "Plan D" soll nun heute um 10 und um 15 Uhr seine ersten Trainingseinheiten als Hauptverantwortlicher bei den Profis leiten. Ihm zur Seite gestellt ist Frank Heinemann, bisheriger Co-Trainer des beurlaubten Oenning und Inhaber einer Fußballlehrerlizenz. Diese ist nötig, um eine Bundesligamannschaft bei einem Bundesligaspiel zu betreuen - und noch nicht in Cardosos Besitz. Der frühere Mittelfeldregisseur, der bereits in sein sechstes Jahr als Nachwuchstrainer beim HSV geht, hatte es wiederholt versäumt, sich rechtzeitig für einen der Fußballlehrer-Lehrgänge anzumelden. Und das könnte ihm jetzt den internen, schnellstmöglichen Aufstieg kosten. "Den nächsten Lehrgang werde ich besuchen", hatte Cardoso im Abendblatt-Interview im März, also unmittelbar nach seiner vorübergehenden Berufung zum Assistenten von Oenning, gesagt. Damals hatte der 42-Jährige auch seine Ambitionen untermauert, irgendwann als Cheftrainer im Profibereich arbeiten zu wollen.

Es geht ums Überleben

Rodolfo Cardoso: Der Mann für gewisse Stunden

Eine Dauerlösung, das schlossen Arnesen und Jarchow auf einer eilig einberufenden Pressekonferenz kategorisch aus, wird der bisherige U-23-Trainer aber auf keinen Fall. Zumindest vorübergehend scheint Cardoso aber das Vertrauen der Mannschaft zu genießen. David Jarolim, der als einziger aktueller HSV-Profi noch mit dem einstigen Ballkünstler zusammengespielt hatte, lobte: "Rodolfo war ein sehr guter Fußballer, der auch als Trainer immer Fußball spielen lassen will." Ob Cardoso der Mannschaft neuen Spaß am Fußball vermitteln kann? "Das würde bedeuten, dass wir unter Oenning keinen Spaß hatten - und das war nicht so. Rodolfo ist aber ein lockerer Typ, der immer sehr positiv ist. Das passt - den Rest müssen wir auf dem Platz erledigen."

Abseits des Rasens ist in den kommenden Tagen nun verstärkt der Sportchef gefragt. "Wir werden uns ab sofort mit der Nachfolge von Oenning beschäftigen", sagte Arnesen, der bis gestern mit keinem Kandidaten gesprochen haben wollte. "Wir suchen einen Trainer, der unsere bisherige Philosophie vertritt, der mit jungen Leuten umgehen und der sich mit dem vollzogen Umbruch identifizieren kann", umschrieb Jarchow das Anforderungsprofil für den neuen Oenning, der darüber hinaus Deutsch sprechen können muss. Mögliche Kandidaten sollten Leidenschaft haben und taktisch geschult sein, ergänzte Arnesen, der offiziell keine Namen kommentieren wollte. "Ein neuer Trainer müsste ein Zauberer sein. Vielleicht kann ja Zirkus Krone helfen", kommentierte Franz Beckenbauer süffisant den achten Trainerwechsel des HSV in acht Jahren.

Die Entlassung Oennings, der in insgesamt 14 Spielen als HSV-Trainer lediglich einen Sieg holen konnte, ist trotz aller Häme nachvollziehbar, durch die zeitlichen Abläufe aber zumindest unglücklich. "Wir waren trotz der Niederlage gegen Gladbach fest davon überzeugt, mit Oenning nach Stuttgart zu reisen", sagte Arnesen, der seinen medialen Zickzackkurs mit "vielen intensiven Gesprächen innerhalb der vergangenen 40 Stunden" begründete. Noch am Freitag hätte der Gesamtvorstand sämtliche Szenarien durchgespielt und wäre zu dem Schluss gekommen, auch im Falle einer Niederlage gegen Gladbach an Oenning festzuhalten. "Daran wollten wir uns halten", sagte Arnesen, "aber so ist nun mal Fußball."

Einen genauen Zeitplan für die Nachfolgesuche wollten Jarchow und Arnesen nicht nennen. "Es geht nicht darum, so schnell wie möglich, sondern so gut wie möglich eine Lösung zu finden", sagte Arnesen. Spätestens in der Länderspielpause nach dem Heimspiel gegen Schalke 04 soll aber ein geeigneter und wirtschaftlich vertretbarer Kandidat präsentiert werden.

Finanziell ist die Entlassung Oennings zwar schmerzhaft, dank einer Sonderklausel aber zu verkraften. Der 45-Jährige hatte erst im April einen Zweijahresvertrag unterzeichnet, der ihm inklusive Prämien im Bestfall rund 800 000 Euro pro Jahr hätte einbringen können. Allerdings konnte der HSV diesen Zweijahresvertrag einseitig bereits nach der laufenden Saison kündigen, was Oenning nun nur noch eine überschaubare Abfindung im geringen sechsstelligen Bereich einbringen soll.

Oenning selbst versuchte in der Stunde seiner größten Niederlage Fassung zu bewahren. "Es ist auch für mich nachvollziehbar, dass der Verein in der jetzigen Situation einen anderen Weg geht", sagte der Familienvater, ehe er in der Mittagsstunde das Stadion zum vorerst letzten Mal verließ. Den Weg, den er auf den Tag genau vor einem halben Jahr mit einem imposanten 6:2-Sieg gegen den 1. FC Köln begonnen hatte, wird demnächst ein anderer Trainer fortsetzen. Zu beneiden wird dieser nicht sein.