Eine Glosse von Christian-A. Thiel

Je näher man dem Ziele kommt, umso mehr wachsen die Schwierigkeiten. Nie war diese Goethe-Weisheit so wahr wie bei der Straßen-Weltmeisterschaft der Radsportler in Kopenhagen. Schlimmer noch: Es gab eigentlich gar kein Ziel mehr. Ein gründlicher Mitarbeiter der Straßenreinigung hatte am Vorabend des ersten Wettbewerbs seinen Job so ernst genommen, dass er alles von der Fahrbahn kehrte - sogar die Ziellinie.

Eine faszinierende Vorstellung: Sportler, die sich für den Erfolg quälen und am Ende ihr Ziel suchen müssen. Eine Szene wie aus einem Monty-Python-Sketch, locker übertragbar auf andere Sportarten. Sebastian Vettel fährt 80 Runden im Kreis, sieht aber nie eine Zielflagge. Usain Bolt sprintet über die Tartanbahn und weiß nicht, an welchem Punkt er die Brust hervorstrecken muss. Ein Marathonläufer sucht nach 42 195 Metern verzweifelt das Zielband. Maria Riesch rast den Hang hinab und erkennt im Schnee kein Ende.

Und was wäre, wenn beim HSV plötzlich die Torlinie verschwinden würde, das Ziel jedes Stürmers? Zumindest wären dann auch mal die Gegner des Bundesliga-Dinos orientierungslos. Allerdings ist die Torlinie gelegentlich überflüssig, zum Beispiel im letztjährigen WM-Spiel gegen England, als der Ball um Längen hinter Manuel Neuer aufschlug - und dennoch kein Tor gegeben wurde.

Aber es soll ja auch Sportler geben, für die schon der Weg das Ziel ist. Manchmal sogar leistungsfördernd, wie schon Mark Twain feststellte: "Nachdem wir das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen."