Der Bundestrainer spricht im Interview vor dem Halbfinale gegen Italien über Kritikpunkte im deutschen Spiel und Ärger über Zweitligatrainer.

Danzig. Erst mal einen Espresso, ohne den geht bei Joachim Löw nichts. Kein Zucker, nur heiß und schwarz muss er sein. Fünf davon trinkt der Bundestrainer am Tag. Mindestens.

Hamburger Abendblatt: Herr Löw, was war Ihr erster Gedanke, als Italien als Halbfinalgegner feststand? Haben Sie an das spät in der Verlängerung verlorene Halbfinale 2006 gedacht?

Joachim Löw: Nein, überhaupt nicht. Ich habe an den Februar 2011 gedacht, als wir 1:1 gegen die Italiener gespielt haben. Was wir da erlebt und gesehen haben, ist das neue Italien. Das hat nicht mehr viel gemeinsam mit dem Italien von früher. Die Italiener haben unter Cesare Prandelli auf einen ganz anderen Stil umgestellt. Sie spielen jetzt viel offensiver, als man es von einer italienischen Mannschaft gewohnt ist.

Trainer Prandelli hat die Favoritenrolle Ihrer Mannschaft zugeschoben. Unter anderem, weil Ihre Spieler zwei Tage mehr Regenerationszeit haben.

Löw: Ich habe bislang keine körperlichen Mängel festgestellt. Sie haben gut gespielt. Auch im Viertelfinale waren sie das klar dominantere Team. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie schlapp und nicht gut drauf sind. Sie haben vier Tage Zeit zum Regenerieren, das sollte ausreichen. Ich sehe uns also nicht klar in der Favoritenrolle.

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Sind das also taktische Spielchen von Prandelli?

Löw: Weiß ich nicht, interessiert mich auch nicht. Prandelli hat mal gesagt, man müsse sich am deutschen Team orientieren, offensiver spielen und einen Wechsel bei der Altersstruktur vollziehen, mehr junge Spieler einsetzen. Das ist ihm gut gelungen, darum gibt es keinen ausgesprochenen Favoriten.

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Experten unken über das fußballerische Niveau der EM. Stimmen Sie zu, dass es bisher nicht das große Spektakel ist?

Löw (überlegt): Das ist im Moment für mich noch schwer einzuordnen. In der Vorrunde haben wir schon Mannschaften gesehen, die vom Niveau her deutlich abgefallen sind. Eine Mannschaft wie Russland ist ausgeschieden, von der ich es nie erwartet hätte. Dafür hat Griechenland, das sicher nicht allerhöchste Qualität hat, es ins Viertelfinale geschafft. Das Tempo in den Viertelfinalspielen fand ich auch hoch. Insgesamt würde ich sagen, dass Niveau ist gut, aber nicht spektakulär.

Ihre Mannschaft hat die Vorrunde ohne Punktverlust überstanden, hat beim 4:2 gegen Griechenland überzeugt. Sind Sie rundum zufrieden?

Löw: Es gab in jedem Spiel gewisse Kritikpunkte. Auch gegen Griechenland, wo wir ohne Druck des Gegenspielers fünf, sechs Fehlpässe gespielt haben, die zu gefährlichen Situationen hätten führen können. Auch vor den beiden Gegentoren sahen wir nicht so gut aus. Insgesamt hätte ich mir öfter gewünscht, dass wir früher raufgehen, den Gegner noch mehr unter Druck setzen. Die Bewegung nach vorn war gegen Griechenland allerdings viel besser als zuvor gegen Dänemark. Es gibt also kleine Dinge, die wir verbessern können, aber mit vier Siegen bin ich natürlich zufrieden.

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Von den angesprochenen Fehlpässen gingen die meisten auf das Konto von Bastian Schweinsteiger. Er äußerte sich im Interview mit der "Welt am Sonntag" sehr selbstkritisch, verriet aber auch, dass sein lädierter Knöchel ihm noch zu schaffen macht. Wie steht es um ihn?

Löw: Er hatte jetzt zwei Tage Pause, der Knöchel macht jetzt weit weniger Probleme. Grundsätzlich stimmen seine Ausdauerwerte, da gibt es nichts zu bemängeln. Er kann lange Wege gehen. Was ihm gefehlt hat in den letzten Spielen war die Handlungsschnelligkeit und die Dynamik. Da müssen wir in den nächsten Tagen dran arbeiten. Da müssen wir einen Reiz setzen.

Er hat auch gesagt, er würde sich auf die Bank setzen, wenn Sie so entscheiden würden. Erwägen Sie so etwas?

Löw: Nein. Wenn sein Fuß keine Probleme macht, verzichte ich nicht auf ihn. Wenn er aber in den kommenden Tagen nur reduziert trainieren kann, würde ich mir schon meine Gedanken machen.

Sie haben gegen Griechenland überraschend Lukas Podolski und Thomas Müller auf die Bank gesetzt. Wie viele Ihrer Spieler sind unersetzbar?

Löw: Da werde ich Ihnen jetzt keine Liste erstellen. Ich bin froh, dass wir letztendlich jeden Spieler ersetzen können - zumindest in manchen Momenten und in gewissen Spielen. In einem anderen Spiel hätte ich vielleicht andere Spieler eingesetzt.

Vier Wechsel sind ja nicht unbedingt üblich, Sie sind ein Risiko eingegangen. Haben Sie sich die Frage gestellt, was passiert, wenn es schiefgeht?

Löw: Das war für mich doch kein Risiko. Ich sehe die Spieler hier im Training und weiß, dass ich ihnen vertrauen kann. Man muss mal von diesem Gedanken wegkommen, dass ein Trainer immer Angst davor hat, was im Nachhinein möglicherweise passiert. Ich werde ja häufig gefragt, was passiert, wenn dies und jenes geschieht, was passiert, wenn wir ausscheiden? Hätten wir gegen Griechenland verloren, hätte es doch eh Kritik gegeben.

Wie lange können Sie sich als Trainer schon davon abkoppeln?

Löw: Sicherlich braucht man dafür eine gewisse Erfahrung. Ich habe schon früher viel von Trainern gehalten, die Mut zum Risiko hatten. Es war immer mein innerer Drang, so als Trainer zu sein. Ich gehe gern Risiko ein. Weil ich finde, dass das nicht schlimm ist.

Aber Sie wissen, dass es Sie angreifbar machen könnte.

Löw: Ich bin doch sowieso angreifbar. Egal, was ich mache. Aber das ist eben so, damit muss ich leben: Trainer machen nun mal auch Fehler. Doch was die Wechsel hier bei diesem Turnier betrifft, habe ich mir im Vorfeld schon bei der Auswahl der Spieler viele Gedanken gemacht. Ich habe überlegt, wen ich wann für welche Situation gebrauchen kann. Und ich kann schon sehr gut einschätzen, wer unsere Ideen gut umsetzen kann. Deswegen habe ich keine Angst, einen Spieler wie Marco Reus zu bringen. Deshalb habe ich ihn doch mitgenommen.

An der Risikofreude welches Trainers orientierten Sie sich?

Löw: Als Spieler hatte ich in der Zweiten Liga sehr viele Trainer, die darauf bedacht waren, dass die Mannschaft keine Fehler macht. Das hat mich immer wahnsinnig geärgert, dieses unglaubliche Sicherheitsdenken. Ich war dadurch immer blockiert. Ich bin daher jemand, der gern im Spiel ein gewisses Risiko eingeht. Auch bei Personalentscheidungen. Schon als Spieler war es mir ein Bedürfnis, ein hohes Risiko zu gehen und Freude zu haben. Durch Risiko und Mut entwickeln wir uns weiter, Veränderungen sind gut. Die Mannschaften, die heute nur Sicherheitspässe spielen, kommen im Fußball nicht mehr weiter. Das hat sich meiner Meinung nach in den vergangenen Jahren bestätigt. Ich möchte, dass meine Spieler risikofreudig sind und viel in die Offensive investieren. Auch unsere Innenverteidiger sollen Risikopässe spielen, vertikal und nicht in die Breite. Andernfalls könnte ich da sogar mitspielen. Den Ball zum nächsten Mann spielen kann ich auch noch.