Der ehemalige griechische Bundesliga-Torjäger, Ioannis Amanatidis, spricht über den deutschen Gegner: Effizienz und Geduld zeichnen ihn aus.

Warschau. Ioannis Amanatidis lacht. "Mein Tipp für das Viertelfinale?", fragt er: "2:1 für Griechenland. Das muss ich ja sagen." Der 30-Jährige ist der erfolgreichste griechische Torschütze in Deutschland, fast 200-mal trug er in der Bundesliga die Trikots von Eintracht Frankfurt, Kaiserslautern und dem VfB Stuttgart. Bis zu seinem Rücktritt im Jahr 2010 absolvierte Amanatidis, der sich derzeit auf Vereinssuche befindet, 42 Einsätze für die griechische Nationalmannschaft.

Hamburger Abendblatt: Herr Amanatidis, Europa staunt über den griechischen Viertelfinal-Einzug. Sie auch?

Ioannis Amanatidis :Natürlich, selbst wir Griechen sind überrascht. Es war nicht zu erwarten, dass diese Mannschaft die Vorrunde übersteht. Wenn man sich die individuelle Qualität etwa der Russen anschaut, dann ist es schon erstaunlich, so ein Team hinter sich gelassen zu haben.

Warum hat es dennoch geklappt?

Amanatidis: Der Teamgeist ist außergewöhnlich. Wie gesagt: Betrachtet man die individuelle Qualität jedes Einzelnen, gehören sie nicht zu den stärksten Teams bei der EM. Umso erstaunlicher ist es, dass sie jetzt im Viertelfinale stehen. Das ist wieder ein Beweis dafür, dass im Fußball das Kollektiv über der Qualität des Einzelnen steht.

Bundestrainer Joachim Löw hob besonders ihre Effizienz hervor. Ist das Griechenlands größte Stärke?

Amanatidis: Ja, Effizienz und Geduld sind unsere größten Pluspunkte. Schauen Sie sich die Gruppenspiele an. Griechenland hat insgesamt drei Tore geschossen. Alle drei waren Abwehrfehlern geschuldet. In der Auftaktpartie musste Dimitrios Salpingidis den abprallenden Ball nur ins leere Tor schieben. Den Russen ist ein kapitaler Schnitzer nach einem Einwurf unterlaufen und im Spiel gegen Tschechien hat Petr Cech Theofanis Gekas den Ball quasi auf dem Silbertablett serviert. Der musste nur noch Danke sagen. Das meine ich: Auf diese eine Chance lauern die Griechen. Und die wird auch gegen Deutschland kommen.

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... und jetzt gegen die Griechen

Was müssen die Deutschen heute Abend im Viertelfinale gegen Griechenland am meisten fürchten?

Amanatidis : Ich glaube, Standardsituationen sind eine Schwäche der DFB-Elf. Gleichzeitig ist das eine der größten Stärken der Griechen. Wenn ihnen ein Tor gelingt, dann würde es mich nicht überraschen, wenn es auf diesem Wege passiert. In allen anderen Bereichen ist Deutschland klar überlegen: Technik, Tempo, Spielanlage. Da wird es schwer für Griechenland mitzuhalten.

Hierzulande wähnen sich die meisten deswegen schon jetzt im Halbfinale.

Amanatidis: Auch das kann nur gut für die griechische Mannschaft sein. Wer den Fehler macht, sie zu unterschätzen, ist bisher bei diesem Turnier dafür bestraft worden. Den Polen ist das im Auftaktspiel auch passiert. Sie haben geführt und waren in Überzahl - am Ende hätten sie fast noch verloren.

Unterschätzter Außenseiter, eiskalt vor dem Tor: All das erinnert an das Turnier vor acht Jahren, als Griechenland sensationell den Titel gewann.

Amanatidis: Ich weiß, viele Griechen träumen schon wieder von der nächsten Sensation. Aber ich glaube, wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Ich glaube, so weit wird es nicht kommen.

Warum nicht?

Amanatidis: Vergleichen Sie doch mal die beiden Teams. Die Mannschaft, die 2004 nach Portugal gefahren ist, hatte mehr Spielerpersönlichkeiten. Die meisten hatten jede Menge Erfahrung, außerdem war auch eine Menge spielerisches Potenzial vorhanden. Alle reduzieren das griechische Spiel von damals nur auf die Tore nach Standardsituationen. Aber ich erinnere mich genau an den Treffer im Viertelfinale gegen Frankreich. Theo Zagorakis wird auf dem Flügel toll freigespielt, flankt präzise auf Angelos Charisteas und der köpft den Ball in den Winkel. Das war ein Treffer wie aus dem Lehrbuch. Solche Angriffe habe ich bei diesem Turnier noch nicht gesehen. Sowohl 2004 als auch in diesem Jahr hat Griechenland jeweils nur knapp 40 Prozent Ballbesitz. Was vor acht Jahren während diesen Phasen passiert ist, war jedoch viel hochwertiger. Das damalige Team war besser als das aktuelle.

Mit Giorgios Karagounis fehlt nun wegen einer Geldsperre einer von zwei verbliebenen Europameistern im Kader. Wie schwer wiegt sein Ausfall?

Amanatidis: Sehr schwer. Mit seiner Erfahrung ist er enorm wichtig für die jungen Kollegen im Team. Gerade in so einem großen Spiel wie einem EM-Viertelfinale könnte er eine Menge Stabilität bringen. Das müssen jetzt andere übernehmen.

Der portugiesische Trainer der Griechen, Fernando Santos ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Was können Sie uns über ihn verraten?

Amanatidis: Ich habe nie unter ihm trainiert, wenn Sie das meinen. Als er Nationaltrainer wurde, war ich gerade zurückgetreten, aber das hatte nichts mit ihm zu tun. Von den Spielern höre ich immer, dass er ein sehr akribischer Arbeiter ist, der extrem viel Wert auf Disziplin legt. Er bereitet sie auf alle möglichen Szenarien, die während der 90 Minuten entstehen können, vor. Vielleicht erklärt das auch ihre Kaltschnäuzigkeit. Sie wissen, dass sie früher oder später ihre Chance bekommen werden.

Ein großes Thema im Vorfeld des Viertelfinals ist die politische Begleitmusik vor dem Hintergrund der großen Euro-Krise. Spielt das für die Profis eine Rolle?

Amanatidis: Nein, sie bereiten sich genauso vor, als würde es gegen Spanien oder Portugal gehen. Dieses Thema lässt sie völlig kalt. Ich finde das auch gut. Der Fußball darf sich nicht ausnutzen lassen von der Politik. Einzig für die Fans ist es ein nettes Thema an den Stammtischen. Sie sind stolz und froh, dass ihre Mannschaft das Viertelfinale erreicht hat. Dass es dort gegen Deutschland geht, hat aber keinen Einfluss auf ihre Gemütslage.