Vor dem heutigen Viertelfinale (20.45 Uhr) haben Studenten das griechische Spiel seziert. Die Standards sollen gefährlich sein.

Danzig. Man musste gestern Abend schon ganz genau hinschauen, um von der Tribüne aus das grüne Kapuzenmännchen auf dem Rasen in der PGE Arena Danzig zu identifizieren. Große Freude schien Joachim Löw trotz seiner wasserdichten Trainingsjacke beim Abschlusstraining am Tag vor dem Viertelfinale gegen Griechenland (20.45 Uhr, ZDF und im Liveticker bei abendblatt.de) jedenfalls nicht zu haben. Im Dauerregen schlich Löw von der einen Trainingsgruppe zur anderen, gab hier und da mal eine Anweisung und ließ ansonsten seine Trainerkollegen machen. "Wir sind auf alles vorbereitet", hatte er noch kurz vor der Einheit angekündigt - und wollte dabei durchaus wörtlich genommen werden.

In den Vorbereitungen auf das heutige "Heimspiel" wollte Löw tatsächlich nichts dem Zufall überlassen. Bis ins letzte Detail hat sich der Bundestrainer seit dem Sieg gegen Dänemark über Viertelfinalgegner Griechenland informiert. Täglich setzte er sich im Mannschaftshotel Dwor Oliwski mit seiner Scoutingabteilung zusammen, ließ Stärken- und Schwächenprofile erstellen und holte sich am Telefon Informationen von DFB-Trainerausbilder Frank Wormuth ein. Der Leiter der Fußballlehrerausbildung, der als Co-Trainer unter Löw vor 14 Jahren Fenerbahce Istanbul trainierte, hat im löwschen Auftrag Griechenland bei den drei Vorrundenspielen vor Ort verfolgt. "Die Griechen stehen im Viertelfinale, weil sie Effektivität vor Attraktivität gesetzt haben, aufopferungsvoll in der Defensive agierten und die Qualität besaßen, aus wenigen Möglichkeiten Tore zu erzielen", sagt Wormuth, dessen Worte grob übersetzt bedeuten, dass Griechenland hässlich, aber erfolgreich spielt: "Sie haben aus fünf Chancen in den drei Spielen drei Tore gemacht. Da kann man nicht meckern, oder?"

Kann man natürlich nicht. Viele Chancen dürfte Hellas gegen Deutschland auch heute Abend nicht bekommen. "Im Offensivspiel leben die Griechen von der Qualität einzelner Spieler. Da wird nicht kombiniert. Sie agieren bei ihren Angriffsaktionen nicht als Verbund wie in der Defensive, sondern verlassen sich auf das Individuum", sagt Wormuth, der Löw auch vor griechischen Standardsituationen warnt. Diese sollen Mats Hummels und Holger Badstuber, die vor Torhüter Manuel Neuer in der Innenverteidigung gesetzt sind, unbedingt verhindern. Zumindest auf dem Papier verteidigt Philipp Lahm erneut links, rechts kehrt der gesperrte Jerome Boateng für Lars Bender in die Startelf zurück. Doch in der Taktikbesprechung gestern betonte Löw ein weiteres mal, dass besonders auch Boateng und Lahm helfen müssen, den dichten Abwehrriegel der Griechen zu knacken.

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"Die Griechen stehen sehr kompakt vor dem eigenen Strafraum. Da lassen sie nicht viel zu", sagt Wormuth. Lediglich durch schnelles Kombinationsspiel, für das im deutschen Spiel das zentrale Mittelfeld-Dreieck mit Bastian Schweinsteiger, Sami Khedira und Mesut Özil verantwortlich ist, könnten Lücken in der Betonabwehr gerissen werden. Um diese noch besser zu nutzen, überlegt Löw zudem, ob er erstmals in diesem Turnier in der Offensive wechselt. Besonders Lukas Podolski droht auf der linken Seite die Ablösung durch André Schürrles schnelle Füße. Eine endgültige Entscheidung hat der 52-Jährige aber noch nicht getroffen. Auf der rechten Seite dürfte Thomas Müller erneut starten, obwohl auch die quirligen Marco Reus und Mario Götze gegen Griechenland als echte Alternative gelten. Offen will der Bundestrainer bis zuletzt die Besetzung des Angriffs lassen. Er weiß, dass er gegen die griechischen Maurer besonders gut einen Stürmer wie Miroslav Klose gebrauchen könnte, dessen Spiel eher durch das Nadelöhr passt als das von Mario Gomez. "Ich scheue mich nicht davor, auch mal die Startelf zu verändern", sagte Löw.

Auf der Gegenseite wird der aus der Bundesliga bekannte Theofanis Gekas stürmen, auf den man laut Wormuth genauso aufpassen muss wie auf den Linksfuß Giorgos Samaras und den "schnellen Außenspieler" Diritirs Salpingidis. Verzichten müssen die Griechen dagegen auf Spielmacher Georgios Karagounis, der heute Abend gelbgesperrt fehlt. Und obwohl der Ausfall die Südeuropäer sehr schmerze, glaubt Wormuth an deren individuelle Klasse: "Gute Individualisten haben die Griechen auf jeden Fall."

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Seine detaillierten Erkenntnisse über Griechenlands Euro-Ambitionen hat Wormuth an den Hamburger Christofer Clemens weitergeleitet, der den Wust an Informationen für Löw aufbereitet hat. Der HSV-Auslandschefscout ist seit der WM 2006 ein festes Mitglied der DFB-Scoutingabteilung, die seinerzeit der Schweizer Urs Siegenthaler aufgebaut hatte. Da der Fast-HSV-Sportchef unmittelbar vor dem Beginn der Europameisterschaft einen Hörsturz erlitt, ist Clemens Aufgaben- und Verantwortungsbereich bei dieser EM noch mal gewachsen. Clemens, der vom HSV die Genehmigung für die Doppelbelastung durch den DFB bei der EM bekam, musste aus den Beobachtungen von Wormuth, den Auswertungen der Sporthochschule Köln und eigenen Erkenntnissen ein Griechenland-Dossier zusammenstellen, das Löw bei seiner ausführlichen Taktikbesprechung gestern Abend nutzen wollte.

Mehr als früher setzt der Bundestrainer auch auf die Informationen, die ihm durch ein Projekt an der Sporthochschule Köln bereitgestellt werden. Acht von insgesamt 45 Studenten, die sämtliche EM-Teilnehmer analysierten, haben das griechische Spiel seziert, Spielaufbau und Abwehrverhalten untersucht und sind der Frage nachgegangen, wie sich die Mannschaft von Trainer Fernando Santos bei Ballgewinn oder Ballverlust verhält. Neben den drei Vorrundenspielen gegen Polen (1:1), Tschechien (1:2) und Russland (1:0) haben die Studenten auch fünf Qualifikationsspiele und zwei Testspiele Griechenlands ausgewertet. "Es mangelt nicht an Daten über die Griechen", sagt Stefan Nopp, der in Zusammenarbeit mit Clemens für das Projekt verantwortlich ist, "es ist die Kunst, aus dem Wust der Daten ein Bild zu machen."

Letztendlich, das wissen auch Löw, Nopp, Clemens und Wormuth, sind aber alle theoretischen Vorbereitungen heute Abend nutzlos, wenn sie nicht in die Praxis umgesetzt werden. Wichtig ist eben immer noch auf dem Platz - auch gegen Griechenland.