Wladimir Kramnik (33) hat die Krönung Viswanathan Anands zum Schach-Weltmeister um zumindest einen Tag verschieben können. Nach dem umkämpften Remis in der neunten Partie fehlt dem 38 Jahre alten Inder jedoch nur noch ein weiteres Unentschieden zum Titelgewinn. Anand führt mit 6:3 Punkten. Sieger ist, wer zuerst 6,5 Punkte hat.

Die zehnte Partie wird am Montag in der Bundeskunsthalle in Bonn von 15 Uhr an gespielt, wieder live bei www.abendblatt.de/schachwm .

Die neunte Partie, die 45 Züge und fast fünf Stunden Spielzeit dauerte, war die bisher beste Kramniks in diesem Wettkampf. Anand kämpfte am Abgrund, verlor im Mittelspiel einen Bauern, verteidigte sich aber mit viel Geschick. Und er hatte Glück, dass Kramnik nicht immer die chancenreichste Fortsetzung fand. Damit hielt eine lange Serie: Mit den weißen Steinen hat der Inder noch nie eine Turnierpartie gegen Kramnik verloren.

Kramnik hatte seinen Gegner zum ersten Mal in diesem Match in der Eröffnungsphase überraschen können. 11….Lb4 war ein neuer Zug des Russen, bisher bevorzugten die Großmeister an dieser Stelle 11….Db6 oder 11…Le7. Die Idee: Schwarz hat jetzt mehr Manövriermöglichkeiten für seine Dame, und er droht, mit dem Springer c3 einen potenziellen weißen Angreifer abzutauschen. Anand dagegen, der einen Bauern weniger hat, muss bestrebt sein, so viele Figuren wie möglich auf dem Brett zu halten. Ein psychologisches Problem kam für den Inder in dieser Partie hinzu. Bisher spielte er diese Eröffnung, die Botwinnik-Variante im Damengambit (benannt nach dem ehemaligen sowjetischen Weltmeister Mikhail Botwinnik), ausschließlich mit den schwarzen Steinen, jetzt musste er diesen Aufbau mit Weiß bekämpfen. Da fällt manchmal das Umdenken schwer.

Mit seinem 17. Zug …c5! gab Kramnik der Stellung einen neuen Charakter und erhielt erstmals in diesem Match eine starke Initiative. Plötzlich spielten seine Figuren glänzend zusammen, vor allem die Dame auf g7 und der Läufer auf b7. Und: Aus dem stolzen weißen Bauern auf e5, der Anands Steinen einen Raumvorteil im Zentrum gesichert hatte, war ein Sorgenkind geworden.

Mit 25…Lxb5 gewann Kramnik zwar zwangsläufig einen Bauern, die ungleichfarbigen Läufer erschwerten jedoch eine Gewinnführung. Schwarz hat einen schwarzfeldrigen, Weiß einen weißfeldrigen Läufer und damit eine Übermacht auf den weißen Feldern, welche die schwarzen Bauern auf dem Weg zur gegnerischen Grundlinie irgendwann überschreiten müssen. Kramnik hätte wohl besser daran getan, seinen Läufer a6 auf dem Brett zu lassen. Mit 35….Lc7 statt 35….Dc7?! hätte Schwarz weiteren Vereinfachungen aus dem Weg gehen sollen. Nach dem Damentausch verringerten sich Kramniks Gewinnchancen dramatisch. Anand hätte dann mit 39. Ta1 (statt 39. Txc7) das Remis forcieren können: 39. Ta1 axb3 40. Lxb3 Lxg3 (40. …Txb3 41. Txc7 nebst Taa7) 41. Lxe6, und die Spannung ist aus der Stellung gewichen.

Nach 39. Txc7 konnte Kramnik mit 39…axb3 und einem zwischenzeitlichen Figurenopfer erneut für Aufregung sorgen. Das Turmendspiel nach 41…Tc2 42. Txc2 bxc2 43. Lb3 (43. Lf1 Tb2!) …Txb3 44. Txc2 hätte Anand weitere Verteidigungskünste abgenötigt. Mit 41. …h5 vergab Kramnik seine letzte praktische Gewinnchance.

WM in Bonn, 9. Partie: Weiß: Viswanathan Anand (Indien); Schwarz: Wladimir Kramnik (Russland). Damengambit, Botwinnik-Variante. 1.d4 d5; 2.c4 e6; 3.Sf3 Sf6; 4.Sc3 c6; 5.Lg5 h6; 6.Lh4 dxc4; 7.e4 g5; 8.Lg3 b5; 9.Le2 Lb7; 10.Dc2 Sbd7; 11.Td1 Lb4; 12.Se5 De7; 13.00 Sxe5; 14.Lxe5 00; 15.Lxf6 Dxf6; 16.f4 Dg7; 17.e5 c5; 18.Sxb5 cxd4; 19.Dxc4 a5; 20.Kh1 Tac8; 21.Dxd4 gxf4; 22.Lf3 La6; 23.a4 Tc5; 24.Dxf4 Txe5; 25.b3 Lxb5; 26.axb5 Txb5; 27.Le4 Lc3; 28.Lc2 Le5; 29.Df2 Lb8; 30.Df3 Tc5; 31.Ld3 Tc3; 32.g3 Kh8; 33.Db7 f5; 34.Db6 De5; 35.Db7 Dc7; 36.Dxc7 Lxc7; 37.Lc4 Te8; 38.Td7 a4; 39.Txc7 axb3; 40.Tf2 Tb8; 41.Tb2 h5; 42.Kg2 h4; 43.Tc6 hxg3; 44.hxg3 Tg8; 45.Txe6 Txc4 Remis. Stand: Anand Kramnik 6:3.