Abendblatt-Redakteur Rainer Grünberg (53) erinnert sich an ein Treffen mit Schachweltmeister Anand vor 20 Jahren.

Es war irgendwann im Spätsommer des Jahres 1988, als Frederic Friedel anrief. Friedel ist Gesellschafter der Hamburger Schachsoftwarefirma ChessBase, die er 1986 mit gegründet hatte. "Kann ich vorbeikommen?", fragte er, "ich bin aber in Begleitung. Wenn ihr kocht, bitte kein Fleisch." Friedel erschien mit Viswanathan Anand. Der war 1987 Jugendweltmeister und erster Großmeister Indiens geworden. Friedel verbindet mit Anand bis heute eine enge Freundschaft. Weil noch weitere ihm bekannte Schachmeister zu Gast waren, legte Anand schnell die Zurückhaltung ab. Sein Englisch war schon damals exzellent. Er redete so rasant, wie er dachte, und wenn er Garri Kasparow, den damaligen Weltmeister, parodierte, bog sich die Runde vor Lachen. Nebenbei aß Anand Salat, Reis, Gemüse, trank Saft, später Tee. "Ich bin Vegetarier", entschuldigte er sich bei der Hausfrau höflich, weil er weder Hühnchen noch Frikadellen anrührte.

Irgendwann am Abend wurden Schachbretter und -uhren aufgebaut und Blitzpartien mit fünf Minuten Bedenkzeit gespielt. Blitzschach ist Anands Lieblingsdisziplin. Während er uns abzockte, gegen den späteren Hamburger Großmeister Matthias Wahls mal ein Remis einstreute, plauderte er entspannt über Weltpolitik, Religion und Aktienmärkte. Als ich nach einigen Niederlagen einzusehen begann, dass ich nicht mit großem Talent gesegnet bin, unterlief Anand ein Lapsus. Er übersah in der Drachenvariante - diese verstorbenen Ungetüme stecken im Schach noch voller Vitalität - eine Kombination und gab kurz darauf mit einem Grinsen auf. Es war sein Dankeschön für Kost und nächtliche Logis.