Das Halbfinal-Degendrama brachte es an den Tag: Die Technik im Fechten ist trotz vieler Neuentwicklungen verbesserungsbedürftig - meint auch Britta Heidemann. Über verlorenes Gold war die Leverkusenerin „super enttäuscht“.

London. Die Psychoqual dieser einen olympischen Fechtsekunde wird Britta Heidemann und Shin A-Lam noch lange beschäftigen. Der Eklat im olympischen Degen-Halbfinale stand auch am Tag nach dem ersten deutschen Medaillengewinn bei den Sommerspielen in London im Mittelpunkt und warf Fragen auf, ob die Technik den Anforderungen noch gewachsen ist. „Wir brauchen mehr Transparenz. Das darf eigentlich nicht passieren“, klagte Silbermedaillengewinnerin Heidemann über Umstände, die nach Auffassung vieler Insider bei einem Hochtechnologiefestival nichts zu suchen haben.

Weil die Uhr im Fechten nur volle Sekunden und keine Zehntel oder Hundertstel anzeigt, wurde der „plötzliche Tod“, wie die Verlängerung im Fechten auch heißt, beim 6:5 im Halbfinale zwischen Heidemann und der Südkoreanerin zur Hängepartie mit Protesten und ewig langen Jury-Diskussionen.

„Das war ein absolutes Drama. Da habe ich ganz schön viele Nerven gelassen“, berichtete Heidemann am Dienstagmorgen nach einer erstaunlich ruhigen Nacht. „Ich war so erschöpft von dem anstrengenden Tag. Nach der Rückkehr ins olympische Dorf haben ich kurz Computer und Fernseher angestellt und danach sehr gut geschlafen“, erzählte Heidemann.

Europa-Fechtpräsident Frantisek Janda war sichtlich erschüttert: „So etwas habe ich noch nie erlebt. Und so etwas ist nicht gut für unseren Sport.“ Für Britta Heidemanns Verhalten in dem Tohuwabohu hatte der Tscheche höchstes Lob übrig: „Das war absolutes Fairplay.“

Heidemann zog sich zurück, ließ alle machen und diskutieren. Shin begab sich in einen einstündigen „Sitzstreik“, wollte partout nicht von der Planche. Logisch. Denn hätte sie es getan, wäre das laut Fecht-Regularien das Einverständnis der Südkoreanerin für ihre Niederlage gewesen. So aber liefen erstmal Proteste und Tränen – und Shin entschuldigte sich später beim Publikum: „Es tut mir leid. Sie haben viel bezahlt und mussten mehr als eine Stunde warten.“

Im Gegensatz zu Peking-Gewinnerin Heidemann empfand Janda, dass sich die nicht-deutschen Fans unter den 7500 in den ExCeL-Arenen am Montagabend durchaus gegen die 29-Jährige stellten, nachdem die Jury für sie entschieden hatte. Heidemann hatte den Eindruck, „dass das Publikum sehr fair war. Sie fand es „toll“, dass viele das Wesentliche schnell mitbekamen: Es war kein Problem der Athleten.

5:5 stand es in der Verlängerung, Shin hatte Vorteil. Hätte Heidemann keinen Treffer mehr gesetzt, wäre Shin in das Gold-Gefecht eingezogen, das Heidemann („Ich bin super enttäuscht“) gegen Jana Schemjakina aus der Ukraine im „Sudden Death“ verlor.

Es war eine irre letzte Sekunde, auf die sich die Halbfinal-Beteiligten eingelassen hatten. „1“ statt „0“ – die Protagonistinnen waren sich einig, dass noch eine Sekunde zu fechten sei. Dann drei blitzschnelle Aktionen Heidemanns binnen dieses einen Augenblicks, dann der Treffer, nach Experten-Berechnungen in der vorletzten Hundertstelsekunde, dann das Shin- und Jury-Drama – laut Heidemann alles im „Systemfehler bei der Zeitnahme“ zu suchen.

„Es war aufregend, da zu sitzen. Die Koreaner haben verständlicherweise Protest eingelegt. Das hätten wir auch gemacht, wenn ich den Treffer nicht bekommen hätte“, realisierte Britta Heidemann die Dramatik der Situation. Und: „Ich hab' die Offiziellen und Trainer machen lassen. Einfluss auf die Entscheidung hatte ich ohnehin nicht.“

Dafür war sie hinterher erbost: „Es ist unschön für alle, wenn solche Diskussionen in einem solchen Moment auftauchen. Da muss man auf jeden Fall schnellere Entscheidungen treffen.“ Zwischen Deutschen und Südkoreanern endete alles friedlich: Shins Trainer ging auf Britta Heidemann und ihren Mentor Manfred Kaspar zu, es gab Umarmungen, Shakehands. Heidemann: „Da ist absolutes Verständnis, dass wir die Schuld nicht beim Anderen suchen. Das Ganze ist ein Fehler des technischen Equipments.“