In unserer Serie treffen wir Menschen aus Stormarn auf ihrer Lieblingsbank. Heute ist es Helmut Schumacher aus Großhansdorf.

Großhansdorf. Neulich war Luis zu Besuch, Helmut Schumachers Enkel, ein lebhafter Junge von fünf Jahren. Es war Zeit für das erste Weitsprungtraining. Und weil Luis nach einem beachtlichen Satz auf 2,20 Meter noch immer nicht genug hatte, überredete er Opa zu einem Wettlauf. Eine Stadionrunde, das sind 400 Meter - auf der Zielgeraden musste Schumacher ganz schön kämpfen. Luis geht noch nicht mal zur Schule, aber er hat schon einen Leichtathletik-Europameister an den Rand einer Niederlage gebracht.

Helmut Schumacher sitzt auf einer Bank in seinem zweiten Wohnzimmer, direkt an der Laufbahn des Großhansdorfer Sportplatzes. Zweimal pro Woche kommt er zum Training hierher. Er ist ein drahtiger, zäher Mann - klare Augen, fester Blick, das weiße Haar so kurz, dass der Wind kaum Halt darin findet. "Ich bin nicht auf Schulterklopfer aus", sagt Schumacher und blickt hinüber zu den Kindern in ihren bunten Turnschuhen. "Ich will Vorbild sein für die nachwachsende Generation."

Der Trainingsanzug ist Schumachers Arbeitskleidung, seit er vor gut zehn Jahren in Rente ging. Bei der Hamburger Berufsfeuerwehr hatte er seinen Traumjob gefunden, am Schluss war er Dienststellenleiter der Wache in Stellingen, Chef von 120 Mann. Er hat manchen dramatischen Kampf gegen die Flammen geführt, eine Kirche gerettet in Altona, die alte Mühle verloren in Groß Flottbek. Heute sind seine Gegner Leichtathleten, es geht um Rekorde und Medaillen.

"Der Sport hat mein Leben geprägt", sagt Schumacher, zweifacher Hallen-Europameister im Seniorenbereich. Erst in diesem Frühjahr hat er Staffel-Gold geholt über 4 x 200 Meter der Altersklasse M 70 in Ancona (Italien). 1993, als er noch in Horst wohnte, hat ihn eine örtliche Zeitung als Sportler des Jahres ausgezeichnet. Seitdem steht er in einer Reihe mit den Reitsportlegenden Fritz Thiedemann und Herbert Blöcker und mit Wimbledonsieger Michael Stich.

Alles wäre wohl ganz anders gekommen, hätte Schumacher seinen Plan in die Tat umgesetzt. Damals, 1961, als er auswandern wollte nach Australien. Er kaufte sich eine Gitarre und ein Ticket fürs Schiff, packte seine Sachen. "Freunde haben mich zwei Woche vorher umgestimmt", sagt er. Die Sehnsucht nach Down Under blieb vier Jahrzehnte unerfüllt. Erst nach seiner Pensionierung fand er Zeit für die Reise. "Das Land hat alles gehalten, was ich mir von ihm versprochen habe. Mich fasziniert die Lockerheit der Australier. Das habe ich von dort mitgenommen." Zwei weitere Male flog er später zu Wettkämpfen nach Brisbane und Melbourne.

Schumacher, zwei Söhne, eine Tochter, vier Enkel, ist Weltenbummler in Sachen Sport. Auf einer seiner Touren hat er seine zweite Ehefrau Gisela kennengelernt, 1997 in Birmingham. Auch sie war eine international erfolgreiche Athletin. Mit 76 Jahren macht sie diesen Sommer zum 34. Mal das Deutsche Sportabzeichen, pflegt zu Hause den Garten: "Ich das Grobe, sie die Feinheiten", sagt Schumacher, er lächelt verliebt. "Und wenn eine Blume mal nicht wachsen will, reden wir mit ihr. Ich habe es ja nie glauben wollen, aber es ist erstaunlich, wie gut das hilft."

An der Ostsee hat Schumacher eine Ferienwohnung, ein Zuhause fernab vom Wasser kann er sich nicht vorstellen. "Das Leben ist wie das Meer", sagt er. "Mal angenehm seicht, mal stürmisch und kraftvoll." Er kennt die Höhen und Tiefen. Seine Mutter starb früh mit 33 Jahren, er hat eine Scheidung hinter sich und manch andere menschliche Tragödie, er spricht kaum davon. "Es stört mich, wenn die Leute jammern", sagt er. "Wenn es mir nicht gut geht, ziehe ich die Turnschuhe an und laufe, dann ist bald alles wieder in Ordnung."

Schumacher sieht den Seniorensport durchaus auch kritisch, manchmal werden ihm die keuchenden Alten zu viel. "Ich habe Leute gesehen, denen beim Hindernislauf das Gebiss herausgefallen ist. Da frage ich mich, warum sie sich das antun", sagt er. In ein paar Jahren wird er aufhören müssen mit dem Leistungssport, er will den Zeitpunkt rechtzeitig selbst bestimmen.

Der Sprinter mit den Spezialstrecken 200 und 400 Meter ist vielseitig interessiert und begabt, gelernter Klempner, hört gern klassische Musik, liest Bücher, bastelt Schiffsmodelle zusammen. Zu gern würde er jetzt noch ein Musikinstrument beherrschen. Die Gitarre, die er damals mit nach Australien nehmen wollte, besitzt er noch immer. Sie hatte eine paar Macken. Er hat sie jetzt reparieren lassen.