Das Buxtehuder Amtsgericht entscheidet immer öfter über Umgangs- und Sorgerecht für Kinder, weil Eltern sich nicht einigen können.

Buxtehude. Wenn Eltern sich trennen, stellt sich die Frage: Was geschieht mit dem Kind? Kommt es zur Mutter oder zum Vater, und wie regeln wir die Besuchstage? Können sich die Eltern nicht einigen, werden Gericht und Jugendamt eingeschaltet. Jüngst hat der Fall in Jork gezeigt, welche Brisanz in den Entscheidungen dieser staatlichen Einrichtungen liegen kann.

Dort war ein fünfjähriges Mädchen in den Konflikt zwischen seinem Vater und der gerade aus der U-Haft entlassenen Mutter geraten. Die Mutter, die im Verdacht steht, gegen den Vater des Kindes ein Mordkomplott geschmiedet zu haben, hatte das Mädchen ohne Wissen des Vaters aus dem Kindergarten abgeholt, obwohl beide das Sorgerecht haben. Per Eilverfahren hat das Gericht dem Vater letztlich das vorläufige Aufenthaltsbestimmungsrecht zuerkannt.

Solche dramatischen Ereignisse wie in Jork sind aber ein Einzelfall. Woche um Woche müssen die Gerichte in Beratung mit den Jugendämtern immer wieder aufs Neue abwägen, welche Regelung zum Wohle eines Kindes am besten ist. Dass die Zahl dieser Fälle in den vergangenen Jahren stetig zugenommen hat, verdeutlicht Norbert Aping, Direktor des Buxtehuder Amtsgerichts. "Alleine in diesem Jahr hatten wir bisher 108 Fälle zum Umgangs- und Sorgerecht." Im vergangenen Jahr sind es zur selben Zeit lediglich 67 Fälle gewesen, und noch vor zehn Jahren waren es in einem ganzen Jahr höchstens 30 Fälle.

Es habe den Anschein, als fehle bei immer mehr Eltern die Bereitschaft, sich selbstständig über das Umgangsrecht zu einigen, sagt er. "Sie kippen ihre Entscheidung bei uns ab." Die Gründe, warum Eltern einen Anwalt einschalten und vor Gericht ziehen, reichen nach Apings Worten häufig von "läppisch" bis "haarsträubend". Oft fehle es einfach an gutem Willen. Denn längst nicht alle Angelegenheiten, die vor Gericht landen, hätten dort tatsächlich landen müssen. Zumal dieser Weg für das Kind nicht der beste ist.

Erst wenn die Sorgerechtsfrage vor Gericht kommt, wird es offiziell mit ins Verfahren hineingerissen - und damit oft auch in die Streitereien der Eltern. Allein die Frage, bei es wem es künftig leben soll, könne das Kind in einen unglaublichen Loyalitätskonflikt stürzen. Besser ist es in Apings Augen, wenn dieser Streit von ihm möglichst ferngehalten wird und sich die Eltern ohne großes Aufsehen einigen. "Man darf nicht vergessen, dass es ausschließlich um das Wohl des Kindes geht."

Wie schwierig es häufig ist, in der Praxis danach zu handeln, verdeutlicht das Beispiel von Cornelia Radeck. Die Buxtehuderin hat sich vor vier Jahren von ihrem Partner getrennt, als ihr Sohn Endrik ein Jahr alt war. Die beiden sind nicht verheiratet gewesen, haben aber das gemeinsame Sorgerecht. Endrik, der bei der Mutter in Buxtehude lebt, besucht den Vater in Wilhelmsburg alle 14 Tage von Freitag bis Sonntag. "Bis letztes Jahr hat das auch gut geklappt", sagt Cornelia Radeck. Doch dann nahmen die Probleme zu.

Mal war es die Besuchsregelung an Weihnachten, dann stand ein Tausch beim 14-tägigen Wochenend-Rhythmus an. Nun sind das alles Dinge, die viele getrennt lebende Eltern kennen und die durchaus lösbar sind. Als dann aber der Junge vom Vater aus anrief und sagte, er habe Heimweh und wolle zurück nach Hause, wusste Cornelia Radeck nicht mehr weiter. So eine Situation habe sie nie gewollt, sagt sie. Ganz im Gegenteil, sie habe sich immer dafür eingesetzt, dass Endrik seinen Vater regelmäßig und oft sieht, damit es gar nicht erst zum Heimweh kommt.

Auch andere Sorgen treiben sie um: Was ist, wenn der Junge am Wochenende zu Geburtstagen von Freunden eingeladen wird, diese Feiern aber mit dem Papa-Wochenende kollidieren? Oder wenn im Fußballverein am Sonntag Spiele anstehen? "Das Kind hat ja auch eigene Interessen", sagt sie. Selbst wenn es klar sage, es wolle gar nicht zum Vater, müsse es hingehen, weil ansonsten eine Strafzahlung droht. Wie könne das sein, fragt sie sich. Vom Gericht wünscht sie sich deshalb, dass es stärker den jeweiligen Einzelfall berücksichtigt.

Dass das Gericht das bereits tue, macht Norbert Aping deutlich. 95 Prozent der Sorgerechts- und Umgangsrechtsfälle enden mit einem Vergleich, "und der Großteil von ihnen funktioniert auch". Wenn ein Kind plötzlich krank sei oder zu einer Feier eingeladen werde, mache ein vernünftiger Mensch einfach einen Ersatztermin.

Leider steht bei vielen zerstrittenen Paaren die Vernunft nicht immer an erster Stelle. "Wenn sich Eltern nicht einigen können, sind die Gründe häufig auf der partnerschaftlichen Ebene zu suchen", sagt Andrea Lange-Reichardt, Leiterin der Fachgruppe Jugend, Soziales und Familie der Stadt Buxtehude. Beispielsweise ist die Frau verletzt, wenn der Ex-Partner eine neue Freundin hat. Sie will das Kind nicht in der Nähe dieser Frau wissen oder hat Angst davor, dass sie als Mutter nicht mehr so wie früher geliebt wird. "Der Wochenend-Daddy ist oft im Vorteil, weil es dort Geschenke und tolle Ausflüge gibt." Ihre Erfahrung sei, dass es in solchen Fällen selten um das Kind und häufig um eigene Gründe gehe.

Die Klagen vieler Mütter oder Väter, dass sich das Kind nach einem Wochenende beim Ex-Partner durch die Nacht weint und ganz verstört ist, sind Andrea Lange-Reichardt und ihrer Kollegin Constance Wieland, Bezirkssozialarbeiterin beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), ebenfalls gut bekannt. "Viele vergessen dabei, dass sie es ja waren, die die Fakten geschaffen haben", sagt Constance Wieland. Sie haben entschieden, sich zu trennen. Und wenn sie ihrem Kind diese Trennung zumuten, müssen sie auch die Konsequenzen tragen. Dass das Kind verstört sei, dürfe man nicht dem anderen Elternteil anlasten. Vielmehr sei das etwas ganz Natürliches. "Die Eltern bleiben ja trotzdem Eltern, und das Kind hat das Recht, mit beiden in Kontakt zu bleiben", fügt Andrea Lange-Reichardt hinzu.

Ihre Beobachtung ist, dass der Großteil der Trennungen ohne Beteiligung des Jugendamts abläuft. Sie bekomme pro Jahr im Schnitt 50 bis 60 Mitteilungen, wenn sich Paare mit minderjährigen Kindern trennen. In diesem Jahr sind es bisher 37 Fälle. Das Jugendamt schreibt die Eltern dann an und weist auf die Beratungsmöglichkeit hin. Ob die Eltern darauf eingehen wollen, ist ihre Sache.

Generelle Aufgabe des Jugendamtes sei es, vermittelnd zu wirken, sagt die Leiterin. "Wir wollen verhindern, dass sich Kinder für oder gegen einen Elternteil aussprechen." Das Kind soll dort sein, wo es sich wohl fühlt. Dass das nicht zwangsläufig bei der Mutter sein muss, hat sowohl das Jugendamt als auch das Amtsgericht beobachtet. In letzter Zeit kommt das Kind immer häufiger zu den Vätern.