Der Familienrechtler meint, die Behörde hätte Ehemann der Jorkerin Sandra T. informieren müssen, als Kind aus Hort geholt wurde.

Jork/Buxtehude. Der Hamburger Fachanwalt für Familienrecht Hartmut Müller hat das Kreisjugendamt in der Sache der mordkomplottverdächtigen Sandra T. kritisiert. Die 34-jährige Jorkerin hatte nach dem Ende ihrer Untersuchungshaft ihre fünfjährige Tochter vom Jorker Kinderhort "Tintenklecks" abgeholt. Eine Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes soll den Erzieherinnen der Kita geraten haben, das Kind auszuhändigen. Dazu Hartmut Müller: "Das Jugendamt hätte sich an die Informationspflicht beiden Eltern gegenüber halten müssen und nicht einseitig über den Kopf des Vaters hinweg entscheiden dürfen."

Nach Einschätzung des Rechtsanwalts hätten die Mitarbeiter des Amtes aktiv werden müssen, um die Eltern zu Gesprächen an einen Tisch zu holen. Dann hätte besprochen werden können, was für das Kindswohl sinnvoll ist, so Müller. "Das Jugendamt hätte veranlassen müssen, was dann das Familiengericht entscheiden musste", so Müller weiter.

Der Rechtsanwalt bezieht sich auf die Entscheidung des Buxtehuder Amtsgericht aus der vergangenen Woche. In einem Eilverfahren sprach das Gericht dem Vater der Fünfjährigen, Andreas S., vorläufig das sogenannte Aufenthaltsbestimmungsrecht zu. Das kleine Mädchen ist seitdem wieder zuhause beim Vater in Jork. Doch dieser ist weiterhin wütend über die Entscheidung des Jugendamtes und hat daher Anzeige gegen das Amt erstattet. "Die Frau vom Jugendamt hat dem Kind und mir mehr geschadet, als sie je wieder reparieren kann", sagt Andreas S.

Die Situation für dessen fünfjährige Tochter ist dramatisch, weil das Kind seit März dieses Jahres in einem Familienkrimi zwischen den Eltern steht. Der 51-jährige Gastronom Andreas S. und die 34-jährige Wirtin des Jorker Restaurants "Herbstprinz", Sandra T., lebten gemeinsam mit der Tochter in Jork. Seitdem die Mutter im Verdacht steht, mit ihrem 31-jährigen Geliebten ein Mordkomplott gegen den Vater ihres Kindes geschmiedet zu haben, das er schwer verletzt von mehreren Messerstichen überlebte, sind sie sprichwörtlich bis aufs Messer zerstritten. Sandra T. ist auch die Besitzerin des "Altländer Hofes" in Jork, der vor einer Woche niedergebrannt ist.

Als die Mutter im Mai verhaftet wurde, blieb das Mädchen bei ihrem Vater in Jork, wo es auch aufgewachsen ist, in den Kindergarten geht und Freunde hat. In dem Hort "Tintenklecks" nahm das Mädchen am Ferienangebot teil. Nach dem Ende der Untersuchungshaft holte Sandra T. ihr Kind dort ab und nahm es zunächst mit nach Hamburg. Zwischen dem Landkreis und dem Hort herrscht nun Dissens darüber, wer die Verantwortung für die Abholaktion trägt.

Kita-Chefin gibt an, auf Anraten des Jugendamtes gehandelt zu haben

"Wir haben uns mehrfach beim Jugendamt rückversichert, wie wir uns in dieser schwierigen Lage verhalten sollen", sagt Tintenklecks-Leiterin Andrea Sundermann. Es habe im Hort eine schriftliche Vereinbarung mit dem Vater gegeben, dass nur er und eine weitere Vertraute das Mädchen abholen dürften. Aber das Jugendamt habe argumentiert, dass die Herausgabe des Kindes an eine Sorgeberechtigte nicht verweigert werden könne, so Sundermann. "Wir haben uns mit dem Tintenklecks seit sieben Jahren einen sehr guten Ruf erarbeitet, den lassen wir uns jetzt nicht mit Schuldzuweisungen kaputt machen", sagt Sundermann. Nach ihrer Darstellung erfuhr Sandra T. auch im Jugendamt überhaupt erst davon, dass sich das Mädchen in der Jorker Kita befand.

Landrat Michael Roesberg, oberster Dienstherr des Kreisjugendamtes, sagte dazu zum Abendblatt: "Beide Eltern haben das Sorgerecht. Das haben wir auf Anfrage der Jorker Hortleiterin mitgeteilt." Zum laufenden Eilverfahren am Buxtehuder Amtsgericht wollte sich Roesberg nicht äußern. "Wir sagen zu dem Fall nichts", so der Landrat. Auch nach Abschluss des Verfahrens in der Familiensache bleiben die Zuständigen wortkarg. Die Dezernentin für Jugend, Gesundheit und Soziales, Susanne Brahmst: "Es tut der Sache nicht gut, deshalb äußern wir uns dazu nicht."

Andreas S. ist noch heute fassungslos über das Vorgehen der Mitarbeiter im Jugendamt, zumal die Abholaktion ohne sein Wissen stattfand. "Wie können diese Beamten, veranlassen, das Kind einer Frau zu übergeben, die mich umbringen lassen wollte? Es ist dem Amt bekannt, dass ein Verfahren gegen Sandra und ihre Komplizen läuft. Und warum hat mich niemand informiert oder uns beide zum Gespräch gebeten, damit wir regeln, was für die Kleine am besten ist?", sagt Andreas S.

"Die Beantwortung solcher Fragen gehöre nicht zu ihren Aufgaben, sagte mir die zuständige Frau vom Jugendamt", so Andreas S. "Die sehen nur ihre Akten, welches emotionales Desaster für die Betroffenen es bedeutet, zählt nicht. Seit das Jugendamt sich eingemischt hat, habe ich mehr Sorgen, als vorher. Ich habe das Vertrauen in die Behörden verloren."

Staatsanwaltschafts-Sprecher ist "verwundert" über Jugendamt

Weil das Stader Amtsgericht keine Fluchtgefahr sieht, kamen Sandra T. und ihr 31-jähriger Geliebter Marc-Kevin W. frei, zwei der Komplizen in diesem Fall setzte das Landgericht ebenfalls auf freien Fuß. Der zuständige Richter beim Amtsgericht sah keinen Tatverdacht wegen Anstiftung zum Mord. Er gehe davon aus, dass es sich bei der nächtlichen Messerattacke gegen das schlafende Opfer um gefährliche Körperverletzung gehandelt habe. Bei ihrem mutmaßlichen Komplizen, dem Koch, habe man den Haftbefehl wegen "versuchtem Mord" in "Anstiftung zu schwerem Raub mit Körperverletzung" abgemildert, so Kai Thomas Breas, Sprecher der Stader Staatsanwaltschaft.

"Wir gehen nach wie vor davon aus, dass es sich bei dem Überfall auf Andreas S. um einen versuchten Mord handelt und haben gegen die Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts Stade Beschwerden eingelegt", sagt Breas. Er sei "sehr verwundert" über das Vorgehen des Stader Jugendamtes, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Rechtsanwalt der Verdächtigen will Gutachten zu dem Fall erstellen lassen

Helmut Schmitt, Rechtsanwalt von Sandra T., rechnet damit, dass noch Monate bis zur endgültigen Regelung der Familienangelegenheit vergehen können. "Bis dahin wollen wir noch ein Gutachten erstellen lassen zu der Beziehung aller Beteiligten zum Kind", sagt Schmitt. Gegen die vorläufige Entscheidung des Familienrichters in Buxtehude wolle man nicht vorgehen. "Vorläufig bleibt alles so wie bisher, die Tochter meiner Mandantin bleibt in Jork, es muss Ruhe sein für das Kind."